Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.Aus dem Dresdner Elbgau ihrer Verbannung, und einundzwanzig Jahre davon bewohnte sie drei über- Dem Sachsen geht die Höflichkeit bekanntlich über alles. Was hierzulande Ein englischer Beobachter, der Dresden vor achtzig Jahren bereiste und Auch die Elbe neigt in ihrem Laufe durch den Gau zu einer derart ge¬ Aus dem Dresdner Elbgau ihrer Verbannung, und einundzwanzig Jahre davon bewohnte sie drei über- Dem Sachsen geht die Höflichkeit bekanntlich über alles. Was hierzulande Ein englischer Beobachter, der Dresden vor achtzig Jahren bereiste und Auch die Elbe neigt in ihrem Laufe durch den Gau zu einer derart ge¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0592" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/304008"/> <fw type="header" place="top"> Aus dem Dresdner Elbgau</fw><lb/> <p xml:id="ID_2590" prev="#ID_2589"> ihrer Verbannung, und einundzwanzig Jahre davon bewohnte sie drei über-<lb/> einanderliegende Gemächer im Turm, dessen Schießscharten man ihr zu Fenstern<lb/> erweitert hatte. Eine lange Buße für die kurze Herrlichkeit, die bei ihrer uner¬<lb/> sättlichen Habgier freilich nicht lange dauern konnte. Das arme ausgesogne<lb/> Land hat an den neun Jahren lange zu zahlen gehabt. Und doch, so seltsam<lb/> wandeln sich die Gefühle: heute denkt der Sachse mit einem gewissen Stolze<lb/> auch an diese Gestalt seiner vaterländischen Vergangenheit zurück und möchte sie<lb/> nicht missen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2591"> Dem Sachsen geht die Höflichkeit bekanntlich über alles. Was hierzulande<lb/> „hübsche Leute" sind, die sind höflich, anständig, gebildet zu andern Leuten.<lb/> Das war schon vor hundert Jahren so, wie denn Kügelgen in seinen Lebens¬<lb/> erinnerungen die Obersachsen das gebildetste Volk des damaligen Europas<lb/> nennt. Es ist auch gar nicht zu leugnen, daß sie über Fragen des guten<lb/> Geschmacks oft in heißem Streite entbrennen, was dem Berliner aus dem<lb/> Durchschnitt kaum passieren könnte, denn ihm ist der „Klimbim" ziemlich<lb/> „schnuppe", sozusagen. Der Obersachse ergeht sich gewissenhaft in der Natur,<lb/> die ihn im Elbgcin so reich und anmutig bedacht hat, und die Wege, auf denen<lb/> er sich ergeht oder führt, haben genau die höfliche Schwingungslinie, die er<lb/> selber liebt. Tal oder Hügel geben sie ihm zur Lösung auf, gewiß, aber ein<lb/> unverkennbares Gefallen am sanften Schwung kommt doch zuletzt bestimmend<lb/> hinzu. Auch eine elegische Naturpoesie findet man wohl dann und wann<lb/> mahnend am Wege stehn. So fand ich einmal im Weißeritztale folgenden<lb/> gemütvollen Vers:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_26" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_2592"> Ein englischer Beobachter, der Dresden vor achtzig Jahren bereiste und<lb/> an der Stadt, ihren Schönheiten und Sehenswürdigkeiten gar nichts besondres<lb/> findet, hebt diese beschauliche Genußfreudigkeit an der Natur sehr hervor. John<lb/> Russell schreibt: „Mit Ausnahme vielleicht der Wiener ist keine Bevölkerung<lb/> so geneigt, vor die Tore der Stadt zu gehn, wie die Dresdner Sachsen, da<lb/> keine ihrer Hauptstädte so viele Verlockungen dazu bietet. Wald und Wasser,<lb/> Gebirge und Ebene, Schluchten und Täter, Getreide und Wein, Palast und<lb/> Hütte, alles zusammen in glänzender Vereinigung und sich entwickelnd in einem<lb/> Klima, das diesseits der Alpen genial genannt werden könnte."</p><lb/> <p xml:id="ID_2593" next="#ID_2594"> Auch die Elbe neigt in ihrem Laufe durch den Gau zu einer derart ge¬<lb/> mäßigten, höflichen „Genialität", um mit Russell zu reden. Mit ungewöhnlicher<lb/> Liebenswürdigkeit schlängelt sie sich durch das Tal am Fuß der Berge hin.<lb/> Seit ihr die Ufer eingedämmt und zum Leidwesen aller Enten, Gänse, Fische,<lb/> Krebse und Maler auch noch gepflastert sind, macht sie ordentlich elegante<lb/> Linien. Jsts ein Wunder, daß Barock und Rokoko gerade in Dresden zu<lb/> eignem heiter durchgebildeten Angesicht kamen? Die obersächsische Elbe schlängelt<lb/> sich, sie bricht, sie staut sich nirgends, wenigstens nicht lange, sie räumt sichs<lb/> weg, denn sie weiß, was sie will. Ohs ein Sandsteinfelsen oder eine schöne<lb/> alte Brücke ist, gilt ihr gleich. Zunächst nimmt sie an der Augustusbrücke<lb/> Anstoß, dem Stolz der Stadt, des Gaues, des Landes. Die Pfeiler stehn<lb/> schief zur Richtung des Stromes. Nun muß die Vielhundertjührige dahin,<lb/> denn die Wellen wollen ihr Recht, und die Schiffer und Flößer, die zwischen<lb/> den engen Bogen dann und wann einmal anstoßen, daß es kracht und splittert,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0592]
Aus dem Dresdner Elbgau
ihrer Verbannung, und einundzwanzig Jahre davon bewohnte sie drei über-
einanderliegende Gemächer im Turm, dessen Schießscharten man ihr zu Fenstern
erweitert hatte. Eine lange Buße für die kurze Herrlichkeit, die bei ihrer uner¬
sättlichen Habgier freilich nicht lange dauern konnte. Das arme ausgesogne
Land hat an den neun Jahren lange zu zahlen gehabt. Und doch, so seltsam
wandeln sich die Gefühle: heute denkt der Sachse mit einem gewissen Stolze
auch an diese Gestalt seiner vaterländischen Vergangenheit zurück und möchte sie
nicht missen.
Dem Sachsen geht die Höflichkeit bekanntlich über alles. Was hierzulande
„hübsche Leute" sind, die sind höflich, anständig, gebildet zu andern Leuten.
Das war schon vor hundert Jahren so, wie denn Kügelgen in seinen Lebens¬
erinnerungen die Obersachsen das gebildetste Volk des damaligen Europas
nennt. Es ist auch gar nicht zu leugnen, daß sie über Fragen des guten
Geschmacks oft in heißem Streite entbrennen, was dem Berliner aus dem
Durchschnitt kaum passieren könnte, denn ihm ist der „Klimbim" ziemlich
„schnuppe", sozusagen. Der Obersachse ergeht sich gewissenhaft in der Natur,
die ihn im Elbgcin so reich und anmutig bedacht hat, und die Wege, auf denen
er sich ergeht oder führt, haben genau die höfliche Schwingungslinie, die er
selber liebt. Tal oder Hügel geben sie ihm zur Lösung auf, gewiß, aber ein
unverkennbares Gefallen am sanften Schwung kommt doch zuletzt bestimmend
hinzu. Auch eine elegische Naturpoesie findet man wohl dann und wann
mahnend am Wege stehn. So fand ich einmal im Weißeritztale folgenden
gemütvollen Vers:
Ein englischer Beobachter, der Dresden vor achtzig Jahren bereiste und
an der Stadt, ihren Schönheiten und Sehenswürdigkeiten gar nichts besondres
findet, hebt diese beschauliche Genußfreudigkeit an der Natur sehr hervor. John
Russell schreibt: „Mit Ausnahme vielleicht der Wiener ist keine Bevölkerung
so geneigt, vor die Tore der Stadt zu gehn, wie die Dresdner Sachsen, da
keine ihrer Hauptstädte so viele Verlockungen dazu bietet. Wald und Wasser,
Gebirge und Ebene, Schluchten und Täter, Getreide und Wein, Palast und
Hütte, alles zusammen in glänzender Vereinigung und sich entwickelnd in einem
Klima, das diesseits der Alpen genial genannt werden könnte."
Auch die Elbe neigt in ihrem Laufe durch den Gau zu einer derart ge¬
mäßigten, höflichen „Genialität", um mit Russell zu reden. Mit ungewöhnlicher
Liebenswürdigkeit schlängelt sie sich durch das Tal am Fuß der Berge hin.
Seit ihr die Ufer eingedämmt und zum Leidwesen aller Enten, Gänse, Fische,
Krebse und Maler auch noch gepflastert sind, macht sie ordentlich elegante
Linien. Jsts ein Wunder, daß Barock und Rokoko gerade in Dresden zu
eignem heiter durchgebildeten Angesicht kamen? Die obersächsische Elbe schlängelt
sich, sie bricht, sie staut sich nirgends, wenigstens nicht lange, sie räumt sichs
weg, denn sie weiß, was sie will. Ohs ein Sandsteinfelsen oder eine schöne
alte Brücke ist, gilt ihr gleich. Zunächst nimmt sie an der Augustusbrücke
Anstoß, dem Stolz der Stadt, des Gaues, des Landes. Die Pfeiler stehn
schief zur Richtung des Stromes. Nun muß die Vielhundertjührige dahin,
denn die Wellen wollen ihr Recht, und die Schiffer und Flößer, die zwischen
den engen Bogen dann und wann einmal anstoßen, daß es kracht und splittert,
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