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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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August Apel, eine Studie aus dem alten Leipzig

ein Weltgericht zu machen. Es enthält in drei Abtheilungen die drei Momente
Tod, Auferstehung, Gericht, würde aber, wie ich selbst füle, zu viel musikalische
Anstrengung fordern, um aufgeführt werden zu können." Die kraftvolle
Dichtung*) ist aber doch von Friedrich Schneider 1819 komponiert worden
und wird jetzt noch aufgeführt.

Trotz so vielfältiger und teilweise auch wohlgelungner poetischer Erzeugnisse
liegt doch Apels bleibendes Verdienst weniger in seinen Dichtungen als in den
von ihm aufgestellten Theorien über die Dichtkunst und über ihren Zusammen¬
hang mit der Musik. Mit Recht nennt ihn Heinrich Schmidt in der All¬
gemeinen Deutschen Biographie (I, 501) "einen genialen Forscher auf dem
Gebiete der Theorie der poetischen Formen, vornehmlich der Rhythmik und
Metrik, deren wahres Verhältnis und Wechselwirkung aufeinander er zuerst in
größerm Maßstabe erkannte". Die zweibündige Metrik, die er wenige Wochen
vor seinem Tode im Manuskript abschloß, trägt gewiß in manchen Stücken
unhaltbare Lehren vor, "geht aber von der richtigen Grundanschauung aus,
daß die musikalische Komposition der griechischen Gedichte sich eng an die
schon dem deklamierten Verse zugrunde liegenden Rhythmen anschlösse, folglich
müßten sich die Melodien und ihre Rhythmen aus den Worttexten wieder¬
finden lassen". Vergebens hat Gottfried Hermann diese richtigen Grund¬
anschauungen bekämpft; die neuere Metrik, besonders Rudolf Westphal, ist
mehr und mehr den Spuren Apels gefolgt. Ähnliche Anschauungen wie in
der Metrik Apels finden wir auch in seinen Briefen an Miltitz ausgesprochen.
Dieser hatte ihm seine "Lieder von Fouque in Musik gesetzt von dem Frey¬
herrn von Miltitz" (Leipzig, Vreitkopf <K Hürtel) zur Beurteilung vorgelegt,
darauf schreibt Apel am 6. März 1813: "Die Melodieen scheinen mit den
Gedichten zugleich und in demselben Geist entstanden, oder sie scheinen es
nicht, sie sind es in der That, denn nur im gleichen poetischen Leben findet
der Tonkünstler denselben Gesang, den der Dichter, wie eine Stimme aus der
Ferne nur halb und nicht mit voller Klarheit vernahm."

Fast modern mutet uns eine ausführliche Aussprache über das Verhältnis
zwischen Dichtung und Komposition an, die in einem Briefe vom 12. Juli 1814
enthalten ist: "Auch über dieses Durchkomponieren eines Gedichtes und die reiche
selbständige Begleitung gehn, wie ich wohl weis, gar wunderbare, absprechende
Urtheile, wie überall, wo die Kritik als ein bloßes Wissen und nicht als ein
lebendiges Fülen sich an Kunst oder Wissenschaft macht. Es läßt sich meiner
Ansicht nach hierüber durchaus nicht im Allgemeinen bestimmen, das Gedicht
selbst fordert oder weigert diese Art von Begleitung. Je mehr dramatischer
Charakter im Gedicht ist, um so mehr will es selbständige Begleitung, man
könnte von dem rein lyrischen Gedicht bis zur Oper eine stetige Reihe nach¬
weisen, wo sich die Musik immer mehr vom Gesang trennt, und über die Oper



*) Sie ist teilweise gedruckt in meinem schon zitierten Buche "Fouqui, Miltitz, Apel" S> 16S f.
August Apel, eine Studie aus dem alten Leipzig

ein Weltgericht zu machen. Es enthält in drei Abtheilungen die drei Momente
Tod, Auferstehung, Gericht, würde aber, wie ich selbst füle, zu viel musikalische
Anstrengung fordern, um aufgeführt werden zu können." Die kraftvolle
Dichtung*) ist aber doch von Friedrich Schneider 1819 komponiert worden
und wird jetzt noch aufgeführt.

Trotz so vielfältiger und teilweise auch wohlgelungner poetischer Erzeugnisse
liegt doch Apels bleibendes Verdienst weniger in seinen Dichtungen als in den
von ihm aufgestellten Theorien über die Dichtkunst und über ihren Zusammen¬
hang mit der Musik. Mit Recht nennt ihn Heinrich Schmidt in der All¬
gemeinen Deutschen Biographie (I, 501) „einen genialen Forscher auf dem
Gebiete der Theorie der poetischen Formen, vornehmlich der Rhythmik und
Metrik, deren wahres Verhältnis und Wechselwirkung aufeinander er zuerst in
größerm Maßstabe erkannte". Die zweibündige Metrik, die er wenige Wochen
vor seinem Tode im Manuskript abschloß, trägt gewiß in manchen Stücken
unhaltbare Lehren vor, „geht aber von der richtigen Grundanschauung aus,
daß die musikalische Komposition der griechischen Gedichte sich eng an die
schon dem deklamierten Verse zugrunde liegenden Rhythmen anschlösse, folglich
müßten sich die Melodien und ihre Rhythmen aus den Worttexten wieder¬
finden lassen". Vergebens hat Gottfried Hermann diese richtigen Grund¬
anschauungen bekämpft; die neuere Metrik, besonders Rudolf Westphal, ist
mehr und mehr den Spuren Apels gefolgt. Ähnliche Anschauungen wie in
der Metrik Apels finden wir auch in seinen Briefen an Miltitz ausgesprochen.
Dieser hatte ihm seine „Lieder von Fouque in Musik gesetzt von dem Frey¬
herrn von Miltitz" (Leipzig, Vreitkopf <K Hürtel) zur Beurteilung vorgelegt,
darauf schreibt Apel am 6. März 1813: „Die Melodieen scheinen mit den
Gedichten zugleich und in demselben Geist entstanden, oder sie scheinen es
nicht, sie sind es in der That, denn nur im gleichen poetischen Leben findet
der Tonkünstler denselben Gesang, den der Dichter, wie eine Stimme aus der
Ferne nur halb und nicht mit voller Klarheit vernahm."

Fast modern mutet uns eine ausführliche Aussprache über das Verhältnis
zwischen Dichtung und Komposition an, die in einem Briefe vom 12. Juli 1814
enthalten ist: „Auch über dieses Durchkomponieren eines Gedichtes und die reiche
selbständige Begleitung gehn, wie ich wohl weis, gar wunderbare, absprechende
Urtheile, wie überall, wo die Kritik als ein bloßes Wissen und nicht als ein
lebendiges Fülen sich an Kunst oder Wissenschaft macht. Es läßt sich meiner
Ansicht nach hierüber durchaus nicht im Allgemeinen bestimmen, das Gedicht
selbst fordert oder weigert diese Art von Begleitung. Je mehr dramatischer
Charakter im Gedicht ist, um so mehr will es selbständige Begleitung, man
könnte von dem rein lyrischen Gedicht bis zur Oper eine stetige Reihe nach¬
weisen, wo sich die Musik immer mehr vom Gesang trennt, und über die Oper



*) Sie ist teilweise gedruckt in meinem schon zitierten Buche „Fouqui, Miltitz, Apel" S> 16S f.
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[0476] August Apel, eine Studie aus dem alten Leipzig ein Weltgericht zu machen. Es enthält in drei Abtheilungen die drei Momente Tod, Auferstehung, Gericht, würde aber, wie ich selbst füle, zu viel musikalische Anstrengung fordern, um aufgeführt werden zu können." Die kraftvolle Dichtung*) ist aber doch von Friedrich Schneider 1819 komponiert worden und wird jetzt noch aufgeführt. Trotz so vielfältiger und teilweise auch wohlgelungner poetischer Erzeugnisse liegt doch Apels bleibendes Verdienst weniger in seinen Dichtungen als in den von ihm aufgestellten Theorien über die Dichtkunst und über ihren Zusammen¬ hang mit der Musik. Mit Recht nennt ihn Heinrich Schmidt in der All¬ gemeinen Deutschen Biographie (I, 501) „einen genialen Forscher auf dem Gebiete der Theorie der poetischen Formen, vornehmlich der Rhythmik und Metrik, deren wahres Verhältnis und Wechselwirkung aufeinander er zuerst in größerm Maßstabe erkannte". Die zweibündige Metrik, die er wenige Wochen vor seinem Tode im Manuskript abschloß, trägt gewiß in manchen Stücken unhaltbare Lehren vor, „geht aber von der richtigen Grundanschauung aus, daß die musikalische Komposition der griechischen Gedichte sich eng an die schon dem deklamierten Verse zugrunde liegenden Rhythmen anschlösse, folglich müßten sich die Melodien und ihre Rhythmen aus den Worttexten wieder¬ finden lassen". Vergebens hat Gottfried Hermann diese richtigen Grund¬ anschauungen bekämpft; die neuere Metrik, besonders Rudolf Westphal, ist mehr und mehr den Spuren Apels gefolgt. Ähnliche Anschauungen wie in der Metrik Apels finden wir auch in seinen Briefen an Miltitz ausgesprochen. Dieser hatte ihm seine „Lieder von Fouque in Musik gesetzt von dem Frey¬ herrn von Miltitz" (Leipzig, Vreitkopf <K Hürtel) zur Beurteilung vorgelegt, darauf schreibt Apel am 6. März 1813: „Die Melodieen scheinen mit den Gedichten zugleich und in demselben Geist entstanden, oder sie scheinen es nicht, sie sind es in der That, denn nur im gleichen poetischen Leben findet der Tonkünstler denselben Gesang, den der Dichter, wie eine Stimme aus der Ferne nur halb und nicht mit voller Klarheit vernahm." Fast modern mutet uns eine ausführliche Aussprache über das Verhältnis zwischen Dichtung und Komposition an, die in einem Briefe vom 12. Juli 1814 enthalten ist: „Auch über dieses Durchkomponieren eines Gedichtes und die reiche selbständige Begleitung gehn, wie ich wohl weis, gar wunderbare, absprechende Urtheile, wie überall, wo die Kritik als ein bloßes Wissen und nicht als ein lebendiges Fülen sich an Kunst oder Wissenschaft macht. Es läßt sich meiner Ansicht nach hierüber durchaus nicht im Allgemeinen bestimmen, das Gedicht selbst fordert oder weigert diese Art von Begleitung. Je mehr dramatischer Charakter im Gedicht ist, um so mehr will es selbständige Begleitung, man könnte von dem rein lyrischen Gedicht bis zur Oper eine stetige Reihe nach¬ weisen, wo sich die Musik immer mehr vom Gesang trennt, und über die Oper *) Sie ist teilweise gedruckt in meinem schon zitierten Buche „Fouqui, Miltitz, Apel" S> 16S f.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/476>, abgerufen am 23.07.2024.