Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
August Apel, eine Studie aus dem alten Leipzig

besonders "die affektierende" Abart zu bezeichnen. In der feinen Ironie, die
er namentlich den Urteilen über seine Leipziger Landsleute beimischt, ist er selbst
ganz Leipziger.

Als der ihm und Miltitz befreundete Maler Moritz Retzsch nach Leipzig
kommen will, um dort für seine Kunst Interesse zu wecken, schreibt er am
25. Juli 1315: "Ja unsre Leipziger Kunstmänner! Das ist es ja eben, was mir
die Gespräche über Kunst fast ärgerlich macht. So ein -- Lieferant und Finanzer
hat sich einen Mammon erworben und will nun den Protektor der Künste
machen. Es ist ganz gut, daß es solche Leute gibt, nur mag ich sie nicht
über Kunst reden hören. Es mag sich einer ja die schönste Geige anschaffen
und sie gern zeigen, muß er denn aber deswegen aller Welt drauf vorspielen?
Ernst ist es auch den Kunstmännern mit der Kunst gar nicht. Ihr Kunst¬
sinn ist die Poesie eines Schauspielers, der in Fragmenten seiner gelernten
Rolle spricht. Ich wollte, Netsch Hütte dem Lichtgeber einen heiligen Rochus
gemalt, oder ihn selbst als Se. Rochus*) statt des heiligen Scheins mit
dem . . . Orden. -- Der andre D. H. hatte in seiner Jugend das Unglück
einen seiner Freunde aus der Jagd zu erschießen. Ein solches Unglück gilt
mir als allgemeiner Ablaßbrief für manche Mängel, und so will ich weiter
nichts über ihn sagen. -- Ob Retsch in Leipzig in Rücksicht auf Erwerb seine
Rechnung finden wird, will ich nicht vorher sagen. Salomo und Sirach, ich
weis nicht welcher, hat vollkommen recht: Daß es einem gelinge macht nicht,
daß er ein Ding wohl wisse, sondern alles liegt an der rechten Zeit und
Stunde. Die Leipziger möchten gern durch Anerkennung fremdes Werthes
glänzen, allein sie sind nicht im Stande den Werth unmittelbar zu schätzen,
sie honoriren den Künstler und überhaupt den Menschen wie ein unbekanntes
Handelshaus nur xsr onor act Uw. Hat die Posaune geklungen, so finden
sie sich ein, wenn auch die Herrlichkeit des Herrn nicht erscheint, sondern nur
ein Stern sich schneuzt, sie schreien Bravo! Krähe aber der Hahn nicht vorher,
sie halten die Sonne für eine Sternschnuppe. Indessen lassen Sie das unsern
Retsch nicht von der Reise abhalten. Nimmt man keine Bilder von ihm, so
gibt man ihm gewiß welche, daß ein Humorist nicht Farben genug findet um
sie zu verarbeiten. Können Sie aber vorher die Posaune etwas klingen
lassen z. B. in der eleganten Zeitung, so wär es ganz gut. Retsch würde
darüber böse werden, und er hat Recht. Ich sage ihm aber, daß man mit
Tauben etwas stark sprechen muß, und daß unser Herr selbst, der die zarteste
Sprache mit einem reinen Gemüth spricht, doch Posaun und Donnerstimme
anwendet, um die Harthörigen, die jene Stimme nicht vernehmen, aus dem
Todtenschlaf zu wecken, und darin hab ich recht." Am 6. Januar 1316 fügt er
hinzu: "Netsch hat wol seine Reise nach Leipzig ganz aufgegeben? Er sollte
doch kommen. Wenn es auch viel Öllampen hier gibt, so brennen doch auch



*) Se. Rochus ist der Schutzpatron gegen Pest und Viehseuchen.
August Apel, eine Studie aus dem alten Leipzig

besonders „die affektierende" Abart zu bezeichnen. In der feinen Ironie, die
er namentlich den Urteilen über seine Leipziger Landsleute beimischt, ist er selbst
ganz Leipziger.

Als der ihm und Miltitz befreundete Maler Moritz Retzsch nach Leipzig
kommen will, um dort für seine Kunst Interesse zu wecken, schreibt er am
25. Juli 1315: „Ja unsre Leipziger Kunstmänner! Das ist es ja eben, was mir
die Gespräche über Kunst fast ärgerlich macht. So ein — Lieferant und Finanzer
hat sich einen Mammon erworben und will nun den Protektor der Künste
machen. Es ist ganz gut, daß es solche Leute gibt, nur mag ich sie nicht
über Kunst reden hören. Es mag sich einer ja die schönste Geige anschaffen
und sie gern zeigen, muß er denn aber deswegen aller Welt drauf vorspielen?
Ernst ist es auch den Kunstmännern mit der Kunst gar nicht. Ihr Kunst¬
sinn ist die Poesie eines Schauspielers, der in Fragmenten seiner gelernten
Rolle spricht. Ich wollte, Netsch Hütte dem Lichtgeber einen heiligen Rochus
gemalt, oder ihn selbst als Se. Rochus*) statt des heiligen Scheins mit
dem . . . Orden. — Der andre D. H. hatte in seiner Jugend das Unglück
einen seiner Freunde aus der Jagd zu erschießen. Ein solches Unglück gilt
mir als allgemeiner Ablaßbrief für manche Mängel, und so will ich weiter
nichts über ihn sagen. — Ob Retsch in Leipzig in Rücksicht auf Erwerb seine
Rechnung finden wird, will ich nicht vorher sagen. Salomo und Sirach, ich
weis nicht welcher, hat vollkommen recht: Daß es einem gelinge macht nicht,
daß er ein Ding wohl wisse, sondern alles liegt an der rechten Zeit und
Stunde. Die Leipziger möchten gern durch Anerkennung fremdes Werthes
glänzen, allein sie sind nicht im Stande den Werth unmittelbar zu schätzen,
sie honoriren den Künstler und überhaupt den Menschen wie ein unbekanntes
Handelshaus nur xsr onor act Uw. Hat die Posaune geklungen, so finden
sie sich ein, wenn auch die Herrlichkeit des Herrn nicht erscheint, sondern nur
ein Stern sich schneuzt, sie schreien Bravo! Krähe aber der Hahn nicht vorher,
sie halten die Sonne für eine Sternschnuppe. Indessen lassen Sie das unsern
Retsch nicht von der Reise abhalten. Nimmt man keine Bilder von ihm, so
gibt man ihm gewiß welche, daß ein Humorist nicht Farben genug findet um
sie zu verarbeiten. Können Sie aber vorher die Posaune etwas klingen
lassen z. B. in der eleganten Zeitung, so wär es ganz gut. Retsch würde
darüber böse werden, und er hat Recht. Ich sage ihm aber, daß man mit
Tauben etwas stark sprechen muß, und daß unser Herr selbst, der die zarteste
Sprache mit einem reinen Gemüth spricht, doch Posaun und Donnerstimme
anwendet, um die Harthörigen, die jene Stimme nicht vernehmen, aus dem
Todtenschlaf zu wecken, und darin hab ich recht." Am 6. Januar 1316 fügt er
hinzu: „Netsch hat wol seine Reise nach Leipzig ganz aufgegeben? Er sollte
doch kommen. Wenn es auch viel Öllampen hier gibt, so brennen doch auch



*) Se. Rochus ist der Schutzpatron gegen Pest und Viehseuchen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0478" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303894"/>
          <fw type="header" place="top"> August Apel, eine Studie aus dem alten Leipzig</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2090" prev="#ID_2089"> besonders &#x201E;die affektierende" Abart zu bezeichnen. In der feinen Ironie, die<lb/>
er namentlich den Urteilen über seine Leipziger Landsleute beimischt, ist er selbst<lb/>
ganz Leipziger.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2091" next="#ID_2092"> Als der ihm und Miltitz befreundete Maler Moritz Retzsch nach Leipzig<lb/>
kommen will, um dort für seine Kunst Interesse zu wecken, schreibt er am<lb/>
25. Juli 1315: &#x201E;Ja unsre Leipziger Kunstmänner! Das ist es ja eben, was mir<lb/>
die Gespräche über Kunst fast ärgerlich macht. So ein &#x2014; Lieferant und Finanzer<lb/>
hat sich einen Mammon erworben und will nun den Protektor der Künste<lb/>
machen. Es ist ganz gut, daß es solche Leute gibt, nur mag ich sie nicht<lb/>
über Kunst reden hören. Es mag sich einer ja die schönste Geige anschaffen<lb/>
und sie gern zeigen, muß er denn aber deswegen aller Welt drauf vorspielen?<lb/>
Ernst ist es auch den Kunstmännern mit der Kunst gar nicht. Ihr Kunst¬<lb/>
sinn ist die Poesie eines Schauspielers, der in Fragmenten seiner gelernten<lb/>
Rolle spricht. Ich wollte, Netsch Hütte dem Lichtgeber einen heiligen Rochus<lb/>
gemalt, oder ihn selbst als Se. Rochus*) statt des heiligen Scheins mit<lb/>
dem . . . Orden. &#x2014; Der andre D. H. hatte in seiner Jugend das Unglück<lb/>
einen seiner Freunde aus der Jagd zu erschießen. Ein solches Unglück gilt<lb/>
mir als allgemeiner Ablaßbrief für manche Mängel, und so will ich weiter<lb/>
nichts über ihn sagen. &#x2014; Ob Retsch in Leipzig in Rücksicht auf Erwerb seine<lb/>
Rechnung finden wird, will ich nicht vorher sagen. Salomo und Sirach, ich<lb/>
weis nicht welcher, hat vollkommen recht: Daß es einem gelinge macht nicht,<lb/>
daß er ein Ding wohl wisse, sondern alles liegt an der rechten Zeit und<lb/>
Stunde. Die Leipziger möchten gern durch Anerkennung fremdes Werthes<lb/>
glänzen, allein sie sind nicht im Stande den Werth unmittelbar zu schätzen,<lb/>
sie honoriren den Künstler und überhaupt den Menschen wie ein unbekanntes<lb/>
Handelshaus nur xsr onor act Uw. Hat die Posaune geklungen, so finden<lb/>
sie sich ein, wenn auch die Herrlichkeit des Herrn nicht erscheint, sondern nur<lb/>
ein Stern sich schneuzt, sie schreien Bravo! Krähe aber der Hahn nicht vorher,<lb/>
sie halten die Sonne für eine Sternschnuppe. Indessen lassen Sie das unsern<lb/>
Retsch nicht von der Reise abhalten. Nimmt man keine Bilder von ihm, so<lb/>
gibt man ihm gewiß welche, daß ein Humorist nicht Farben genug findet um<lb/>
sie zu verarbeiten. Können Sie aber vorher die Posaune etwas klingen<lb/>
lassen z. B. in der eleganten Zeitung, so wär es ganz gut. Retsch würde<lb/>
darüber böse werden, und er hat Recht. Ich sage ihm aber, daß man mit<lb/>
Tauben etwas stark sprechen muß, und daß unser Herr selbst, der die zarteste<lb/>
Sprache mit einem reinen Gemüth spricht, doch Posaun und Donnerstimme<lb/>
anwendet, um die Harthörigen, die jene Stimme nicht vernehmen, aus dem<lb/>
Todtenschlaf zu wecken, und darin hab ich recht." Am 6. Januar 1316 fügt er<lb/>
hinzu: &#x201E;Netsch hat wol seine Reise nach Leipzig ganz aufgegeben? Er sollte<lb/>
doch kommen.  Wenn es auch viel Öllampen hier gibt, so brennen doch auch</p><lb/>
          <note xml:id="FID_47" place="foot"> *) Se. Rochus ist der Schutzpatron gegen Pest und Viehseuchen.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0478] August Apel, eine Studie aus dem alten Leipzig besonders „die affektierende" Abart zu bezeichnen. In der feinen Ironie, die er namentlich den Urteilen über seine Leipziger Landsleute beimischt, ist er selbst ganz Leipziger. Als der ihm und Miltitz befreundete Maler Moritz Retzsch nach Leipzig kommen will, um dort für seine Kunst Interesse zu wecken, schreibt er am 25. Juli 1315: „Ja unsre Leipziger Kunstmänner! Das ist es ja eben, was mir die Gespräche über Kunst fast ärgerlich macht. So ein — Lieferant und Finanzer hat sich einen Mammon erworben und will nun den Protektor der Künste machen. Es ist ganz gut, daß es solche Leute gibt, nur mag ich sie nicht über Kunst reden hören. Es mag sich einer ja die schönste Geige anschaffen und sie gern zeigen, muß er denn aber deswegen aller Welt drauf vorspielen? Ernst ist es auch den Kunstmännern mit der Kunst gar nicht. Ihr Kunst¬ sinn ist die Poesie eines Schauspielers, der in Fragmenten seiner gelernten Rolle spricht. Ich wollte, Netsch Hütte dem Lichtgeber einen heiligen Rochus gemalt, oder ihn selbst als Se. Rochus*) statt des heiligen Scheins mit dem . . . Orden. — Der andre D. H. hatte in seiner Jugend das Unglück einen seiner Freunde aus der Jagd zu erschießen. Ein solches Unglück gilt mir als allgemeiner Ablaßbrief für manche Mängel, und so will ich weiter nichts über ihn sagen. — Ob Retsch in Leipzig in Rücksicht auf Erwerb seine Rechnung finden wird, will ich nicht vorher sagen. Salomo und Sirach, ich weis nicht welcher, hat vollkommen recht: Daß es einem gelinge macht nicht, daß er ein Ding wohl wisse, sondern alles liegt an der rechten Zeit und Stunde. Die Leipziger möchten gern durch Anerkennung fremdes Werthes glänzen, allein sie sind nicht im Stande den Werth unmittelbar zu schätzen, sie honoriren den Künstler und überhaupt den Menschen wie ein unbekanntes Handelshaus nur xsr onor act Uw. Hat die Posaune geklungen, so finden sie sich ein, wenn auch die Herrlichkeit des Herrn nicht erscheint, sondern nur ein Stern sich schneuzt, sie schreien Bravo! Krähe aber der Hahn nicht vorher, sie halten die Sonne für eine Sternschnuppe. Indessen lassen Sie das unsern Retsch nicht von der Reise abhalten. Nimmt man keine Bilder von ihm, so gibt man ihm gewiß welche, daß ein Humorist nicht Farben genug findet um sie zu verarbeiten. Können Sie aber vorher die Posaune etwas klingen lassen z. B. in der eleganten Zeitung, so wär es ganz gut. Retsch würde darüber böse werden, und er hat Recht. Ich sage ihm aber, daß man mit Tauben etwas stark sprechen muß, und daß unser Herr selbst, der die zarteste Sprache mit einem reinen Gemüth spricht, doch Posaun und Donnerstimme anwendet, um die Harthörigen, die jene Stimme nicht vernehmen, aus dem Todtenschlaf zu wecken, und darin hab ich recht." Am 6. Januar 1316 fügt er hinzu: „Netsch hat wol seine Reise nach Leipzig ganz aufgegeben? Er sollte doch kommen. Wenn es auch viel Öllampen hier gibt, so brennen doch auch *) Se. Rochus ist der Schutzpatron gegen Pest und Viehseuchen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/478
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/478>, abgerufen am 22.07.2024.