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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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August Apel, eine Studie aus dem alten Leipzig

gebildete Leipziger die Ereignisse des Jahres 1813 bis zur Gründung des
Banners der freiwilligen Sachsen begleitete. H. von Treitschke hat es bei
seinem Urteil über die Haltung der sächsischen Bevölkerung jener Zeit, wie so
vieles andre, was einen günstigern Eindruck erwecken konnte, nicht benutzt,
aber es gehört in der Tat zu den wichtigsten Zeugnissen über die öffentliche
Meinung jener Tage, die wir besitzen. Das Vorwort des Büchleins lautet:

Zeitlosen nenn' ich euch. Ihr blüht ja in traurigen Tagen,
Wenn der öde Herbst scheucht von den Fluren die Lust.
Los' ist die Zeit und böse, die euch, ihr Schwestern, geboren;
Denn auf des Vaterlands Flur lastet ein hartes Geschick. --
Zeitlosen bergen im innern Schooß' ein ätzendes Gift, das,
Künstlich ausgelaugt, heilende Kräfte besitzt.
Reizen wird euer Gift zu blutiger Rache den Unhold
Gegen des Kühnen Hand, der euch zu pflücken gewagt;
Aber in undurchdringliches Dunkel gehüllet verlacht er
Seine Späher und schläft ruhigen Schlummer, wie vor.
Atzel, ergrimmt ihn immer! Doch bringt auch dem Vaterlandsfreunde,
Dem stillhärmenden, Trost, Heilung von eigener Art!

Der erste Gedanke, daß Apel der anonyme Dichter sein könne, kam mir,
als ich sah, daß seine letzte 1817 it. i. 1816) in Berlin in der Schüppelschen
Buchhandlung herausgegebne Sammlung von Gedichten und Erzählungen
denselben Titel "Zeitlosen" trägt. Bestärkt wurde ich in meiner Vermutung
durch Apels Vorliebe für die Herbstblumen, der er besonders in seinen "Elegien"
(Cicaden III, 157 f.) Ausdruck gibt. Gegen Apels Autorschaft an den "Zeit¬
losen" des Jahres 1813 spricht der Umstand, daß ihre sprachliche und metrische
Form nicht überall so geglättet ist, wie es Apel sonst liebt. Aber die Glätte
der Form ist bei Apel, wie er selbst sagt, das Ergebnis langen Feilens, und
dazu hatte er wohl unter den Nöten der harten Zeit keine Muße; auch wird
der und jene fehlende Versfuß auf Rechnung der eilfertigen und verborgnen
Drucklegung zu setzen sein; denn wie das Vorwort zeigt, war Napoleon, als
der Druck begann, in Leipzig noch der gefürchtete Tyrann. Eine andre,
allerdings sehr unsichre Spur des Autors ist vielleicht darin gegeben, daß in
der achten Zeile des oben wiedergegebnen Vorworts das Wort "Kühnen" ge¬
sperrt gedruckt ist. Sollte das vielleicht auf einen Dichter namens Kühn oder
Kühn führen? Allerdings Friedrich Adolph Kühn, der Dichter der "Zwölf
Lieder eines Sachsen" (1814, s. Goedeke VII, 288), scheint ausgeschlossen zu
sein, da er in Dresden lebte. Unter diesen Umständen wird wohl die Er¬
örterung vorläufig mit einem non liouet schließen müssen, aber vielleicht
regen diese Zeilen solche, die mehr von der Herkunft des merkwürdigen
Büchleins wissen. zu einer Mitteilung an den Verfasser an.

Auch religiöse Stoffe hat Apel bearbeitet. Er schreibt am 6. Dezember 1814
an Miltitz: "Vor einiger Zeit brachte mich der, meiner Meinung nach, ganz per¬
fekte Text des jüngsten Gerichts, den Spohr komponirt hat. auf den Einfall.


August Apel, eine Studie aus dem alten Leipzig

gebildete Leipziger die Ereignisse des Jahres 1813 bis zur Gründung des
Banners der freiwilligen Sachsen begleitete. H. von Treitschke hat es bei
seinem Urteil über die Haltung der sächsischen Bevölkerung jener Zeit, wie so
vieles andre, was einen günstigern Eindruck erwecken konnte, nicht benutzt,
aber es gehört in der Tat zu den wichtigsten Zeugnissen über die öffentliche
Meinung jener Tage, die wir besitzen. Das Vorwort des Büchleins lautet:

Zeitlosen nenn' ich euch. Ihr blüht ja in traurigen Tagen,
Wenn der öde Herbst scheucht von den Fluren die Lust.
Los' ist die Zeit und böse, die euch, ihr Schwestern, geboren;
Denn auf des Vaterlands Flur lastet ein hartes Geschick. —
Zeitlosen bergen im innern Schooß' ein ätzendes Gift, das,
Künstlich ausgelaugt, heilende Kräfte besitzt.
Reizen wird euer Gift zu blutiger Rache den Unhold
Gegen des Kühnen Hand, der euch zu pflücken gewagt;
Aber in undurchdringliches Dunkel gehüllet verlacht er
Seine Späher und schläft ruhigen Schlummer, wie vor.
Atzel, ergrimmt ihn immer! Doch bringt auch dem Vaterlandsfreunde,
Dem stillhärmenden, Trost, Heilung von eigener Art!

Der erste Gedanke, daß Apel der anonyme Dichter sein könne, kam mir,
als ich sah, daß seine letzte 1817 it. i. 1816) in Berlin in der Schüppelschen
Buchhandlung herausgegebne Sammlung von Gedichten und Erzählungen
denselben Titel „Zeitlosen" trägt. Bestärkt wurde ich in meiner Vermutung
durch Apels Vorliebe für die Herbstblumen, der er besonders in seinen „Elegien"
(Cicaden III, 157 f.) Ausdruck gibt. Gegen Apels Autorschaft an den „Zeit¬
losen" des Jahres 1813 spricht der Umstand, daß ihre sprachliche und metrische
Form nicht überall so geglättet ist, wie es Apel sonst liebt. Aber die Glätte
der Form ist bei Apel, wie er selbst sagt, das Ergebnis langen Feilens, und
dazu hatte er wohl unter den Nöten der harten Zeit keine Muße; auch wird
der und jene fehlende Versfuß auf Rechnung der eilfertigen und verborgnen
Drucklegung zu setzen sein; denn wie das Vorwort zeigt, war Napoleon, als
der Druck begann, in Leipzig noch der gefürchtete Tyrann. Eine andre,
allerdings sehr unsichre Spur des Autors ist vielleicht darin gegeben, daß in
der achten Zeile des oben wiedergegebnen Vorworts das Wort „Kühnen" ge¬
sperrt gedruckt ist. Sollte das vielleicht auf einen Dichter namens Kühn oder
Kühn führen? Allerdings Friedrich Adolph Kühn, der Dichter der „Zwölf
Lieder eines Sachsen" (1814, s. Goedeke VII, 288), scheint ausgeschlossen zu
sein, da er in Dresden lebte. Unter diesen Umständen wird wohl die Er¬
örterung vorläufig mit einem non liouet schließen müssen, aber vielleicht
regen diese Zeilen solche, die mehr von der Herkunft des merkwürdigen
Büchleins wissen. zu einer Mitteilung an den Verfasser an.

Auch religiöse Stoffe hat Apel bearbeitet. Er schreibt am 6. Dezember 1814
an Miltitz: „Vor einiger Zeit brachte mich der, meiner Meinung nach, ganz per¬
fekte Text des jüngsten Gerichts, den Spohr komponirt hat. auf den Einfall.


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[0475] August Apel, eine Studie aus dem alten Leipzig gebildete Leipziger die Ereignisse des Jahres 1813 bis zur Gründung des Banners der freiwilligen Sachsen begleitete. H. von Treitschke hat es bei seinem Urteil über die Haltung der sächsischen Bevölkerung jener Zeit, wie so vieles andre, was einen günstigern Eindruck erwecken konnte, nicht benutzt, aber es gehört in der Tat zu den wichtigsten Zeugnissen über die öffentliche Meinung jener Tage, die wir besitzen. Das Vorwort des Büchleins lautet: Zeitlosen nenn' ich euch. Ihr blüht ja in traurigen Tagen, Wenn der öde Herbst scheucht von den Fluren die Lust. Los' ist die Zeit und böse, die euch, ihr Schwestern, geboren; Denn auf des Vaterlands Flur lastet ein hartes Geschick. — Zeitlosen bergen im innern Schooß' ein ätzendes Gift, das, Künstlich ausgelaugt, heilende Kräfte besitzt. Reizen wird euer Gift zu blutiger Rache den Unhold Gegen des Kühnen Hand, der euch zu pflücken gewagt; Aber in undurchdringliches Dunkel gehüllet verlacht er Seine Späher und schläft ruhigen Schlummer, wie vor. Atzel, ergrimmt ihn immer! Doch bringt auch dem Vaterlandsfreunde, Dem stillhärmenden, Trost, Heilung von eigener Art! Der erste Gedanke, daß Apel der anonyme Dichter sein könne, kam mir, als ich sah, daß seine letzte 1817 it. i. 1816) in Berlin in der Schüppelschen Buchhandlung herausgegebne Sammlung von Gedichten und Erzählungen denselben Titel „Zeitlosen" trägt. Bestärkt wurde ich in meiner Vermutung durch Apels Vorliebe für die Herbstblumen, der er besonders in seinen „Elegien" (Cicaden III, 157 f.) Ausdruck gibt. Gegen Apels Autorschaft an den „Zeit¬ losen" des Jahres 1813 spricht der Umstand, daß ihre sprachliche und metrische Form nicht überall so geglättet ist, wie es Apel sonst liebt. Aber die Glätte der Form ist bei Apel, wie er selbst sagt, das Ergebnis langen Feilens, und dazu hatte er wohl unter den Nöten der harten Zeit keine Muße; auch wird der und jene fehlende Versfuß auf Rechnung der eilfertigen und verborgnen Drucklegung zu setzen sein; denn wie das Vorwort zeigt, war Napoleon, als der Druck begann, in Leipzig noch der gefürchtete Tyrann. Eine andre, allerdings sehr unsichre Spur des Autors ist vielleicht darin gegeben, daß in der achten Zeile des oben wiedergegebnen Vorworts das Wort „Kühnen" ge¬ sperrt gedruckt ist. Sollte das vielleicht auf einen Dichter namens Kühn oder Kühn führen? Allerdings Friedrich Adolph Kühn, der Dichter der „Zwölf Lieder eines Sachsen" (1814, s. Goedeke VII, 288), scheint ausgeschlossen zu sein, da er in Dresden lebte. Unter diesen Umständen wird wohl die Er¬ örterung vorläufig mit einem non liouet schließen müssen, aber vielleicht regen diese Zeilen solche, die mehr von der Herkunft des merkwürdigen Büchleins wissen. zu einer Mitteilung an den Verfasser an. Auch religiöse Stoffe hat Apel bearbeitet. Er schreibt am 6. Dezember 1814 an Miltitz: „Vor einiger Zeit brachte mich der, meiner Meinung nach, ganz per¬ fekte Text des jüngsten Gerichts, den Spohr komponirt hat. auf den Einfall.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/475>, abgerufen am 22.07.2024.