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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Die öffentliche Brandmarkung des Beleidigten

und um so verständnisvoller. So aber wird das, was für die Urteilsfäller
des Gerichts, was für den abwägenden Verstand des Richters vielleicht ein
wertvolles Beiwerk sein kann, mindestens aber unschädlich an ihm vorübergeht,
wie so vieler Schmutz -- so wird das für die Menge, für die Öffentlichkeit
zur Hauptsache, zum Vergnügen.

Und für den Kläger, der sein Recht gesucht, der seine Ehre vertrauens¬
voll in die Hände des Prozeßgerichts gelegt hat, wird die Beweisaufnahme
zum Fluch; die Beweisaufnahme ohne Rücksicht auf das Ergebnis, ohne Rück¬
sicht auf die schließliche Bewertung des Ergebnisses durch das Urteil. Denn
wenn auch das Urteil hundertmal ausspricht, daß dieser oder jener Punkt
nicht erwiesen sei, daß er belanglos sei, daß er dahingestellt bleiben könne,
ja wenn es die aufgestellte Behauptung direkt als widerlegt bezeichnet -- das,
was geschehen, ist damit in den seltensten Fällen wieder gut zu machen. Die
Tatsache, daß die Behauptung aufgestellt worden ist, daß Beweis darüber er¬
hoben werden mußte, genügt für sich allein, um in der öffentlichen Meinung
ein Urteil zu begründen.

Wenn demnach der Rechtsuchende gewärtig sein muß, daß er vor den
Augen der Öffentlichkeit bis in sein innerstes Seelenleben hinein, bis in seine
allerpersönlichsten häuslichen Verhältnisse hinein durch den Prozeßgegner blo߬
gestellt werden kann, so genügt schon das allein, ihn für alle Zukunft davon
abzuschrecken, diesen Weg jemals wieder zu beschreiben, um auf ihm seine Ehre
zu rehabilitieren. Aber noch Schlimmeres knüpft sich daran. Wenn es ihm
am letzten Ende noch so gut gelingt, sich von dem Schmutze, den sein Proze߬
gegner zu seiner Verteidigung mit Hilfe geschiedner Ehegatten, bestrafter
Untergebner, entlaßner Angestellter und Domestiken auf ihn zu häufen sich
bemüht hat, zu reinigen -- das eine bleibt: Tausende haben sich bis in alle
Einzelheiten tage- und wochenlang mit ihm beschäftigt, die sensationsbedürftige
Öffentlichkeit hat ihn, sei es mit Bedauern, sei es mit Schadenfreude, im
Lichte der gegnerischen Behauptungen und Verdächtigungen gesehen: und die
öffentliche Meinung, die breite Masse nicht nur der Ungebildeten, auch unsrer
besser gebildeten aber juristisch nicht geschulten Kreise, richtet sich, wie gesagt,
niemals in ihrem Urteil nach dem schließlichen Ergebnis der Beweisaufnahme,
der zu folgen ihr überdies in den meisten Fällen nahezu unmöglich ist, sondern
nach den aufgestellten Behauptungen: ihr Urteil steht fest, je nachdem die
Behauptungen mit mehr oder weniger Geschick und -- sagen wir ehrlich --
Dreistigkeit aufgestellt worden sind. Mag das Urteil des Gerichts ausfallen,
wie es wolle -- immer wird es nach wie vor Tausende geben, die, wenn
ihnen später einmal der Name unter die Augen tritt, sagen werden: "Ach
ja, das war ja der!" Und der, der sein Recht gesucht und gefunden hat
vor Gericht, bleibt gebrandmarkt durch die von dem Verurteilten aufgestellten
Behauptungen, durch die Beweisaufnahme, durch den Gang des Gerichtsver¬
fahrens selbst, dem er sich unterworfen hatte. Gewiß, er hat ja das Recht,


Die öffentliche Brandmarkung des Beleidigten

und um so verständnisvoller. So aber wird das, was für die Urteilsfäller
des Gerichts, was für den abwägenden Verstand des Richters vielleicht ein
wertvolles Beiwerk sein kann, mindestens aber unschädlich an ihm vorübergeht,
wie so vieler Schmutz — so wird das für die Menge, für die Öffentlichkeit
zur Hauptsache, zum Vergnügen.

Und für den Kläger, der sein Recht gesucht, der seine Ehre vertrauens¬
voll in die Hände des Prozeßgerichts gelegt hat, wird die Beweisaufnahme
zum Fluch; die Beweisaufnahme ohne Rücksicht auf das Ergebnis, ohne Rück¬
sicht auf die schließliche Bewertung des Ergebnisses durch das Urteil. Denn
wenn auch das Urteil hundertmal ausspricht, daß dieser oder jener Punkt
nicht erwiesen sei, daß er belanglos sei, daß er dahingestellt bleiben könne,
ja wenn es die aufgestellte Behauptung direkt als widerlegt bezeichnet — das,
was geschehen, ist damit in den seltensten Fällen wieder gut zu machen. Die
Tatsache, daß die Behauptung aufgestellt worden ist, daß Beweis darüber er¬
hoben werden mußte, genügt für sich allein, um in der öffentlichen Meinung
ein Urteil zu begründen.

Wenn demnach der Rechtsuchende gewärtig sein muß, daß er vor den
Augen der Öffentlichkeit bis in sein innerstes Seelenleben hinein, bis in seine
allerpersönlichsten häuslichen Verhältnisse hinein durch den Prozeßgegner blo߬
gestellt werden kann, so genügt schon das allein, ihn für alle Zukunft davon
abzuschrecken, diesen Weg jemals wieder zu beschreiben, um auf ihm seine Ehre
zu rehabilitieren. Aber noch Schlimmeres knüpft sich daran. Wenn es ihm
am letzten Ende noch so gut gelingt, sich von dem Schmutze, den sein Proze߬
gegner zu seiner Verteidigung mit Hilfe geschiedner Ehegatten, bestrafter
Untergebner, entlaßner Angestellter und Domestiken auf ihn zu häufen sich
bemüht hat, zu reinigen — das eine bleibt: Tausende haben sich bis in alle
Einzelheiten tage- und wochenlang mit ihm beschäftigt, die sensationsbedürftige
Öffentlichkeit hat ihn, sei es mit Bedauern, sei es mit Schadenfreude, im
Lichte der gegnerischen Behauptungen und Verdächtigungen gesehen: und die
öffentliche Meinung, die breite Masse nicht nur der Ungebildeten, auch unsrer
besser gebildeten aber juristisch nicht geschulten Kreise, richtet sich, wie gesagt,
niemals in ihrem Urteil nach dem schließlichen Ergebnis der Beweisaufnahme,
der zu folgen ihr überdies in den meisten Fällen nahezu unmöglich ist, sondern
nach den aufgestellten Behauptungen: ihr Urteil steht fest, je nachdem die
Behauptungen mit mehr oder weniger Geschick und — sagen wir ehrlich —
Dreistigkeit aufgestellt worden sind. Mag das Urteil des Gerichts ausfallen,
wie es wolle — immer wird es nach wie vor Tausende geben, die, wenn
ihnen später einmal der Name unter die Augen tritt, sagen werden: „Ach
ja, das war ja der!" Und der, der sein Recht gesucht und gefunden hat
vor Gericht, bleibt gebrandmarkt durch die von dem Verurteilten aufgestellten
Behauptungen, durch die Beweisaufnahme, durch den Gang des Gerichtsver¬
fahrens selbst, dem er sich unterworfen hatte. Gewiß, er hat ja das Recht,


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[0512] Die öffentliche Brandmarkung des Beleidigten und um so verständnisvoller. So aber wird das, was für die Urteilsfäller des Gerichts, was für den abwägenden Verstand des Richters vielleicht ein wertvolles Beiwerk sein kann, mindestens aber unschädlich an ihm vorübergeht, wie so vieler Schmutz — so wird das für die Menge, für die Öffentlichkeit zur Hauptsache, zum Vergnügen. Und für den Kläger, der sein Recht gesucht, der seine Ehre vertrauens¬ voll in die Hände des Prozeßgerichts gelegt hat, wird die Beweisaufnahme zum Fluch; die Beweisaufnahme ohne Rücksicht auf das Ergebnis, ohne Rück¬ sicht auf die schließliche Bewertung des Ergebnisses durch das Urteil. Denn wenn auch das Urteil hundertmal ausspricht, daß dieser oder jener Punkt nicht erwiesen sei, daß er belanglos sei, daß er dahingestellt bleiben könne, ja wenn es die aufgestellte Behauptung direkt als widerlegt bezeichnet — das, was geschehen, ist damit in den seltensten Fällen wieder gut zu machen. Die Tatsache, daß die Behauptung aufgestellt worden ist, daß Beweis darüber er¬ hoben werden mußte, genügt für sich allein, um in der öffentlichen Meinung ein Urteil zu begründen. Wenn demnach der Rechtsuchende gewärtig sein muß, daß er vor den Augen der Öffentlichkeit bis in sein innerstes Seelenleben hinein, bis in seine allerpersönlichsten häuslichen Verhältnisse hinein durch den Prozeßgegner blo߬ gestellt werden kann, so genügt schon das allein, ihn für alle Zukunft davon abzuschrecken, diesen Weg jemals wieder zu beschreiben, um auf ihm seine Ehre zu rehabilitieren. Aber noch Schlimmeres knüpft sich daran. Wenn es ihm am letzten Ende noch so gut gelingt, sich von dem Schmutze, den sein Proze߬ gegner zu seiner Verteidigung mit Hilfe geschiedner Ehegatten, bestrafter Untergebner, entlaßner Angestellter und Domestiken auf ihn zu häufen sich bemüht hat, zu reinigen — das eine bleibt: Tausende haben sich bis in alle Einzelheiten tage- und wochenlang mit ihm beschäftigt, die sensationsbedürftige Öffentlichkeit hat ihn, sei es mit Bedauern, sei es mit Schadenfreude, im Lichte der gegnerischen Behauptungen und Verdächtigungen gesehen: und die öffentliche Meinung, die breite Masse nicht nur der Ungebildeten, auch unsrer besser gebildeten aber juristisch nicht geschulten Kreise, richtet sich, wie gesagt, niemals in ihrem Urteil nach dem schließlichen Ergebnis der Beweisaufnahme, der zu folgen ihr überdies in den meisten Fällen nahezu unmöglich ist, sondern nach den aufgestellten Behauptungen: ihr Urteil steht fest, je nachdem die Behauptungen mit mehr oder weniger Geschick und — sagen wir ehrlich — Dreistigkeit aufgestellt worden sind. Mag das Urteil des Gerichts ausfallen, wie es wolle — immer wird es nach wie vor Tausende geben, die, wenn ihnen später einmal der Name unter die Augen tritt, sagen werden: „Ach ja, das war ja der!" Und der, der sein Recht gesucht und gefunden hat vor Gericht, bleibt gebrandmarkt durch die von dem Verurteilten aufgestellten Behauptungen, durch die Beweisaufnahme, durch den Gang des Gerichtsver¬ fahrens selbst, dem er sich unterworfen hatte. Gewiß, er hat ja das Recht,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/512>, abgerufen am 25.08.2024.