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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Englische Gedanken über kriegerische Macht

Wertigkeit offensiven Handelns auf. England hat einen Bündnisvertrag mit
Japan, eine Lntönts ooräialö mit Frankreich, neuerdings ein Abkommen mit
Rußland, es hat die Neutralität von Belgien und Holland und die Integrität
der Türkei garantiert. Verbündete Mächte aber kümmern sich um die Wehr-
haftigkeit ihres Partners, und solche, mit denen man einen Vertrag abschließen
mochte, machen den Abschluß von der Stärke der Wehrmacht des andern Ver¬
tragsteilnehmers abhängig.

Wenn aber zugegeben werden muß, daß die Entwicklung der britischen
Landmacht nicht Schritt gehalten hat mit dem Wachsen des Reiches, wie steht
es denn mit der Herrschaft zur See? Die britische Flotte ist zwar heute an
sich stärker, als sie je zuvor gewesen ist, im Verhältnis zu andern Mächten
aber ist sie heute schwächer als im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts.

Im Jahre 1801 war die britische Flotte stärker als die vereinigten See¬
streitkräfte ganz Europas. Heute ist das Verhältnis der britischen Flotte zu
den bedeutenden Flotten der übrigen Welt nach einer Berechnung, die wir hier
nicht im einzelnen wiedergeben können, und für deren Richtigkeit wir auch
keine Verantwortung übernehmen, das folgende:

England..........747 Punkte 82 Gefechtseinheiten (d,h, SchlachtMfe
und Panzerkreuzer)
Frankreich und Deutschland ....74481
Frankreich und Rußland.....567 " 61
Frankreich und die Vereinigten Staaten810 " 87
England und Japan......988 " 107
Deutschland und Rußland. . . . .499 " 48
Deutschland und die Vereinigten Staaten7S2 " 74

Daraus ergibt sich, daß mehrere Zweimächtekombinationen die englische
Flotte an Stärke übertreffen, andre sie annähernd erreichen. Ein weiterer
ungünstiger Umstand für die britische Flotte ist ferner die ungenügende Stärke
der Seereserve, die immer bedrohlicher wird und eine genügende Bemannung der
Schiffe, namentlich nach eingetretnen Verlusten, sehr in Frage stellt.

Faßt man die Aufgaben, vor die in einem Kriege sich die britische Flotte
gestellt sehen wird, folgendermaßen zusammen: 1. Zerstörung der feindlichen
Flotten oder Blockierung in ihren eignen Häfen, 2. Schutz des Handels,
3. Schutz der Kohlenstationen und 4. Begleitung von Truppentransporten
über See, so muß man zugeben, daß diese Aufgaben so vielseitig sind, daß
ihnen die Flotte nicht gleichzeitig und in vollem Umfang gerecht werden kann.

Nur ein Beispiel soll dartun, wie sich die Verhältnisse in einem Jahr¬
hundert verändert haben, und wie damit im einzelnen die Aufgaben der Flotte
gewachsen sind. Zum "Schutz des Handels" gehört auch der Schutz für die
Kornzufuhr nach dem Vereinigten Königreich.

Die Bevölkerung betrug im Jahre 1801 15 Millionen Köpfe und ver¬
zehrte 14 Millionen Viertelzentner Weizen heimischer Produktion und 900000
fremder; die Bevölkerung im Jahre 1906 betrug mehr als 43 Millionen Köpfe


Englische Gedanken über kriegerische Macht

Wertigkeit offensiven Handelns auf. England hat einen Bündnisvertrag mit
Japan, eine Lntönts ooräialö mit Frankreich, neuerdings ein Abkommen mit
Rußland, es hat die Neutralität von Belgien und Holland und die Integrität
der Türkei garantiert. Verbündete Mächte aber kümmern sich um die Wehr-
haftigkeit ihres Partners, und solche, mit denen man einen Vertrag abschließen
mochte, machen den Abschluß von der Stärke der Wehrmacht des andern Ver¬
tragsteilnehmers abhängig.

Wenn aber zugegeben werden muß, daß die Entwicklung der britischen
Landmacht nicht Schritt gehalten hat mit dem Wachsen des Reiches, wie steht
es denn mit der Herrschaft zur See? Die britische Flotte ist zwar heute an
sich stärker, als sie je zuvor gewesen ist, im Verhältnis zu andern Mächten
aber ist sie heute schwächer als im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts.

Im Jahre 1801 war die britische Flotte stärker als die vereinigten See¬
streitkräfte ganz Europas. Heute ist das Verhältnis der britischen Flotte zu
den bedeutenden Flotten der übrigen Welt nach einer Berechnung, die wir hier
nicht im einzelnen wiedergeben können, und für deren Richtigkeit wir auch
keine Verantwortung übernehmen, das folgende:

England..........747 Punkte 82 Gefechtseinheiten (d,h, SchlachtMfe
und Panzerkreuzer)
Frankreich und Deutschland ....74481
Frankreich und Rußland.....567 „ 61
Frankreich und die Vereinigten Staaten810 „ 87
England und Japan......988 „ 107
Deutschland und Rußland. . . . .499 „ 48
Deutschland und die Vereinigten Staaten7S2 „ 74

Daraus ergibt sich, daß mehrere Zweimächtekombinationen die englische
Flotte an Stärke übertreffen, andre sie annähernd erreichen. Ein weiterer
ungünstiger Umstand für die britische Flotte ist ferner die ungenügende Stärke
der Seereserve, die immer bedrohlicher wird und eine genügende Bemannung der
Schiffe, namentlich nach eingetretnen Verlusten, sehr in Frage stellt.

Faßt man die Aufgaben, vor die in einem Kriege sich die britische Flotte
gestellt sehen wird, folgendermaßen zusammen: 1. Zerstörung der feindlichen
Flotten oder Blockierung in ihren eignen Häfen, 2. Schutz des Handels,
3. Schutz der Kohlenstationen und 4. Begleitung von Truppentransporten
über See, so muß man zugeben, daß diese Aufgaben so vielseitig sind, daß
ihnen die Flotte nicht gleichzeitig und in vollem Umfang gerecht werden kann.

Nur ein Beispiel soll dartun, wie sich die Verhältnisse in einem Jahr¬
hundert verändert haben, und wie damit im einzelnen die Aufgaben der Flotte
gewachsen sind. Zum „Schutz des Handels" gehört auch der Schutz für die
Kornzufuhr nach dem Vereinigten Königreich.

Die Bevölkerung betrug im Jahre 1801 15 Millionen Köpfe und ver¬
zehrte 14 Millionen Viertelzentner Weizen heimischer Produktion und 900000
fremder; die Bevölkerung im Jahre 1906 betrug mehr als 43 Millionen Köpfe


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[0669] Englische Gedanken über kriegerische Macht Wertigkeit offensiven Handelns auf. England hat einen Bündnisvertrag mit Japan, eine Lntönts ooräialö mit Frankreich, neuerdings ein Abkommen mit Rußland, es hat die Neutralität von Belgien und Holland und die Integrität der Türkei garantiert. Verbündete Mächte aber kümmern sich um die Wehr- haftigkeit ihres Partners, und solche, mit denen man einen Vertrag abschließen mochte, machen den Abschluß von der Stärke der Wehrmacht des andern Ver¬ tragsteilnehmers abhängig. Wenn aber zugegeben werden muß, daß die Entwicklung der britischen Landmacht nicht Schritt gehalten hat mit dem Wachsen des Reiches, wie steht es denn mit der Herrschaft zur See? Die britische Flotte ist zwar heute an sich stärker, als sie je zuvor gewesen ist, im Verhältnis zu andern Mächten aber ist sie heute schwächer als im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts. Im Jahre 1801 war die britische Flotte stärker als die vereinigten See¬ streitkräfte ganz Europas. Heute ist das Verhältnis der britischen Flotte zu den bedeutenden Flotten der übrigen Welt nach einer Berechnung, die wir hier nicht im einzelnen wiedergeben können, und für deren Richtigkeit wir auch keine Verantwortung übernehmen, das folgende: England..........747 Punkte 82 Gefechtseinheiten (d,h, SchlachtMfe und Panzerkreuzer) Frankreich und Deutschland ....74481 Frankreich und Rußland.....567 „ 61 Frankreich und die Vereinigten Staaten810 „ 87 England und Japan......988 „ 107 Deutschland und Rußland. . . . .499 „ 48 Deutschland und die Vereinigten Staaten7S2 „ 74 Daraus ergibt sich, daß mehrere Zweimächtekombinationen die englische Flotte an Stärke übertreffen, andre sie annähernd erreichen. Ein weiterer ungünstiger Umstand für die britische Flotte ist ferner die ungenügende Stärke der Seereserve, die immer bedrohlicher wird und eine genügende Bemannung der Schiffe, namentlich nach eingetretnen Verlusten, sehr in Frage stellt. Faßt man die Aufgaben, vor die in einem Kriege sich die britische Flotte gestellt sehen wird, folgendermaßen zusammen: 1. Zerstörung der feindlichen Flotten oder Blockierung in ihren eignen Häfen, 2. Schutz des Handels, 3. Schutz der Kohlenstationen und 4. Begleitung von Truppentransporten über See, so muß man zugeben, daß diese Aufgaben so vielseitig sind, daß ihnen die Flotte nicht gleichzeitig und in vollem Umfang gerecht werden kann. Nur ein Beispiel soll dartun, wie sich die Verhältnisse in einem Jahr¬ hundert verändert haben, und wie damit im einzelnen die Aufgaben der Flotte gewachsen sind. Zum „Schutz des Handels" gehört auch der Schutz für die Kornzufuhr nach dem Vereinigten Königreich. Die Bevölkerung betrug im Jahre 1801 15 Millionen Köpfe und ver¬ zehrte 14 Millionen Viertelzentner Weizen heimischer Produktion und 900000 fremder; die Bevölkerung im Jahre 1906 betrug mehr als 43 Millionen Köpfe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/669>, abgerufen am 01.07.2024.