Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.Über die Linseitigkeiten und Gefahren der Schulreformbewegung ist sie nicht. Diese Würde gebührt nicht dem Wissen freilich, da sei Gott vor! 5. Ich komme noch auf einiges, was sich dem Schultechnischen nähert, Über die Linseitigkeiten und Gefahren der Schulreformbewegung ist sie nicht. Diese Würde gebührt nicht dem Wissen freilich, da sei Gott vor! 5. Ich komme noch auf einiges, was sich dem Schultechnischen nähert, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0577" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303993"/> <fw type="header" place="top"> Über die Linseitigkeiten und Gefahren der Schulreformbewegung</fw><lb/> <p xml:id="ID_2547" prev="#ID_2546"> ist sie nicht. Diese Würde gebührt nicht dem Wissen freilich, da sei Gott vor!<lb/> aber auch nicht der Anschauung, sondern dem auf Anschauung und Wissen<lb/> zugleich ruhenden denkenden Erkennen. Auch für Schiller ist das Schöne nur<lb/> das Morgentor, das uns in der Erkenntnis Land führt. Die Deutschen von<lb/> heutzutage schämen sich ja freilich fast, daß man sie einmal das Volk der<lb/> Denker genannt hat. Ich aber meine, wir sollten diesen Ruhm festhalten und<lb/> Pflegen auch fernerhin; er entspringt dem innersten Kern unsers Wesens.</p><lb/> <p xml:id="ID_2548" next="#ID_2549"> 5. Ich komme noch auf einiges, was sich dem Schultechnischen nähert,<lb/> dem ich aber doch eine allgemeinere Bedeutung zuschreibe. Man schilt uns<lb/> Grammatici im Übeln Sinne des Worts. Dieser Vorwurf ist, als allgemeiner<lb/> ausgesprochen, völlig unbegründet und kann nur von solchen kommen, die — sit<lb/> vsvia vsrdo — von der Sache nichts verstehn. Gründliche grammatische<lb/> Bildung ist freilich einmal Selbstzweck; denn sie involviert eine sonst schwer<lb/> vermißte Schule der Logik. Ich scheue mich gar nicht, hierfür die mit Unrecht<lb/> verpönte Bezeichnung der formalen Bildung anzuwenden, ich glaube auch das<lb/> Schwinden gediegner grammatischer Bildung in manchen Eigentümlichkeiten der<lb/> modernen Publizistik zu erkennen. Der Grammatik kommt an schulender Kraft<lb/> hierfür die Mathematik nicht gleich; ihre Gesetze sind freilich viel schärfer und<lb/> zwingender, aber auch starrer und einseitiger; es fehlt ihnen die Beweglichkeit<lb/> des Lebens. Auch ist und bleibt es doch so, daß mancher sonst gute Kopf der<lb/> Mathematik, über eine gewisse Linie hinaus, verschlossen ist. Wichtiger aber<lb/> ist uns dieser Unterricht noch als unentbehrliche Grundlage für das Ver¬<lb/> ständnis der antiken Literatur. Ohne sichere und wenigstens für die normalen<lb/> Erscheinungen auch genaue Kenntnis der grammatischen Gesetze ist ein klares<lb/> Verständnis der in der fremden Sprache ausgedrückten Gedanken nicht möglich,<lb/> vollends nicht ein nachfühlen des Stilgeistes oder gar der einzelnen Sprach¬<lb/> künstler. Die wertvollste Frucht der ganzen Arbeit geht so verloren, und an<lb/> ihre Stelle tritt das vielbeklagte Raten, das den Nutzen in eiteln Schaden und<lb/> geradezu in eine geistige, ja selbst sittliche Gefahr verwandelt. Haben doch<lb/> auch die Neusprachler Wasser in ihren gärenden Reformwein gegossen und selbst<lb/> für die einem mehr intuitiver Betriebe eher zugänglichen neuern Sprachen eine<lb/> solide grammatische Grundlage als unentbehrlich erkannt; wie viel mehr gilt<lb/> das für die unserm Sprachgeist fremdartigem alten Sprachen. Aber mit dem<lb/> Grammatikunterricht ist es nicht getan; grau ist auch hier die Theorie. Ohne<lb/> unablässige Übung und selbständige Anwendung geht der Geist der fremden<lb/> Sprache nicht in das Bewußtsein des Schülers über. Darum ist es als ein<lb/> schwerer Mißgriff zu bezeichnen, daß die grammatischen und stilistischen Übungen<lb/> in den alten Sprachen mehr und mehr eingeschränkt werden. Mit dem Falle<lb/> des griechischen Skriptums konnte man sich zur Not, wenn auch ungern, für<lb/> die Prüfung abfinden. Wir brauchten ja nicht die Prüfung, um die Übung<lb/> doch zu pflegen — so hielten wirs in Württemberg vor vierzig und fünfzig<lb/> Jahren —. obwohl eine dauernde Diskrepanz zwischen Prüfungsziel und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0577]
Über die Linseitigkeiten und Gefahren der Schulreformbewegung
ist sie nicht. Diese Würde gebührt nicht dem Wissen freilich, da sei Gott vor!
aber auch nicht der Anschauung, sondern dem auf Anschauung und Wissen
zugleich ruhenden denkenden Erkennen. Auch für Schiller ist das Schöne nur
das Morgentor, das uns in der Erkenntnis Land führt. Die Deutschen von
heutzutage schämen sich ja freilich fast, daß man sie einmal das Volk der
Denker genannt hat. Ich aber meine, wir sollten diesen Ruhm festhalten und
Pflegen auch fernerhin; er entspringt dem innersten Kern unsers Wesens.
5. Ich komme noch auf einiges, was sich dem Schultechnischen nähert,
dem ich aber doch eine allgemeinere Bedeutung zuschreibe. Man schilt uns
Grammatici im Übeln Sinne des Worts. Dieser Vorwurf ist, als allgemeiner
ausgesprochen, völlig unbegründet und kann nur von solchen kommen, die — sit
vsvia vsrdo — von der Sache nichts verstehn. Gründliche grammatische
Bildung ist freilich einmal Selbstzweck; denn sie involviert eine sonst schwer
vermißte Schule der Logik. Ich scheue mich gar nicht, hierfür die mit Unrecht
verpönte Bezeichnung der formalen Bildung anzuwenden, ich glaube auch das
Schwinden gediegner grammatischer Bildung in manchen Eigentümlichkeiten der
modernen Publizistik zu erkennen. Der Grammatik kommt an schulender Kraft
hierfür die Mathematik nicht gleich; ihre Gesetze sind freilich viel schärfer und
zwingender, aber auch starrer und einseitiger; es fehlt ihnen die Beweglichkeit
des Lebens. Auch ist und bleibt es doch so, daß mancher sonst gute Kopf der
Mathematik, über eine gewisse Linie hinaus, verschlossen ist. Wichtiger aber
ist uns dieser Unterricht noch als unentbehrliche Grundlage für das Ver¬
ständnis der antiken Literatur. Ohne sichere und wenigstens für die normalen
Erscheinungen auch genaue Kenntnis der grammatischen Gesetze ist ein klares
Verständnis der in der fremden Sprache ausgedrückten Gedanken nicht möglich,
vollends nicht ein nachfühlen des Stilgeistes oder gar der einzelnen Sprach¬
künstler. Die wertvollste Frucht der ganzen Arbeit geht so verloren, und an
ihre Stelle tritt das vielbeklagte Raten, das den Nutzen in eiteln Schaden und
geradezu in eine geistige, ja selbst sittliche Gefahr verwandelt. Haben doch
auch die Neusprachler Wasser in ihren gärenden Reformwein gegossen und selbst
für die einem mehr intuitiver Betriebe eher zugänglichen neuern Sprachen eine
solide grammatische Grundlage als unentbehrlich erkannt; wie viel mehr gilt
das für die unserm Sprachgeist fremdartigem alten Sprachen. Aber mit dem
Grammatikunterricht ist es nicht getan; grau ist auch hier die Theorie. Ohne
unablässige Übung und selbständige Anwendung geht der Geist der fremden
Sprache nicht in das Bewußtsein des Schülers über. Darum ist es als ein
schwerer Mißgriff zu bezeichnen, daß die grammatischen und stilistischen Übungen
in den alten Sprachen mehr und mehr eingeschränkt werden. Mit dem Falle
des griechischen Skriptums konnte man sich zur Not, wenn auch ungern, für
die Prüfung abfinden. Wir brauchten ja nicht die Prüfung, um die Übung
doch zu pflegen — so hielten wirs in Württemberg vor vierzig und fünfzig
Jahren —. obwohl eine dauernde Diskrepanz zwischen Prüfungsziel und
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