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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Goethe und die Boisseree

zu diesem doppelten Ziele einen aussichtsreichen Fortschritt zu machen, mußten
allerdings mehrere Bedingungen erfüllt werden. Der Mann, der es hier zu
etwas bringen wollte, mußte vor allem frei über seine Zeit verfügen können
und ein vermögender Mann sein. Beides traf bei den Boisseree zusammen.
Das begeisterungsvolle Herz, das allein einen vollen Erfolg verbürgen konnte,
schlug in ihrer Brust, und dazu kam auch die Göttin Gelegenheit, die in jedem
solchen Falle eine nicht zu verachtende Bundesgenossin ist. Die Franzosen,
religious- und pietätlos wie sie waren, hatten in allen linksrheinischen Ländern,
die sie besetzt hatten, sämtliche Kirchen und Klöster, deren es nicht allein in
dem "billigen" Köln, sondern auch in der ganzen Landschaft eine Unzahl gab,
aufgehoben, und deren Schmuck an Bildern und Altären wurde in der ruch¬
losesten Weise verschleudert. Wer da schnell zugreifen konnte, war in der Lage,
die bedeutendsten Erwerbungen zu machen. Freilich waren die Meister der alten
kölnischen Malerschule nicht alle dem Schöpfer des herrlichen Dombildes, Stephan
Lochner, zu vergleichen. Aber es gab doch eine ganze Reihe sehr achtbarer Talente.
Und es kam ja nur auf den Anfang an. Wenn dieser einmal gemacht war,
würde der dadurch erweckte Sammeltrieb zur Sammelwut werden, wofür die
Einrichtung der menschlichen Natur schon von selbst sorgen sollte. Sulpiz hat
uns in dem Bruchstück seiner Selbstbiographie den ersten Erwerb, den er machte,
geschildert. Es war ein großes kirchliches Gemälde, das er für ein Billiges
erstand. Als es nach seinem Hause geschafft wurde, sah es zufällig die Gro߬
mutter, die nach dem Tode der beiden Eltern das Haupt des Hauses war, und
da sie an dem heiligen Gegenstande und dem Ausdrucke der heiligen Personen
ein frommes, nicht ein künstlerisches Wohlgefallen fand, billigte sie in freund¬
lichen Worten den Ankauf und entwaffnete damit von vornherein den Einspruch,
den wir uns als sehr wahrscheinlich von den ältern Brüdern oder von dem
Geschäftsführer, Herrn Vellhagen, denken können. So war das Eis gebrochen,
und wir sehen nnn die Brüder auf einer Bilderjagd, die sich nicht auf Köln
beschränkte, sondern sich rheinabwürts bis nach Holland und nach Belgien
erstreckte. Beide Brüder suchten mit demselben Eifer, und wir können im Ver¬
lauf der Arbeit das Hervortreten aller der Symptome bemerken, die das Sammel-
fieber charakterisieren, die Unruhe, wenn eine neue Beute in das Gesichtsfeld
tritt, die erwachende und sich gradweis steigernde Begehrlichkeit, der Kampf mit
der Möglichkeit und den Mitteln, wenn es sich um den Ankauf handelt. Und
ist dann der große Wurf gelungen, welcher Jubel erfüllt das Herz des glück¬
lichen ErWerbers! Wie wird dann das Kleinod geliebkost und gehätschelt und
um der Schwierigkeit der Erringung willen oft über seinen wahren Wert hinaus
geschätzt! Natürlich schärft sich dem Bildersammler mit dem Verlauf seiner Arbeit
das Verständnis und das Unterscheidungsvermögen. Dennoch sehen wir unser
Kleeblatt nicht selten auch getäuscht oder in seinen Erwartungen betrogen. Ich
sehe hierbei noch davon ab, daß die Bestimmung oder Bezeichnung, die sie den
neu erworbnen Schätzen verliehen, vielfach vor der fachmäßigen Kritik nicht hat


Goethe und die Boisseree

zu diesem doppelten Ziele einen aussichtsreichen Fortschritt zu machen, mußten
allerdings mehrere Bedingungen erfüllt werden. Der Mann, der es hier zu
etwas bringen wollte, mußte vor allem frei über seine Zeit verfügen können
und ein vermögender Mann sein. Beides traf bei den Boisseree zusammen.
Das begeisterungsvolle Herz, das allein einen vollen Erfolg verbürgen konnte,
schlug in ihrer Brust, und dazu kam auch die Göttin Gelegenheit, die in jedem
solchen Falle eine nicht zu verachtende Bundesgenossin ist. Die Franzosen,
religious- und pietätlos wie sie waren, hatten in allen linksrheinischen Ländern,
die sie besetzt hatten, sämtliche Kirchen und Klöster, deren es nicht allein in
dem „billigen" Köln, sondern auch in der ganzen Landschaft eine Unzahl gab,
aufgehoben, und deren Schmuck an Bildern und Altären wurde in der ruch¬
losesten Weise verschleudert. Wer da schnell zugreifen konnte, war in der Lage,
die bedeutendsten Erwerbungen zu machen. Freilich waren die Meister der alten
kölnischen Malerschule nicht alle dem Schöpfer des herrlichen Dombildes, Stephan
Lochner, zu vergleichen. Aber es gab doch eine ganze Reihe sehr achtbarer Talente.
Und es kam ja nur auf den Anfang an. Wenn dieser einmal gemacht war,
würde der dadurch erweckte Sammeltrieb zur Sammelwut werden, wofür die
Einrichtung der menschlichen Natur schon von selbst sorgen sollte. Sulpiz hat
uns in dem Bruchstück seiner Selbstbiographie den ersten Erwerb, den er machte,
geschildert. Es war ein großes kirchliches Gemälde, das er für ein Billiges
erstand. Als es nach seinem Hause geschafft wurde, sah es zufällig die Gro߬
mutter, die nach dem Tode der beiden Eltern das Haupt des Hauses war, und
da sie an dem heiligen Gegenstande und dem Ausdrucke der heiligen Personen
ein frommes, nicht ein künstlerisches Wohlgefallen fand, billigte sie in freund¬
lichen Worten den Ankauf und entwaffnete damit von vornherein den Einspruch,
den wir uns als sehr wahrscheinlich von den ältern Brüdern oder von dem
Geschäftsführer, Herrn Vellhagen, denken können. So war das Eis gebrochen,
und wir sehen nnn die Brüder auf einer Bilderjagd, die sich nicht auf Köln
beschränkte, sondern sich rheinabwürts bis nach Holland und nach Belgien
erstreckte. Beide Brüder suchten mit demselben Eifer, und wir können im Ver¬
lauf der Arbeit das Hervortreten aller der Symptome bemerken, die das Sammel-
fieber charakterisieren, die Unruhe, wenn eine neue Beute in das Gesichtsfeld
tritt, die erwachende und sich gradweis steigernde Begehrlichkeit, der Kampf mit
der Möglichkeit und den Mitteln, wenn es sich um den Ankauf handelt. Und
ist dann der große Wurf gelungen, welcher Jubel erfüllt das Herz des glück¬
lichen ErWerbers! Wie wird dann das Kleinod geliebkost und gehätschelt und
um der Schwierigkeit der Erringung willen oft über seinen wahren Wert hinaus
geschätzt! Natürlich schärft sich dem Bildersammler mit dem Verlauf seiner Arbeit
das Verständnis und das Unterscheidungsvermögen. Dennoch sehen wir unser
Kleeblatt nicht selten auch getäuscht oder in seinen Erwartungen betrogen. Ich
sehe hierbei noch davon ab, daß die Bestimmung oder Bezeichnung, die sie den
neu erworbnen Schätzen verliehen, vielfach vor der fachmäßigen Kritik nicht hat


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/45>, abgerufen am 29.06.2024.