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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Baustil und Mode

Es hat jede Geschichte ihren besondern Stil gehabt, ja man muß zugeben,
daß auch jene Zeiten einen eignen Stil gehabt haben, die reichlich und weidlich
"kupferten". Hat doch die Renaissance die Antike, die Neogotik jene alte echte
Gotik zum Vorbilde gehabt. Es ist beim Kupfern immer gut, wenn man
schlechte Vorbilder hat. denn dann ist man ja gezwungen, immerhin noch etwas
eignes hinzuzutragen, und so hört denn der Stil eigentlich erst auf, seit wir
die außerordentlichen Verbesserungen in den Vervielfältigungen und Abbildungs¬
verfahren haben. Heutzutage muß einer schon mit Gewalt ein gut Stück
Kunstgeschichte negieren, will er seiner Persönlichkeit noch Raum zur Betätigung
geben. Wenn wir aber trotz der vielen Klagen, Anklagen und Befreiungs¬
versuche noch immer in den alten Stilen herumtappen, wenn wir gotische
Kirchen, Renaissancepaläste oder auch Barockpalüste errichten, können wir dann
noch bei diesen heute entstehenden Bauten im alten Gewände von einem Stil
sprechen? Wird unsre Zeit in dieser Architektur ausgedrückt? Nein. Kaum,
daß man einige neue Grundrißanordnungen für die protestantische Predigt¬
kirche erreicht hat, im Aufbau blieb alles beim alten. Und warum? Weil
unser religiöses Denken so schwächlich und kränklich geworden ist. Und im
Wohnhausbau sieht es nicht viel besser aus. Was nützt uns der Firlefanz
einer Renaissancemaskerade, wo doch unsre Bedürfnisse, Anschauungen und
Persönlichkeiten ganz andre sind als im Cinquecento? Wir müssen von solchen
Darstellungsformen nicht als von einem Stil, sondern von einer Mode reden.

In einen scharfen Gegensatz zu dem Begriffe Stil tritt nämlich das Wort
Mode. Während nämlich der Stil etwas aus Zeitanschauung, Persönlichkeit des
Schaffenden und Darstellungsstoff notwendig gefolgertes ist, bezeichnet das
Wort Mode in dem heute üblichen Sprachgebrauch etwas rein Zufälliges, Will¬
kürliches. Man wechselt die Kleidermode in jedem Jahre, ohne daß die Er¬
fahrungen, die man mit dem alten Schnitt gemacht hätte, einen Modernen
zu einem andern bessern Schnitt gebracht hätten, sondern man ändert eben aus
Vergnügen an der Änderung. Stil ist etwas innerlich langsam gewordnes,
Mode etwas äußerlich willkürliches. Ein Stil braucht Jahrhunderte, um aus¬
zureisen, so der romanische rund von 1000 bis 1200, der gotische von 1200
bis 1500; im neunzehnten Jahrhundert aber hat man alle Stile kennen
gelernt nicht etwa, weil der moderne Geist so beweglich ist, daß er das in einem
Jahrhundert schafft, was man vordem in achtzehn Jahrhunderten erreicht hätte,
sondern weil man überhaupt keinen Stil hervorbrachte und das Wort Stil
falsch brauchte. Man mußte im neunzehnten Jahrhundert von einer Renaissance-,
romanischen, gotischen und in der letzten Zeit von einer Barock- und Biedermeier¬
mode sprechen.

Aus dem bisher Gesagten folgern wir die Bedingungen für einen modernen
Stil. 1. Zeit und ihre Ansprüche, Sitten. Anschauungen. Worin leistet unsre
Zeit etwas? Was bewegt heutzutage am meisten die Gemüter? Es waren
bisher: das Geschüft, der Verkehr, Genußsucht, Vergnügen und in der allerletzten


Baustil und Mode

Es hat jede Geschichte ihren besondern Stil gehabt, ja man muß zugeben,
daß auch jene Zeiten einen eignen Stil gehabt haben, die reichlich und weidlich
„kupferten". Hat doch die Renaissance die Antike, die Neogotik jene alte echte
Gotik zum Vorbilde gehabt. Es ist beim Kupfern immer gut, wenn man
schlechte Vorbilder hat. denn dann ist man ja gezwungen, immerhin noch etwas
eignes hinzuzutragen, und so hört denn der Stil eigentlich erst auf, seit wir
die außerordentlichen Verbesserungen in den Vervielfältigungen und Abbildungs¬
verfahren haben. Heutzutage muß einer schon mit Gewalt ein gut Stück
Kunstgeschichte negieren, will er seiner Persönlichkeit noch Raum zur Betätigung
geben. Wenn wir aber trotz der vielen Klagen, Anklagen und Befreiungs¬
versuche noch immer in den alten Stilen herumtappen, wenn wir gotische
Kirchen, Renaissancepaläste oder auch Barockpalüste errichten, können wir dann
noch bei diesen heute entstehenden Bauten im alten Gewände von einem Stil
sprechen? Wird unsre Zeit in dieser Architektur ausgedrückt? Nein. Kaum,
daß man einige neue Grundrißanordnungen für die protestantische Predigt¬
kirche erreicht hat, im Aufbau blieb alles beim alten. Und warum? Weil
unser religiöses Denken so schwächlich und kränklich geworden ist. Und im
Wohnhausbau sieht es nicht viel besser aus. Was nützt uns der Firlefanz
einer Renaissancemaskerade, wo doch unsre Bedürfnisse, Anschauungen und
Persönlichkeiten ganz andre sind als im Cinquecento? Wir müssen von solchen
Darstellungsformen nicht als von einem Stil, sondern von einer Mode reden.

In einen scharfen Gegensatz zu dem Begriffe Stil tritt nämlich das Wort
Mode. Während nämlich der Stil etwas aus Zeitanschauung, Persönlichkeit des
Schaffenden und Darstellungsstoff notwendig gefolgertes ist, bezeichnet das
Wort Mode in dem heute üblichen Sprachgebrauch etwas rein Zufälliges, Will¬
kürliches. Man wechselt die Kleidermode in jedem Jahre, ohne daß die Er¬
fahrungen, die man mit dem alten Schnitt gemacht hätte, einen Modernen
zu einem andern bessern Schnitt gebracht hätten, sondern man ändert eben aus
Vergnügen an der Änderung. Stil ist etwas innerlich langsam gewordnes,
Mode etwas äußerlich willkürliches. Ein Stil braucht Jahrhunderte, um aus¬
zureisen, so der romanische rund von 1000 bis 1200, der gotische von 1200
bis 1500; im neunzehnten Jahrhundert aber hat man alle Stile kennen
gelernt nicht etwa, weil der moderne Geist so beweglich ist, daß er das in einem
Jahrhundert schafft, was man vordem in achtzehn Jahrhunderten erreicht hätte,
sondern weil man überhaupt keinen Stil hervorbrachte und das Wort Stil
falsch brauchte. Man mußte im neunzehnten Jahrhundert von einer Renaissance-,
romanischen, gotischen und in der letzten Zeit von einer Barock- und Biedermeier¬
mode sprechen.

Aus dem bisher Gesagten folgern wir die Bedingungen für einen modernen
Stil. 1. Zeit und ihre Ansprüche, Sitten. Anschauungen. Worin leistet unsre
Zeit etwas? Was bewegt heutzutage am meisten die Gemüter? Es waren
bisher: das Geschüft, der Verkehr, Genußsucht, Vergnügen und in der allerletzten


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[0642] Baustil und Mode Es hat jede Geschichte ihren besondern Stil gehabt, ja man muß zugeben, daß auch jene Zeiten einen eignen Stil gehabt haben, die reichlich und weidlich „kupferten". Hat doch die Renaissance die Antike, die Neogotik jene alte echte Gotik zum Vorbilde gehabt. Es ist beim Kupfern immer gut, wenn man schlechte Vorbilder hat. denn dann ist man ja gezwungen, immerhin noch etwas eignes hinzuzutragen, und so hört denn der Stil eigentlich erst auf, seit wir die außerordentlichen Verbesserungen in den Vervielfältigungen und Abbildungs¬ verfahren haben. Heutzutage muß einer schon mit Gewalt ein gut Stück Kunstgeschichte negieren, will er seiner Persönlichkeit noch Raum zur Betätigung geben. Wenn wir aber trotz der vielen Klagen, Anklagen und Befreiungs¬ versuche noch immer in den alten Stilen herumtappen, wenn wir gotische Kirchen, Renaissancepaläste oder auch Barockpalüste errichten, können wir dann noch bei diesen heute entstehenden Bauten im alten Gewände von einem Stil sprechen? Wird unsre Zeit in dieser Architektur ausgedrückt? Nein. Kaum, daß man einige neue Grundrißanordnungen für die protestantische Predigt¬ kirche erreicht hat, im Aufbau blieb alles beim alten. Und warum? Weil unser religiöses Denken so schwächlich und kränklich geworden ist. Und im Wohnhausbau sieht es nicht viel besser aus. Was nützt uns der Firlefanz einer Renaissancemaskerade, wo doch unsre Bedürfnisse, Anschauungen und Persönlichkeiten ganz andre sind als im Cinquecento? Wir müssen von solchen Darstellungsformen nicht als von einem Stil, sondern von einer Mode reden. In einen scharfen Gegensatz zu dem Begriffe Stil tritt nämlich das Wort Mode. Während nämlich der Stil etwas aus Zeitanschauung, Persönlichkeit des Schaffenden und Darstellungsstoff notwendig gefolgertes ist, bezeichnet das Wort Mode in dem heute üblichen Sprachgebrauch etwas rein Zufälliges, Will¬ kürliches. Man wechselt die Kleidermode in jedem Jahre, ohne daß die Er¬ fahrungen, die man mit dem alten Schnitt gemacht hätte, einen Modernen zu einem andern bessern Schnitt gebracht hätten, sondern man ändert eben aus Vergnügen an der Änderung. Stil ist etwas innerlich langsam gewordnes, Mode etwas äußerlich willkürliches. Ein Stil braucht Jahrhunderte, um aus¬ zureisen, so der romanische rund von 1000 bis 1200, der gotische von 1200 bis 1500; im neunzehnten Jahrhundert aber hat man alle Stile kennen gelernt nicht etwa, weil der moderne Geist so beweglich ist, daß er das in einem Jahrhundert schafft, was man vordem in achtzehn Jahrhunderten erreicht hätte, sondern weil man überhaupt keinen Stil hervorbrachte und das Wort Stil falsch brauchte. Man mußte im neunzehnten Jahrhundert von einer Renaissance-, romanischen, gotischen und in der letzten Zeit von einer Barock- und Biedermeier¬ mode sprechen. Aus dem bisher Gesagten folgern wir die Bedingungen für einen modernen Stil. 1. Zeit und ihre Ansprüche, Sitten. Anschauungen. Worin leistet unsre Zeit etwas? Was bewegt heutzutage am meisten die Gemüter? Es waren bisher: das Geschüft, der Verkehr, Genußsucht, Vergnügen und in der allerletzten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/642>, abgerufen am 03.07.2024.