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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Die englische Erbschaftssteuer

am wenigsten Einwände hervorrufe. Jeder ziehe von zwei direkten Steuern
die vor, die einmal (nicht periodisch) bezahlt werde, dazu noch zur Zeit einer
Bereicherung und vor der faktischen Benutzung des Vermögens. Aber auch
zur Zeit, da die eine Ausdehnung der Steuer auf das unbewegliche Vermögen
vorsehende Reformbill Gladstones zur Beratung stand, im Jahre 1853, fehlte es
nicht an den kräftigsten Stimmen gegen dieses Projekt, von dem ein Redner im
Unterhause sagte, daß es die schrecklichste Tyrannei und die unerträglichste
Inquisition einführe und nur den Menschen Freude mache, die sich durch
geringe Anhänglichkeit an die Monarchie und an die alten Institutionen aus¬
zeichneten. Und ein andres Mitglied meinte, daß der Ausdruck "Plünderung"
dieser Bill gegenüber noch lange nicht kräftig genug sei. Der Schatzkanzler
werde bei Annahme des Gesetzentwurfs Empfänger gestohlncr Gegenstände; es
sei doch wirklich der Unterschied zwischen denen, die stehlen, und denen, die
das Gestohlne schien, nicht groß. Und im Oberhause nannte ein Lord
Winchelsea die Gesetzvorlage die unmoralischste, abscheulichste und verhaßteste
Bill, die je im Statuts eingetragen worden sei. Doch alle diese heftigen
Angriffe vermochten die Entwicklung der englischen Erbschaftssteuer nicht auf¬
zuhalten. Die treibende Kraft bei dieser Bewegung war der Einfluß der
demokratischen Elemente der Bevölkerung, die einen Druck auf die Gesetz¬
gebung ausübten, die äußere Form jedoch, die die Besteuerung annahm, wurde
durch den politischen Kampf zweier Parteien bestimmt, von denen die eine
hauptsächlich die Interessen der Agrarier, die andre die Interessen der handels¬
industriellen Klasse vertrat.

Besonders lehrreich sind jedoch die Vorgänge beim letzten großen Reform-
Versuch im Jahre 1894, dnrch den die Erbschaftssteuer in England im wesent¬
lichen ihre jetzige Gestalt und Ausdehnung erhalten hat. Auch diesmal regnete
es geradezu unheilvolle Prophezeiungen von Konservativen. Ein Redner ans
ihren Reihen äußerte die Befürchtung, daß der Fiskus durch die Reform nur
verlieren werde, da die ungemein hohe Steuer von acht Prozent vom Kapital
jeden zu Hinterziehungen und Verheimlichungen veranlassen werde. Am
meisten werde hier das unbewegliche Vermögen leiden, das man vor dem
Steuereinnehmer nicht verbergen könne, das bewegliche aber werde entschlüpfen.
Ein andres Parlamentsmitglied erklärte, der Entwurf, der von dem liberalen
Schatzkanzler Sir W. Harcourt vertreten wurde, sei auf einem falschen Prinzip
aufgebaut, weil er ungemein die Witwen und Waisen belaste, die gegenwärtige
Generation des englischen Landbesitzes ausrotten und wahrscheinlich recht
geringe oder gar keine Staatseinnahmen ergeben werde. Nicht nur Raub
und Plünderung bringe dieser köstliche Entwurf in die englischen Familien,
sondern auch den Dämon des Mißklangs und des Verrath. Kein Gewalt¬
herrscher des Ostens, kein Robim Hood, kein Robert Macaire hätten jemals
ein solches System der Kontribution ausdenken können. "Das ganze Budget,
rief ein andrer Redner aus, ist von einem unbarmherzigen Haß gegen alle


Die englische Erbschaftssteuer

am wenigsten Einwände hervorrufe. Jeder ziehe von zwei direkten Steuern
die vor, die einmal (nicht periodisch) bezahlt werde, dazu noch zur Zeit einer
Bereicherung und vor der faktischen Benutzung des Vermögens. Aber auch
zur Zeit, da die eine Ausdehnung der Steuer auf das unbewegliche Vermögen
vorsehende Reformbill Gladstones zur Beratung stand, im Jahre 1853, fehlte es
nicht an den kräftigsten Stimmen gegen dieses Projekt, von dem ein Redner im
Unterhause sagte, daß es die schrecklichste Tyrannei und die unerträglichste
Inquisition einführe und nur den Menschen Freude mache, die sich durch
geringe Anhänglichkeit an die Monarchie und an die alten Institutionen aus¬
zeichneten. Und ein andres Mitglied meinte, daß der Ausdruck „Plünderung"
dieser Bill gegenüber noch lange nicht kräftig genug sei. Der Schatzkanzler
werde bei Annahme des Gesetzentwurfs Empfänger gestohlncr Gegenstände; es
sei doch wirklich der Unterschied zwischen denen, die stehlen, und denen, die
das Gestohlne schien, nicht groß. Und im Oberhause nannte ein Lord
Winchelsea die Gesetzvorlage die unmoralischste, abscheulichste und verhaßteste
Bill, die je im Statuts eingetragen worden sei. Doch alle diese heftigen
Angriffe vermochten die Entwicklung der englischen Erbschaftssteuer nicht auf¬
zuhalten. Die treibende Kraft bei dieser Bewegung war der Einfluß der
demokratischen Elemente der Bevölkerung, die einen Druck auf die Gesetz¬
gebung ausübten, die äußere Form jedoch, die die Besteuerung annahm, wurde
durch den politischen Kampf zweier Parteien bestimmt, von denen die eine
hauptsächlich die Interessen der Agrarier, die andre die Interessen der handels¬
industriellen Klasse vertrat.

Besonders lehrreich sind jedoch die Vorgänge beim letzten großen Reform-
Versuch im Jahre 1894, dnrch den die Erbschaftssteuer in England im wesent¬
lichen ihre jetzige Gestalt und Ausdehnung erhalten hat. Auch diesmal regnete
es geradezu unheilvolle Prophezeiungen von Konservativen. Ein Redner ans
ihren Reihen äußerte die Befürchtung, daß der Fiskus durch die Reform nur
verlieren werde, da die ungemein hohe Steuer von acht Prozent vom Kapital
jeden zu Hinterziehungen und Verheimlichungen veranlassen werde. Am
meisten werde hier das unbewegliche Vermögen leiden, das man vor dem
Steuereinnehmer nicht verbergen könne, das bewegliche aber werde entschlüpfen.
Ein andres Parlamentsmitglied erklärte, der Entwurf, der von dem liberalen
Schatzkanzler Sir W. Harcourt vertreten wurde, sei auf einem falschen Prinzip
aufgebaut, weil er ungemein die Witwen und Waisen belaste, die gegenwärtige
Generation des englischen Landbesitzes ausrotten und wahrscheinlich recht
geringe oder gar keine Staatseinnahmen ergeben werde. Nicht nur Raub
und Plünderung bringe dieser köstliche Entwurf in die englischen Familien,
sondern auch den Dämon des Mißklangs und des Verrath. Kein Gewalt¬
herrscher des Ostens, kein Robim Hood, kein Robert Macaire hätten jemals
ein solches System der Kontribution ausdenken können. „Das ganze Budget,
rief ein andrer Redner aus, ist von einem unbarmherzigen Haß gegen alle


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[0219] Die englische Erbschaftssteuer am wenigsten Einwände hervorrufe. Jeder ziehe von zwei direkten Steuern die vor, die einmal (nicht periodisch) bezahlt werde, dazu noch zur Zeit einer Bereicherung und vor der faktischen Benutzung des Vermögens. Aber auch zur Zeit, da die eine Ausdehnung der Steuer auf das unbewegliche Vermögen vorsehende Reformbill Gladstones zur Beratung stand, im Jahre 1853, fehlte es nicht an den kräftigsten Stimmen gegen dieses Projekt, von dem ein Redner im Unterhause sagte, daß es die schrecklichste Tyrannei und die unerträglichste Inquisition einführe und nur den Menschen Freude mache, die sich durch geringe Anhänglichkeit an die Monarchie und an die alten Institutionen aus¬ zeichneten. Und ein andres Mitglied meinte, daß der Ausdruck „Plünderung" dieser Bill gegenüber noch lange nicht kräftig genug sei. Der Schatzkanzler werde bei Annahme des Gesetzentwurfs Empfänger gestohlncr Gegenstände; es sei doch wirklich der Unterschied zwischen denen, die stehlen, und denen, die das Gestohlne schien, nicht groß. Und im Oberhause nannte ein Lord Winchelsea die Gesetzvorlage die unmoralischste, abscheulichste und verhaßteste Bill, die je im Statuts eingetragen worden sei. Doch alle diese heftigen Angriffe vermochten die Entwicklung der englischen Erbschaftssteuer nicht auf¬ zuhalten. Die treibende Kraft bei dieser Bewegung war der Einfluß der demokratischen Elemente der Bevölkerung, die einen Druck auf die Gesetz¬ gebung ausübten, die äußere Form jedoch, die die Besteuerung annahm, wurde durch den politischen Kampf zweier Parteien bestimmt, von denen die eine hauptsächlich die Interessen der Agrarier, die andre die Interessen der handels¬ industriellen Klasse vertrat. Besonders lehrreich sind jedoch die Vorgänge beim letzten großen Reform- Versuch im Jahre 1894, dnrch den die Erbschaftssteuer in England im wesent¬ lichen ihre jetzige Gestalt und Ausdehnung erhalten hat. Auch diesmal regnete es geradezu unheilvolle Prophezeiungen von Konservativen. Ein Redner ans ihren Reihen äußerte die Befürchtung, daß der Fiskus durch die Reform nur verlieren werde, da die ungemein hohe Steuer von acht Prozent vom Kapital jeden zu Hinterziehungen und Verheimlichungen veranlassen werde. Am meisten werde hier das unbewegliche Vermögen leiden, das man vor dem Steuereinnehmer nicht verbergen könne, das bewegliche aber werde entschlüpfen. Ein andres Parlamentsmitglied erklärte, der Entwurf, der von dem liberalen Schatzkanzler Sir W. Harcourt vertreten wurde, sei auf einem falschen Prinzip aufgebaut, weil er ungemein die Witwen und Waisen belaste, die gegenwärtige Generation des englischen Landbesitzes ausrotten und wahrscheinlich recht geringe oder gar keine Staatseinnahmen ergeben werde. Nicht nur Raub und Plünderung bringe dieser köstliche Entwurf in die englischen Familien, sondern auch den Dämon des Mißklangs und des Verrath. Kein Gewalt¬ herrscher des Ostens, kein Robim Hood, kein Robert Macaire hätten jemals ein solches System der Kontribution ausdenken können. „Das ganze Budget, rief ein andrer Redner aus, ist von einem unbarmherzigen Haß gegen alle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/219>, abgerufen am 22.07.2024.