Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Baustil und Mode

hinein, doch sind hier die einzelnen Künstlernaturen, vor allem in der Baukunst,
viel schwerer zu unterscheiden. Es erscheint uns in jenen frühern, fernern
Jahrhunderten vielmehr ein Gesamtbild der Zeit als ein Bild mit vielen
einzelnen Sonderheiten. So wird jedes Kunstwerk die ganze Zeit und die
einzelne Persönlichkeit widerspiegeln. Ein Phidias schuf große, erhabne Werke,
während ein Praxiteles seinen Gestalten Grazie einzuhauchen verstand, und das
nicht nur deshalb, weil Praxiteles ein andrer war als Phidias, sondern weil
das ganze Zeitalter weniger streng, lebenslustiger, genußsüchtiger geworden war.
Weil aber mehr oder weniger der Künstler mit seinen Werken aufgeht in dem
ganzen Geist der Zeit, so haben nur ganz wenige mächtige Herrscher in der
Kunst es vermocht, ihren persönlichen Stil zu einem Gattungsbegriff zu er¬
heben. Man spricht in diesem Sinne von einem Bramantesken, Michel-
angelesken Stil.

Ebenso wichtig wie die Künstlernatur und die Zeit ist nun die Forderung
des Darstellungsstoffes. Man kennt in der Kunst einen Holzstil, einen Stein¬
heil, einen Bronzestil usw. Jedes Material fordert eine andre Bearbeitung;
in der Plastik gibt Holz feine, scharfkantige Formen. Stein breite volle Waffen,
während jedes Metall eine andre Form je nach der Härte verlangt. Es ist
eine Stillosigkeit, wenn man gegen die Forderungen des Materials verstößt.
In der Baukunst verlangt jedes Material eine andre Konstruktion: man kann
w Holz einen Raum flach überdecken, der Stein jedoch verlangt eine Wölbung.
Es ist somit klar, daß jeder Stil die unbedingte, notwendige Folge von drei
Ursachen sein muß: Zeit, Persönlichkeit, Darstellungsstoff.

Der griechisch-dorische Stil erwuchs auf dem rauhen Boden von Böotien,
während der ionische auf Attika und in den Kolonien seine höchste Blüte er¬
reichte. Die reiche korinthische Ordnung sagte am meisten den prachtliebenden
spätern Geschlechtern und den Römern zu. Die Berührung mit dem farben¬
freudigen, phantastischen Orient in Kleinasien erzeugte erst den schwerern
romanischen, dann in dem vorgerückten Mittelalter mit dem ungestümen Drange
nach dem Lichte, mit dem Zauber der ritterlichen Romantik den graziösen, un¬
ruhigen, senkrecht strebenden gotischen Stil. Bürgerliche Solidität und Stolz
zeigen sich uns in den Werken der deutschen Renaissance, während uns aus den
Schöpfungen des achtzehnten Jahrhunderts unverkennbar eine gewisse höfische
Courtoisie und Eleganz anschaun. Und wie hier der Geist der Zeit, so spricht
auch das Material aus dem Stile. Keine schlimmere Verirrung gibt es, als
wenn man, wie noch vor vierzig Jahren, Hausteinformen in Backstein nachahmt.
Damals sind jene Gebäude in dem schlichtem Material entstanden, die uns
heute wie Zuckerbäckerware anmuten. Noch schlimmer jedoch, wenn man in
dem edlern Material gar Zuckerbückerwaren selbst nachahmt, was denn heut¬
zutage noch in sehr bedeutenden Bauten vorkommen soll! Es ist der Stil die
unbedingte Folgerung aus dem Material und der Konstruktion, die aus dem
Material folgt.


Baustil und Mode

hinein, doch sind hier die einzelnen Künstlernaturen, vor allem in der Baukunst,
viel schwerer zu unterscheiden. Es erscheint uns in jenen frühern, fernern
Jahrhunderten vielmehr ein Gesamtbild der Zeit als ein Bild mit vielen
einzelnen Sonderheiten. So wird jedes Kunstwerk die ganze Zeit und die
einzelne Persönlichkeit widerspiegeln. Ein Phidias schuf große, erhabne Werke,
während ein Praxiteles seinen Gestalten Grazie einzuhauchen verstand, und das
nicht nur deshalb, weil Praxiteles ein andrer war als Phidias, sondern weil
das ganze Zeitalter weniger streng, lebenslustiger, genußsüchtiger geworden war.
Weil aber mehr oder weniger der Künstler mit seinen Werken aufgeht in dem
ganzen Geist der Zeit, so haben nur ganz wenige mächtige Herrscher in der
Kunst es vermocht, ihren persönlichen Stil zu einem Gattungsbegriff zu er¬
heben. Man spricht in diesem Sinne von einem Bramantesken, Michel-
angelesken Stil.

Ebenso wichtig wie die Künstlernatur und die Zeit ist nun die Forderung
des Darstellungsstoffes. Man kennt in der Kunst einen Holzstil, einen Stein¬
heil, einen Bronzestil usw. Jedes Material fordert eine andre Bearbeitung;
in der Plastik gibt Holz feine, scharfkantige Formen. Stein breite volle Waffen,
während jedes Metall eine andre Form je nach der Härte verlangt. Es ist
eine Stillosigkeit, wenn man gegen die Forderungen des Materials verstößt.
In der Baukunst verlangt jedes Material eine andre Konstruktion: man kann
w Holz einen Raum flach überdecken, der Stein jedoch verlangt eine Wölbung.
Es ist somit klar, daß jeder Stil die unbedingte, notwendige Folge von drei
Ursachen sein muß: Zeit, Persönlichkeit, Darstellungsstoff.

Der griechisch-dorische Stil erwuchs auf dem rauhen Boden von Böotien,
während der ionische auf Attika und in den Kolonien seine höchste Blüte er¬
reichte. Die reiche korinthische Ordnung sagte am meisten den prachtliebenden
spätern Geschlechtern und den Römern zu. Die Berührung mit dem farben¬
freudigen, phantastischen Orient in Kleinasien erzeugte erst den schwerern
romanischen, dann in dem vorgerückten Mittelalter mit dem ungestümen Drange
nach dem Lichte, mit dem Zauber der ritterlichen Romantik den graziösen, un¬
ruhigen, senkrecht strebenden gotischen Stil. Bürgerliche Solidität und Stolz
zeigen sich uns in den Werken der deutschen Renaissance, während uns aus den
Schöpfungen des achtzehnten Jahrhunderts unverkennbar eine gewisse höfische
Courtoisie und Eleganz anschaun. Und wie hier der Geist der Zeit, so spricht
auch das Material aus dem Stile. Keine schlimmere Verirrung gibt es, als
wenn man, wie noch vor vierzig Jahren, Hausteinformen in Backstein nachahmt.
Damals sind jene Gebäude in dem schlichtem Material entstanden, die uns
heute wie Zuckerbäckerware anmuten. Noch schlimmer jedoch, wenn man in
dem edlern Material gar Zuckerbückerwaren selbst nachahmt, was denn heut¬
zutage noch in sehr bedeutenden Bauten vorkommen soll! Es ist der Stil die
unbedingte Folgerung aus dem Material und der Konstruktion, die aus dem
Material folgt.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0641" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/304057"/>
          <fw type="header" place="top"> Baustil und Mode</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2767" prev="#ID_2766"> hinein, doch sind hier die einzelnen Künstlernaturen, vor allem in der Baukunst,<lb/>
viel schwerer zu unterscheiden. Es erscheint uns in jenen frühern, fernern<lb/>
Jahrhunderten vielmehr ein Gesamtbild der Zeit als ein Bild mit vielen<lb/>
einzelnen Sonderheiten. So wird jedes Kunstwerk die ganze Zeit und die<lb/>
einzelne Persönlichkeit widerspiegeln. Ein Phidias schuf große, erhabne Werke,<lb/>
während ein Praxiteles seinen Gestalten Grazie einzuhauchen verstand, und das<lb/>
nicht nur deshalb, weil Praxiteles ein andrer war als Phidias, sondern weil<lb/>
das ganze Zeitalter weniger streng, lebenslustiger, genußsüchtiger geworden war.<lb/>
Weil aber mehr oder weniger der Künstler mit seinen Werken aufgeht in dem<lb/>
ganzen Geist der Zeit, so haben nur ganz wenige mächtige Herrscher in der<lb/>
Kunst es vermocht, ihren persönlichen Stil zu einem Gattungsbegriff zu er¬<lb/>
heben. Man spricht in diesem Sinne von einem Bramantesken, Michel-<lb/>
angelesken Stil.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2768"> Ebenso wichtig wie die Künstlernatur und die Zeit ist nun die Forderung<lb/>
des Darstellungsstoffes. Man kennt in der Kunst einen Holzstil, einen Stein¬<lb/>
heil, einen Bronzestil usw. Jedes Material fordert eine andre Bearbeitung;<lb/>
in der Plastik gibt Holz feine, scharfkantige Formen. Stein breite volle Waffen,<lb/>
während jedes Metall eine andre Form je nach der Härte verlangt. Es ist<lb/>
eine Stillosigkeit, wenn man gegen die Forderungen des Materials verstößt.<lb/>
In der Baukunst verlangt jedes Material eine andre Konstruktion: man kann<lb/>
w Holz einen Raum flach überdecken, der Stein jedoch verlangt eine Wölbung.<lb/>
Es ist somit klar, daß jeder Stil die unbedingte, notwendige Folge von drei<lb/>
Ursachen sein muß: Zeit, Persönlichkeit, Darstellungsstoff.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2769"> Der griechisch-dorische Stil erwuchs auf dem rauhen Boden von Böotien,<lb/>
während der ionische auf Attika und in den Kolonien seine höchste Blüte er¬<lb/>
reichte. Die reiche korinthische Ordnung sagte am meisten den prachtliebenden<lb/>
spätern Geschlechtern und den Römern zu. Die Berührung mit dem farben¬<lb/>
freudigen, phantastischen Orient in Kleinasien erzeugte erst den schwerern<lb/>
romanischen, dann in dem vorgerückten Mittelalter mit dem ungestümen Drange<lb/>
nach dem Lichte, mit dem Zauber der ritterlichen Romantik den graziösen, un¬<lb/>
ruhigen, senkrecht strebenden gotischen Stil. Bürgerliche Solidität und Stolz<lb/>
zeigen sich uns in den Werken der deutschen Renaissance, während uns aus den<lb/>
Schöpfungen des achtzehnten Jahrhunderts unverkennbar eine gewisse höfische<lb/>
Courtoisie und Eleganz anschaun. Und wie hier der Geist der Zeit, so spricht<lb/>
auch das Material aus dem Stile. Keine schlimmere Verirrung gibt es, als<lb/>
wenn man, wie noch vor vierzig Jahren, Hausteinformen in Backstein nachahmt.<lb/>
Damals sind jene Gebäude in dem schlichtem Material entstanden, die uns<lb/>
heute wie Zuckerbäckerware anmuten. Noch schlimmer jedoch, wenn man in<lb/>
dem edlern Material gar Zuckerbückerwaren selbst nachahmt, was denn heut¬<lb/>
zutage noch in sehr bedeutenden Bauten vorkommen soll! Es ist der Stil die<lb/>
unbedingte Folgerung aus dem Material und der Konstruktion, die aus dem<lb/>
Material folgt.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0641] Baustil und Mode hinein, doch sind hier die einzelnen Künstlernaturen, vor allem in der Baukunst, viel schwerer zu unterscheiden. Es erscheint uns in jenen frühern, fernern Jahrhunderten vielmehr ein Gesamtbild der Zeit als ein Bild mit vielen einzelnen Sonderheiten. So wird jedes Kunstwerk die ganze Zeit und die einzelne Persönlichkeit widerspiegeln. Ein Phidias schuf große, erhabne Werke, während ein Praxiteles seinen Gestalten Grazie einzuhauchen verstand, und das nicht nur deshalb, weil Praxiteles ein andrer war als Phidias, sondern weil das ganze Zeitalter weniger streng, lebenslustiger, genußsüchtiger geworden war. Weil aber mehr oder weniger der Künstler mit seinen Werken aufgeht in dem ganzen Geist der Zeit, so haben nur ganz wenige mächtige Herrscher in der Kunst es vermocht, ihren persönlichen Stil zu einem Gattungsbegriff zu er¬ heben. Man spricht in diesem Sinne von einem Bramantesken, Michel- angelesken Stil. Ebenso wichtig wie die Künstlernatur und die Zeit ist nun die Forderung des Darstellungsstoffes. Man kennt in der Kunst einen Holzstil, einen Stein¬ heil, einen Bronzestil usw. Jedes Material fordert eine andre Bearbeitung; in der Plastik gibt Holz feine, scharfkantige Formen. Stein breite volle Waffen, während jedes Metall eine andre Form je nach der Härte verlangt. Es ist eine Stillosigkeit, wenn man gegen die Forderungen des Materials verstößt. In der Baukunst verlangt jedes Material eine andre Konstruktion: man kann w Holz einen Raum flach überdecken, der Stein jedoch verlangt eine Wölbung. Es ist somit klar, daß jeder Stil die unbedingte, notwendige Folge von drei Ursachen sein muß: Zeit, Persönlichkeit, Darstellungsstoff. Der griechisch-dorische Stil erwuchs auf dem rauhen Boden von Böotien, während der ionische auf Attika und in den Kolonien seine höchste Blüte er¬ reichte. Die reiche korinthische Ordnung sagte am meisten den prachtliebenden spätern Geschlechtern und den Römern zu. Die Berührung mit dem farben¬ freudigen, phantastischen Orient in Kleinasien erzeugte erst den schwerern romanischen, dann in dem vorgerückten Mittelalter mit dem ungestümen Drange nach dem Lichte, mit dem Zauber der ritterlichen Romantik den graziösen, un¬ ruhigen, senkrecht strebenden gotischen Stil. Bürgerliche Solidität und Stolz zeigen sich uns in den Werken der deutschen Renaissance, während uns aus den Schöpfungen des achtzehnten Jahrhunderts unverkennbar eine gewisse höfische Courtoisie und Eleganz anschaun. Und wie hier der Geist der Zeit, so spricht auch das Material aus dem Stile. Keine schlimmere Verirrung gibt es, als wenn man, wie noch vor vierzig Jahren, Hausteinformen in Backstein nachahmt. Damals sind jene Gebäude in dem schlichtem Material entstanden, die uns heute wie Zuckerbäckerware anmuten. Noch schlimmer jedoch, wenn man in dem edlern Material gar Zuckerbückerwaren selbst nachahmt, was denn heut¬ zutage noch in sehr bedeutenden Bauten vorkommen soll! Es ist der Stil die unbedingte Folgerung aus dem Material und der Konstruktion, die aus dem Material folgt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/641
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/641>, abgerufen am 03.07.2024.