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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Baustil und Mode

Zeit vielleicht wieder etwas mehr die Religion. 2. Persönlichkeiten bringt
unsre Zeit gewiß ebenso hervor wie jede Zeit vordem, daran kann kein Zweifel
sein: Nietzsches Ruf nach dem "Ich" ist gewiß nicht ungehört verhallt.
3. Darstellungsstoff. Wieviel neues, vorher nie dagewesnes gibt es hier.
Kamille man früher das Eisen, den Belon, die Rabitz-, die Monierkonstruktion?
Aus diesen Wurzeln heraus muß sich also der Stil bilden, und er hat sich
schon gebildet; aber ausgereift ist er noch nicht. Hat er doch noch nicht einmal
in der Konstruktion seine letzten Konsequenzen gezogen! Um nur eins von
vielen anzuführen: wir verstecken noch soviel Eisen, um Konstruktionen einer
ältern Zeit ausführen zu können! Jene Zeit konstruierte in Stein und ließ
die Konstruktion zur Schmuckform werden, wir konstruieren in Eisen, lassen
aber die Konstruktion nicht zur Schmuckform werden, sondern verstecken die
Konstruktion, weil wir uns ihrer schämen müßten, so nüchtern, so öde ist sie.
Da wo man gar nicht anders kann, bei eisernen Brücken und Bahnhofshallen,
da beginnt sich ganz langsam auch eine neue Schmuckform zu zeigen, aber
wie ängstlich, wie poesielos ist da unsre Zeit. Immer dieselben rein vom
statischen Standpunkt aus konstruierten Normalprofile mit ihren dünnen
Leibern, nur eine graue Steinfarbe. Wenn man sich nicht der Mühe unter¬
zieht, einen konstruktiven Eisenstab bildnerisch zu gestalten, das ist: seine kon¬
struktive Tätigkeit durch Form und Farbe auszudrücken, wenn man sich schämt,
modern zu sein, das ist neue Konstruktionen, wo immer sie auftreten, auch zu
Zeigen, da wird man allerdings niemals zu einem neuen modernen Stil fort¬
schreiten. Wahrheitsliebe, Mut und bildnerische Anstrengung allein können uns
hier vorwärtsbringen. Jede sklavische Wiederholung alter Stilarten, die heute
zur Mode herabgesunken sind, ist Unsinn, Sünde.

Darum, ihr Architekten, laßt uns mit Vorsicht und Überlegung an unsre
konstruktiven Aufgaben herantreten. Laßt uns niemals mehr gotische Gewölbe
in Nabitzkonstruktion ausführen, sondern in dieser modernen Konstruktion eben
nur Nabitzdecken. laßt uns nicht flache Fensterstürze in Eisen konstruieren und
in Putz vortäuschen, sondern eiserne Fensterstürze auch bildnerisch gestalten, nicht
Erker- und alle Kragkonstruktionen mit den immerhin nettesten und zierlichsten
Stuckornamenten verkleistern, sondern laßt uns Eisen in seiner Konstruktion
Zeigen, allerdings nicht in jener Langweiligkeit wie bisher, sondern jetzt fängt
eben gerade unsre Gestaltungstätigkeit an, und daß uns da kein und Rosen
bestreuter Pfad winkt, das ist selbstverständlich. Aber nie hat ein Pfadfinder
bisher schlafen dürfen, nie hat ein Wahrheitsdürstender lächeln, nie ein Suchender
ausruhen dürfen. Alle durchaus gewordnen Stile, der griechische, der römische,
der gotische setzten mit einer neuen Konstruktion ein, der griechische mit der
Säule als Stütze, der römische mit dem Kreuzgewölbe als Überdeckung und
der gotische mit dem Spitzbogen als Verbesserung des ältern Systems, und
ganz allmählich wurde das Konstruktionssystem bis in seine letzten Konsequenzen
durchdacht und erzeugte aus sich heraus die ihm eigentümlichen Schmuckformen.


Baustil und Mode

Zeit vielleicht wieder etwas mehr die Religion. 2. Persönlichkeiten bringt
unsre Zeit gewiß ebenso hervor wie jede Zeit vordem, daran kann kein Zweifel
sein: Nietzsches Ruf nach dem „Ich" ist gewiß nicht ungehört verhallt.
3. Darstellungsstoff. Wieviel neues, vorher nie dagewesnes gibt es hier.
Kamille man früher das Eisen, den Belon, die Rabitz-, die Monierkonstruktion?
Aus diesen Wurzeln heraus muß sich also der Stil bilden, und er hat sich
schon gebildet; aber ausgereift ist er noch nicht. Hat er doch noch nicht einmal
in der Konstruktion seine letzten Konsequenzen gezogen! Um nur eins von
vielen anzuführen: wir verstecken noch soviel Eisen, um Konstruktionen einer
ältern Zeit ausführen zu können! Jene Zeit konstruierte in Stein und ließ
die Konstruktion zur Schmuckform werden, wir konstruieren in Eisen, lassen
aber die Konstruktion nicht zur Schmuckform werden, sondern verstecken die
Konstruktion, weil wir uns ihrer schämen müßten, so nüchtern, so öde ist sie.
Da wo man gar nicht anders kann, bei eisernen Brücken und Bahnhofshallen,
da beginnt sich ganz langsam auch eine neue Schmuckform zu zeigen, aber
wie ängstlich, wie poesielos ist da unsre Zeit. Immer dieselben rein vom
statischen Standpunkt aus konstruierten Normalprofile mit ihren dünnen
Leibern, nur eine graue Steinfarbe. Wenn man sich nicht der Mühe unter¬
zieht, einen konstruktiven Eisenstab bildnerisch zu gestalten, das ist: seine kon¬
struktive Tätigkeit durch Form und Farbe auszudrücken, wenn man sich schämt,
modern zu sein, das ist neue Konstruktionen, wo immer sie auftreten, auch zu
Zeigen, da wird man allerdings niemals zu einem neuen modernen Stil fort¬
schreiten. Wahrheitsliebe, Mut und bildnerische Anstrengung allein können uns
hier vorwärtsbringen. Jede sklavische Wiederholung alter Stilarten, die heute
zur Mode herabgesunken sind, ist Unsinn, Sünde.

Darum, ihr Architekten, laßt uns mit Vorsicht und Überlegung an unsre
konstruktiven Aufgaben herantreten. Laßt uns niemals mehr gotische Gewölbe
in Nabitzkonstruktion ausführen, sondern in dieser modernen Konstruktion eben
nur Nabitzdecken. laßt uns nicht flache Fensterstürze in Eisen konstruieren und
in Putz vortäuschen, sondern eiserne Fensterstürze auch bildnerisch gestalten, nicht
Erker- und alle Kragkonstruktionen mit den immerhin nettesten und zierlichsten
Stuckornamenten verkleistern, sondern laßt uns Eisen in seiner Konstruktion
Zeigen, allerdings nicht in jener Langweiligkeit wie bisher, sondern jetzt fängt
eben gerade unsre Gestaltungstätigkeit an, und daß uns da kein und Rosen
bestreuter Pfad winkt, das ist selbstverständlich. Aber nie hat ein Pfadfinder
bisher schlafen dürfen, nie hat ein Wahrheitsdürstender lächeln, nie ein Suchender
ausruhen dürfen. Alle durchaus gewordnen Stile, der griechische, der römische,
der gotische setzten mit einer neuen Konstruktion ein, der griechische mit der
Säule als Stütze, der römische mit dem Kreuzgewölbe als Überdeckung und
der gotische mit dem Spitzbogen als Verbesserung des ältern Systems, und
ganz allmählich wurde das Konstruktionssystem bis in seine letzten Konsequenzen
durchdacht und erzeugte aus sich heraus die ihm eigentümlichen Schmuckformen.


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[0643] Baustil und Mode Zeit vielleicht wieder etwas mehr die Religion. 2. Persönlichkeiten bringt unsre Zeit gewiß ebenso hervor wie jede Zeit vordem, daran kann kein Zweifel sein: Nietzsches Ruf nach dem „Ich" ist gewiß nicht ungehört verhallt. 3. Darstellungsstoff. Wieviel neues, vorher nie dagewesnes gibt es hier. Kamille man früher das Eisen, den Belon, die Rabitz-, die Monierkonstruktion? Aus diesen Wurzeln heraus muß sich also der Stil bilden, und er hat sich schon gebildet; aber ausgereift ist er noch nicht. Hat er doch noch nicht einmal in der Konstruktion seine letzten Konsequenzen gezogen! Um nur eins von vielen anzuführen: wir verstecken noch soviel Eisen, um Konstruktionen einer ältern Zeit ausführen zu können! Jene Zeit konstruierte in Stein und ließ die Konstruktion zur Schmuckform werden, wir konstruieren in Eisen, lassen aber die Konstruktion nicht zur Schmuckform werden, sondern verstecken die Konstruktion, weil wir uns ihrer schämen müßten, so nüchtern, so öde ist sie. Da wo man gar nicht anders kann, bei eisernen Brücken und Bahnhofshallen, da beginnt sich ganz langsam auch eine neue Schmuckform zu zeigen, aber wie ängstlich, wie poesielos ist da unsre Zeit. Immer dieselben rein vom statischen Standpunkt aus konstruierten Normalprofile mit ihren dünnen Leibern, nur eine graue Steinfarbe. Wenn man sich nicht der Mühe unter¬ zieht, einen konstruktiven Eisenstab bildnerisch zu gestalten, das ist: seine kon¬ struktive Tätigkeit durch Form und Farbe auszudrücken, wenn man sich schämt, modern zu sein, das ist neue Konstruktionen, wo immer sie auftreten, auch zu Zeigen, da wird man allerdings niemals zu einem neuen modernen Stil fort¬ schreiten. Wahrheitsliebe, Mut und bildnerische Anstrengung allein können uns hier vorwärtsbringen. Jede sklavische Wiederholung alter Stilarten, die heute zur Mode herabgesunken sind, ist Unsinn, Sünde. Darum, ihr Architekten, laßt uns mit Vorsicht und Überlegung an unsre konstruktiven Aufgaben herantreten. Laßt uns niemals mehr gotische Gewölbe in Nabitzkonstruktion ausführen, sondern in dieser modernen Konstruktion eben nur Nabitzdecken. laßt uns nicht flache Fensterstürze in Eisen konstruieren und in Putz vortäuschen, sondern eiserne Fensterstürze auch bildnerisch gestalten, nicht Erker- und alle Kragkonstruktionen mit den immerhin nettesten und zierlichsten Stuckornamenten verkleistern, sondern laßt uns Eisen in seiner Konstruktion Zeigen, allerdings nicht in jener Langweiligkeit wie bisher, sondern jetzt fängt eben gerade unsre Gestaltungstätigkeit an, und daß uns da kein und Rosen bestreuter Pfad winkt, das ist selbstverständlich. Aber nie hat ein Pfadfinder bisher schlafen dürfen, nie hat ein Wahrheitsdürstender lächeln, nie ein Suchender ausruhen dürfen. Alle durchaus gewordnen Stile, der griechische, der römische, der gotische setzten mit einer neuen Konstruktion ein, der griechische mit der Säule als Stütze, der römische mit dem Kreuzgewölbe als Überdeckung und der gotische mit dem Spitzbogen als Verbesserung des ältern Systems, und ganz allmählich wurde das Konstruktionssystem bis in seine letzten Konsequenzen durchdacht und erzeugte aus sich heraus die ihm eigentümlichen Schmuckformen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/643>, abgerufen am 01.07.2024.