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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Gesetz und Verfassung beruht. Aber bei solcher Gleichheit der Regierungs¬
form -- welcher Unterschied in der Lage der Regierten! Es gibt kein un¬
glücklicheres Volk, keins, das mehr gemißhandelt und ungerechter regiert würde
als die Türken; dagegen gibt es keins, das sich wirklicher Freiheit in reich¬
licheren Maße erfreute als das dänische, keins, auch das englische nicht aus¬
genommen, in dem weniger von Willkürherrschaft zu spüren, die Verwaltung
wohlfeiler wäre. Woher dieser Unterschied? Von der Verfassung doch sicherlich
nicht, da ja beide Länder dieselbe haben." Damit ist der Begriff der Gesell¬
schaft gewonnen und der Grund zur neuen Wissenschaft der Soziologie gelegt.
Nicht in der Konstitution, sondern in den Banken, die Kaufleute, Fabrikanten
und Landwirte zu gemeinsamer volkswirtschaftlich nützlicher Tätigkeit organi¬
sieren, sieht er Keime der zukünftigen Gesellschaftsordnung. Er warnt die
Großbürger vor Wiederholung der in der Revolution begangueu Fehler. Bei
deren Beginn hätten sie es in der Hand gehabt, im Verein mit dem sehr
gutgesinnten Könige die Entwicklung in eine gesunde Bahn zu lenken, und
wenn auch nicht die intellektuelle und moralische Auflösung, die ja schon ein¬
getreten war, so doch wenigstens die äußere Zerstörung abzuwenden. Aber
sie überließen, meint er, die Arbeit den Advokaten (er nennt sie Legistenj und
MetaPhysikern, während zugleich der König, von ihnen im Stich gelassen,
zur Reaktion überging, und so wurde denn aus der Reformbewegung nur
ein Zerstörungswerk. Von der gegenwärtigen politischen Partei des Bürger¬
tums sei nichts zu hoffen; hinter ihrem Liberalismus verberge sich rohe
Selbstsucht: Sie-toi <Z<z ig,, Huc in'^ mette sei ihre Losung. Unter dem
Deckmantel des Liberalismus erstrebten die Bonapartisten einen Wechsel der
Dynastie, um sich von dein neuen Monarchen Privilegien schenken zu lassen.
Unsre Aufgabe, sagt er denen, die an seiner Arbeit teilnehmen wollen, ist es,
(es iQsttre 6 e8 kalt8 s, 1i" xlaoe ass raisoullkinents ass mstapl^sivisus. In
der zu organisierenden Jndustriegesellschaft sind also die Unternehmer die natür¬
lichen Herrscher, und es ist klar, daß sie, wie im Staate, so auch in ihren
Fabriken regieren müssen. Die Demokratie lehnt er entschieden ab. "Hat
man die schreckliche Anarchie vergessen, in die der demokratische Konvent das
Land gestürzt hat?" Die Arbeiter läßt er zu ihren Brotherren sprechen:
"Ihr seid reich, und wir sind arm; ihr arbeitet mit dem Kopf und wir mit
unsrer Muskelkraft; aus diesen beiden fundamentalen Unterschieden folgt, daß
wir euch Untertan sein müssen." Allerdings soll diese Untertänigkeit nicht
den Charakter des militärischen Gehorsams tragen; sie wird durch die Einsicht
gemildert, daß Unternehmer und Arbeiter Glieder eines Organismus und
beide gleich unentbehrlich sind: "das ist das Schöne an der industriellen
Tätigkeit >bei der landwirtschaftlichen verhält es sich doch auch nicht anders),
daß alle darin Beschäftigten, vom niedrigsten Arbeiter bis zum reichsten
Fabrikanten und zum tüchtigsten Ingenieur, Genossen (eollanmÄtöurs, asso-
"68) sind."


Gesetz und Verfassung beruht. Aber bei solcher Gleichheit der Regierungs¬
form — welcher Unterschied in der Lage der Regierten! Es gibt kein un¬
glücklicheres Volk, keins, das mehr gemißhandelt und ungerechter regiert würde
als die Türken; dagegen gibt es keins, das sich wirklicher Freiheit in reich¬
licheren Maße erfreute als das dänische, keins, auch das englische nicht aus¬
genommen, in dem weniger von Willkürherrschaft zu spüren, die Verwaltung
wohlfeiler wäre. Woher dieser Unterschied? Von der Verfassung doch sicherlich
nicht, da ja beide Länder dieselbe haben." Damit ist der Begriff der Gesell¬
schaft gewonnen und der Grund zur neuen Wissenschaft der Soziologie gelegt.
Nicht in der Konstitution, sondern in den Banken, die Kaufleute, Fabrikanten
und Landwirte zu gemeinsamer volkswirtschaftlich nützlicher Tätigkeit organi¬
sieren, sieht er Keime der zukünftigen Gesellschaftsordnung. Er warnt die
Großbürger vor Wiederholung der in der Revolution begangueu Fehler. Bei
deren Beginn hätten sie es in der Hand gehabt, im Verein mit dem sehr
gutgesinnten Könige die Entwicklung in eine gesunde Bahn zu lenken, und
wenn auch nicht die intellektuelle und moralische Auflösung, die ja schon ein¬
getreten war, so doch wenigstens die äußere Zerstörung abzuwenden. Aber
sie überließen, meint er, die Arbeit den Advokaten (er nennt sie Legistenj und
MetaPhysikern, während zugleich der König, von ihnen im Stich gelassen,
zur Reaktion überging, und so wurde denn aus der Reformbewegung nur
ein Zerstörungswerk. Von der gegenwärtigen politischen Partei des Bürger¬
tums sei nichts zu hoffen; hinter ihrem Liberalismus verberge sich rohe
Selbstsucht: Sie-toi <Z<z ig,, Huc in'^ mette sei ihre Losung. Unter dem
Deckmantel des Liberalismus erstrebten die Bonapartisten einen Wechsel der
Dynastie, um sich von dein neuen Monarchen Privilegien schenken zu lassen.
Unsre Aufgabe, sagt er denen, die an seiner Arbeit teilnehmen wollen, ist es,
(es iQsttre 6 e8 kalt8 s, 1i» xlaoe ass raisoullkinents ass mstapl^sivisus. In
der zu organisierenden Jndustriegesellschaft sind also die Unternehmer die natür¬
lichen Herrscher, und es ist klar, daß sie, wie im Staate, so auch in ihren
Fabriken regieren müssen. Die Demokratie lehnt er entschieden ab. „Hat
man die schreckliche Anarchie vergessen, in die der demokratische Konvent das
Land gestürzt hat?" Die Arbeiter läßt er zu ihren Brotherren sprechen:
„Ihr seid reich, und wir sind arm; ihr arbeitet mit dem Kopf und wir mit
unsrer Muskelkraft; aus diesen beiden fundamentalen Unterschieden folgt, daß
wir euch Untertan sein müssen." Allerdings soll diese Untertänigkeit nicht
den Charakter des militärischen Gehorsams tragen; sie wird durch die Einsicht
gemildert, daß Unternehmer und Arbeiter Glieder eines Organismus und
beide gleich unentbehrlich sind: „das ist das Schöne an der industriellen
Tätigkeit >bei der landwirtschaftlichen verhält es sich doch auch nicht anders),
daß alle darin Beschäftigten, vom niedrigsten Arbeiter bis zum reichsten
Fabrikanten und zum tüchtigsten Ingenieur, Genossen (eollanmÄtöurs, asso-
"68) sind."


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[0135] Gesetz und Verfassung beruht. Aber bei solcher Gleichheit der Regierungs¬ form — welcher Unterschied in der Lage der Regierten! Es gibt kein un¬ glücklicheres Volk, keins, das mehr gemißhandelt und ungerechter regiert würde als die Türken; dagegen gibt es keins, das sich wirklicher Freiheit in reich¬ licheren Maße erfreute als das dänische, keins, auch das englische nicht aus¬ genommen, in dem weniger von Willkürherrschaft zu spüren, die Verwaltung wohlfeiler wäre. Woher dieser Unterschied? Von der Verfassung doch sicherlich nicht, da ja beide Länder dieselbe haben." Damit ist der Begriff der Gesell¬ schaft gewonnen und der Grund zur neuen Wissenschaft der Soziologie gelegt. Nicht in der Konstitution, sondern in den Banken, die Kaufleute, Fabrikanten und Landwirte zu gemeinsamer volkswirtschaftlich nützlicher Tätigkeit organi¬ sieren, sieht er Keime der zukünftigen Gesellschaftsordnung. Er warnt die Großbürger vor Wiederholung der in der Revolution begangueu Fehler. Bei deren Beginn hätten sie es in der Hand gehabt, im Verein mit dem sehr gutgesinnten Könige die Entwicklung in eine gesunde Bahn zu lenken, und wenn auch nicht die intellektuelle und moralische Auflösung, die ja schon ein¬ getreten war, so doch wenigstens die äußere Zerstörung abzuwenden. Aber sie überließen, meint er, die Arbeit den Advokaten (er nennt sie Legistenj und MetaPhysikern, während zugleich der König, von ihnen im Stich gelassen, zur Reaktion überging, und so wurde denn aus der Reformbewegung nur ein Zerstörungswerk. Von der gegenwärtigen politischen Partei des Bürger¬ tums sei nichts zu hoffen; hinter ihrem Liberalismus verberge sich rohe Selbstsucht: Sie-toi <Z<z ig,, Huc in'^ mette sei ihre Losung. Unter dem Deckmantel des Liberalismus erstrebten die Bonapartisten einen Wechsel der Dynastie, um sich von dein neuen Monarchen Privilegien schenken zu lassen. Unsre Aufgabe, sagt er denen, die an seiner Arbeit teilnehmen wollen, ist es, (es iQsttre 6 e8 kalt8 s, 1i» xlaoe ass raisoullkinents ass mstapl^sivisus. In der zu organisierenden Jndustriegesellschaft sind also die Unternehmer die natür¬ lichen Herrscher, und es ist klar, daß sie, wie im Staate, so auch in ihren Fabriken regieren müssen. Die Demokratie lehnt er entschieden ab. „Hat man die schreckliche Anarchie vergessen, in die der demokratische Konvent das Land gestürzt hat?" Die Arbeiter läßt er zu ihren Brotherren sprechen: „Ihr seid reich, und wir sind arm; ihr arbeitet mit dem Kopf und wir mit unsrer Muskelkraft; aus diesen beiden fundamentalen Unterschieden folgt, daß wir euch Untertan sein müssen." Allerdings soll diese Untertänigkeit nicht den Charakter des militärischen Gehorsams tragen; sie wird durch die Einsicht gemildert, daß Unternehmer und Arbeiter Glieder eines Organismus und beide gleich unentbehrlich sind: „das ist das Schöne an der industriellen Tätigkeit >bei der landwirtschaftlichen verhält es sich doch auch nicht anders), daß alle darin Beschäftigten, vom niedrigsten Arbeiter bis zum reichsten Fabrikanten und zum tüchtigsten Ingenieur, Genossen (eollanmÄtöurs, asso- "68) sind."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/135>, abgerufen am 22.07.2024.