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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Die öffentliche Brandmarkung des Beleidigten

Wenn später jemand wieder diese Dinge hervorholt und gegen ihn ausnutzen
will, wieder den Weg des Rechts zu beschreiben; und wenn es ihm gelingt,
der Hydra hundert Köpfe abzuschlagen, immer wachsen neue nach, und der
Kampf kann sein Leben ausfüllen -- immer bleibt in der Erinnerung Tausender
sein Name gebrandmarkt, weil er einmal gewagt hat, den vom Gesetze ge-
wiesnen Weg zur Wahrung seiner Ehre zu beschreiben.

Wer will da den Kreisen, die über ihren Ruf, ihre Ehre mit Ernst und
Gewissenhaftigkeit wachen, zumuten, diesen Weg vertrauensvoll zu gehn!
Diesen Weg, auf dem der Beste, der Reinste zu unheilbarem Schaden kommen
kann, wenn es seinem Gegner beliebt. Wer ist unter uns, der so fleckenlos
wäre, daß nicht der böswillige Gegner schließlich an ihm etwas entdecken
könnte, das er für geeignet hält, zu seiner eignen Entlastung heran- und
hereingezogen zu werden. Und wenn er so fleckenlos wäre, wer wäre geschützt
gegen bewußt wahrheitswidrige Prozeßverdächtigungen und Beschmutzungen!
Solange so etwas nach unserm Prozeßverfahren nur möglich ist, solange
es von dem größern oder geringern Taktgefühl, von dem Grade der
Sensationslust der Beteiligten abhängt, wie sie das Verteidigungsrecht auf¬
fassen und handhaben wollen, solange es von dem größern oder geringern
Geschick des Verhandlungsleiters oder von seiner Auffassung über das zur
Wahrung der Interessen des Angeklagten nötige oder zulässige Maß der Beweis¬
aufnahme abhängt, welche Richtung diese Beweisaufnahme einschlagen darf,
so lange wird man sich nicht wundern können, daß die Neigung gerade der
Besten, der in Rechts- und in Ehrensachen am feinsten empfindenden unsers
Volkes, die Wahrung ihres Rechts und ihrer Ehre den Gerichten anzuvertrauen,
außerordentlich gering ist, ja von Tag zu Tag geringer wird.

Immer wieder heischt man die Beseitigung des Zweikampfes und die
Unterwerfung der Kreise, die seine Berechtigung verfechten, unter die Ein¬
richtungen des allgemeinen Rechtes. Das kann man nur dann erreichen, wenn
man ihnen etwas Besseres zu bieten vermag. Bietet man ihnen auf dem
Wege unsrer Privatklage, wie sie sich abzuspielen pflegt, etwas Besseres? In
mancher Hinsicht etwas Schlechteres! Zu den Sitten und Pflichten bei der
Austragung eines Ehrenhandels auf dem Wege des Zweikampfes gehört es,
daß von dem Augenblick an, wo die Beleidigung gefallen ist, die Gegner nicht
Mehr in persönliche Berührung miteinander kommen dürfen. Das ist eine
gute Sitte; sie zwingt die Gegner zur Ruhe, sie verhindert die Ausartung,
die Häufung der Beleidigung, die Verletzung des äußern Auslands; der ge¬
gebne Fall ist damit ein für allemal bestimmt umgrenzt, nur auf ihn kommt
es an. Der Beleidiger hat nicht das Recht, nicht die Möglichkeit, sich der
Verantwortlichkeit für sein Tun durch Verunglimpfung des Gegners zu ent¬
ziehen: muß er ihn überhaupt als satisfaktionsfähig gelten lassen, so muß er
ihm standhalten und schweigen bis zum Austrag. Und wie vor Gericht?
Jsts nicht genau das Gegenteil? nicht standhalten und Rede stehn wegen des


Grenzboten IV 1907 6K
Die öffentliche Brandmarkung des Beleidigten

Wenn später jemand wieder diese Dinge hervorholt und gegen ihn ausnutzen
will, wieder den Weg des Rechts zu beschreiben; und wenn es ihm gelingt,
der Hydra hundert Köpfe abzuschlagen, immer wachsen neue nach, und der
Kampf kann sein Leben ausfüllen — immer bleibt in der Erinnerung Tausender
sein Name gebrandmarkt, weil er einmal gewagt hat, den vom Gesetze ge-
wiesnen Weg zur Wahrung seiner Ehre zu beschreiben.

Wer will da den Kreisen, die über ihren Ruf, ihre Ehre mit Ernst und
Gewissenhaftigkeit wachen, zumuten, diesen Weg vertrauensvoll zu gehn!
Diesen Weg, auf dem der Beste, der Reinste zu unheilbarem Schaden kommen
kann, wenn es seinem Gegner beliebt. Wer ist unter uns, der so fleckenlos
wäre, daß nicht der böswillige Gegner schließlich an ihm etwas entdecken
könnte, das er für geeignet hält, zu seiner eignen Entlastung heran- und
hereingezogen zu werden. Und wenn er so fleckenlos wäre, wer wäre geschützt
gegen bewußt wahrheitswidrige Prozeßverdächtigungen und Beschmutzungen!
Solange so etwas nach unserm Prozeßverfahren nur möglich ist, solange
es von dem größern oder geringern Taktgefühl, von dem Grade der
Sensationslust der Beteiligten abhängt, wie sie das Verteidigungsrecht auf¬
fassen und handhaben wollen, solange es von dem größern oder geringern
Geschick des Verhandlungsleiters oder von seiner Auffassung über das zur
Wahrung der Interessen des Angeklagten nötige oder zulässige Maß der Beweis¬
aufnahme abhängt, welche Richtung diese Beweisaufnahme einschlagen darf,
so lange wird man sich nicht wundern können, daß die Neigung gerade der
Besten, der in Rechts- und in Ehrensachen am feinsten empfindenden unsers
Volkes, die Wahrung ihres Rechts und ihrer Ehre den Gerichten anzuvertrauen,
außerordentlich gering ist, ja von Tag zu Tag geringer wird.

Immer wieder heischt man die Beseitigung des Zweikampfes und die
Unterwerfung der Kreise, die seine Berechtigung verfechten, unter die Ein¬
richtungen des allgemeinen Rechtes. Das kann man nur dann erreichen, wenn
man ihnen etwas Besseres zu bieten vermag. Bietet man ihnen auf dem
Wege unsrer Privatklage, wie sie sich abzuspielen pflegt, etwas Besseres? In
mancher Hinsicht etwas Schlechteres! Zu den Sitten und Pflichten bei der
Austragung eines Ehrenhandels auf dem Wege des Zweikampfes gehört es,
daß von dem Augenblick an, wo die Beleidigung gefallen ist, die Gegner nicht
Mehr in persönliche Berührung miteinander kommen dürfen. Das ist eine
gute Sitte; sie zwingt die Gegner zur Ruhe, sie verhindert die Ausartung,
die Häufung der Beleidigung, die Verletzung des äußern Auslands; der ge¬
gebne Fall ist damit ein für allemal bestimmt umgrenzt, nur auf ihn kommt
es an. Der Beleidiger hat nicht das Recht, nicht die Möglichkeit, sich der
Verantwortlichkeit für sein Tun durch Verunglimpfung des Gegners zu ent¬
ziehen: muß er ihn überhaupt als satisfaktionsfähig gelten lassen, so muß er
ihm standhalten und schweigen bis zum Austrag. Und wie vor Gericht?
Jsts nicht genau das Gegenteil? nicht standhalten und Rede stehn wegen des


Grenzboten IV 1907 6K
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[0513] Die öffentliche Brandmarkung des Beleidigten Wenn später jemand wieder diese Dinge hervorholt und gegen ihn ausnutzen will, wieder den Weg des Rechts zu beschreiben; und wenn es ihm gelingt, der Hydra hundert Köpfe abzuschlagen, immer wachsen neue nach, und der Kampf kann sein Leben ausfüllen — immer bleibt in der Erinnerung Tausender sein Name gebrandmarkt, weil er einmal gewagt hat, den vom Gesetze ge- wiesnen Weg zur Wahrung seiner Ehre zu beschreiben. Wer will da den Kreisen, die über ihren Ruf, ihre Ehre mit Ernst und Gewissenhaftigkeit wachen, zumuten, diesen Weg vertrauensvoll zu gehn! Diesen Weg, auf dem der Beste, der Reinste zu unheilbarem Schaden kommen kann, wenn es seinem Gegner beliebt. Wer ist unter uns, der so fleckenlos wäre, daß nicht der böswillige Gegner schließlich an ihm etwas entdecken könnte, das er für geeignet hält, zu seiner eignen Entlastung heran- und hereingezogen zu werden. Und wenn er so fleckenlos wäre, wer wäre geschützt gegen bewußt wahrheitswidrige Prozeßverdächtigungen und Beschmutzungen! Solange so etwas nach unserm Prozeßverfahren nur möglich ist, solange es von dem größern oder geringern Taktgefühl, von dem Grade der Sensationslust der Beteiligten abhängt, wie sie das Verteidigungsrecht auf¬ fassen und handhaben wollen, solange es von dem größern oder geringern Geschick des Verhandlungsleiters oder von seiner Auffassung über das zur Wahrung der Interessen des Angeklagten nötige oder zulässige Maß der Beweis¬ aufnahme abhängt, welche Richtung diese Beweisaufnahme einschlagen darf, so lange wird man sich nicht wundern können, daß die Neigung gerade der Besten, der in Rechts- und in Ehrensachen am feinsten empfindenden unsers Volkes, die Wahrung ihres Rechts und ihrer Ehre den Gerichten anzuvertrauen, außerordentlich gering ist, ja von Tag zu Tag geringer wird. Immer wieder heischt man die Beseitigung des Zweikampfes und die Unterwerfung der Kreise, die seine Berechtigung verfechten, unter die Ein¬ richtungen des allgemeinen Rechtes. Das kann man nur dann erreichen, wenn man ihnen etwas Besseres zu bieten vermag. Bietet man ihnen auf dem Wege unsrer Privatklage, wie sie sich abzuspielen pflegt, etwas Besseres? In mancher Hinsicht etwas Schlechteres! Zu den Sitten und Pflichten bei der Austragung eines Ehrenhandels auf dem Wege des Zweikampfes gehört es, daß von dem Augenblick an, wo die Beleidigung gefallen ist, die Gegner nicht Mehr in persönliche Berührung miteinander kommen dürfen. Das ist eine gute Sitte; sie zwingt die Gegner zur Ruhe, sie verhindert die Ausartung, die Häufung der Beleidigung, die Verletzung des äußern Auslands; der ge¬ gebne Fall ist damit ein für allemal bestimmt umgrenzt, nur auf ihn kommt es an. Der Beleidiger hat nicht das Recht, nicht die Möglichkeit, sich der Verantwortlichkeit für sein Tun durch Verunglimpfung des Gegners zu ent¬ ziehen: muß er ihn überhaupt als satisfaktionsfähig gelten lassen, so muß er ihm standhalten und schweigen bis zum Austrag. Und wie vor Gericht? Jsts nicht genau das Gegenteil? nicht standhalten und Rede stehn wegen des Grenzboten IV 1907 6K

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/513>, abgerufen am 23.07.2024.