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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Goethe "no die Boisseree

bestehn können, und daß manche Umlaufe nötig geworden ist. Das konnte
nicht anders sein, weil unsre Kunstforschung, die ja damals nur die ersten unsicher
tastenden Schritte tat, mit ganz andern Mitteln der Erkenntnis und einer viel
reichern Erfahrung arbeitet. Bedenklicher könnte es scheinen, daß unsre Sammler
das Interesse, das sie ihren Bildern widmeten, aus einer doppelten Quelle
speisten. Sie waren nicht gleichgiltig gegen ihre malerischen Qualitäten, aber
eine große Rolle spielte doch auch die religiöse Wertung. Und man darf noch
hinzunehmen die Vorliebe für den nationalen Geist, der sich darin fühlbar
machte, allerdings in der Beschränkung, daß nur an das Altdeutsche dabei
gedacht wurde. So rühmt man das Fromme, das Gemütliche, Treuherzige,
Unschuldige, Keusche der Bilder und gibt damit den deutlichsten Beweis, daß es
die romantische Schule war, deren Geist hier herrscht, deren Luft man atmet.
Gewiß soll das große Verdienst, das sich die Boisseree um die Kenntnis unsrer
ältesten Malerei erworben haben, nicht im geringsten angetastet werden. Sie
haben alles getan, was sie konnten, was nur sie haben tun können, und was
in jener Zeit noch geschehn konnte. In der Münchner Pinakothek, die ihre
Sammlung aufnahm, finden sich unter den 288 Gemälden ans den altdeutschen
Schulen 123 Stücke, die von ihnen herstammen, die ältesten sind alle Er¬
werbungen, die sie gemacht haben. Und von der Einheitlichkeit, die in ihrer
Sammlung herrschte, gibt der Umstand Zeugnis, daß der späteste Künstler, der
bei ihnen vertreten war, der Regensburger Meister Altdorfer, ein jüngerer Zeit¬
genosse Dürers, war. Im Jahre 1310 verlegte unser Trio seinen Wohnsitz nach
Heidelberg, hauptsächlich, um seine Schätze vor Gewalttätigkeiten Napoleons zu
sichern, der ja die Praxis befolgte, alles Ausgezeichnete nach Paris zu schleppen,
und dagegen sträubte sich in den jungen Rheinländern der wackre deutsche Sinn,
den sie nie verleugnet haben, auf das heftigste. Schon damals galt ihre Samm¬
lung als eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges, und wir finden in der Zeit
der Befreiungskriege alle die Fürsten, die Kaiser Alexander und Franz, die
Feldherren und Staatsmänner, darunter Metternich, soweit der Krieg sie in die
Nähe führte, auch bei den Boisseree zur Besichtigung der Bilder, wobei Bertram
gewöhnlich den Cicerone machte.

Ihrer Sammlung die höchste Weihe zu geben schien aber doch niemand
berufuer als Goethe. Mochte die Romantik noch so sehr gegen ihn murren,
und Dorothea in einem ihrer liebevollen, fast mütterlichen Briefe an Sulpiz
den alten Götz für durchaus unwert des Anschauens ihrer frommen Bilder
erklären, die Brüder hatten doch viel zu viel Respekt vor der Größe des
Olympiers und waren viel zu wenig befangen in der romantischen Schuldoktrin,
als daß es ihnen nicht sehr wichtig gewesen wäre, ihn für ihre künstlerischen
Bemühungen zu interessieren. So entschloß sich Sulpiz, der in dem kleinen Ge¬
meinwesen immer den Minister der auswärtigen Angelegenheiten machte, im
Mai 1311 zu der im Anfang erwähnten Reise nach Weimar. Aber als wenn er
doch den unmittelbaren Einbruch in die geheiligtsten Provinzen des Goethischen


Goethe »no die Boisseree

bestehn können, und daß manche Umlaufe nötig geworden ist. Das konnte
nicht anders sein, weil unsre Kunstforschung, die ja damals nur die ersten unsicher
tastenden Schritte tat, mit ganz andern Mitteln der Erkenntnis und einer viel
reichern Erfahrung arbeitet. Bedenklicher könnte es scheinen, daß unsre Sammler
das Interesse, das sie ihren Bildern widmeten, aus einer doppelten Quelle
speisten. Sie waren nicht gleichgiltig gegen ihre malerischen Qualitäten, aber
eine große Rolle spielte doch auch die religiöse Wertung. Und man darf noch
hinzunehmen die Vorliebe für den nationalen Geist, der sich darin fühlbar
machte, allerdings in der Beschränkung, daß nur an das Altdeutsche dabei
gedacht wurde. So rühmt man das Fromme, das Gemütliche, Treuherzige,
Unschuldige, Keusche der Bilder und gibt damit den deutlichsten Beweis, daß es
die romantische Schule war, deren Geist hier herrscht, deren Luft man atmet.
Gewiß soll das große Verdienst, das sich die Boisseree um die Kenntnis unsrer
ältesten Malerei erworben haben, nicht im geringsten angetastet werden. Sie
haben alles getan, was sie konnten, was nur sie haben tun können, und was
in jener Zeit noch geschehn konnte. In der Münchner Pinakothek, die ihre
Sammlung aufnahm, finden sich unter den 288 Gemälden ans den altdeutschen
Schulen 123 Stücke, die von ihnen herstammen, die ältesten sind alle Er¬
werbungen, die sie gemacht haben. Und von der Einheitlichkeit, die in ihrer
Sammlung herrschte, gibt der Umstand Zeugnis, daß der späteste Künstler, der
bei ihnen vertreten war, der Regensburger Meister Altdorfer, ein jüngerer Zeit¬
genosse Dürers, war. Im Jahre 1310 verlegte unser Trio seinen Wohnsitz nach
Heidelberg, hauptsächlich, um seine Schätze vor Gewalttätigkeiten Napoleons zu
sichern, der ja die Praxis befolgte, alles Ausgezeichnete nach Paris zu schleppen,
und dagegen sträubte sich in den jungen Rheinländern der wackre deutsche Sinn,
den sie nie verleugnet haben, auf das heftigste. Schon damals galt ihre Samm¬
lung als eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges, und wir finden in der Zeit
der Befreiungskriege alle die Fürsten, die Kaiser Alexander und Franz, die
Feldherren und Staatsmänner, darunter Metternich, soweit der Krieg sie in die
Nähe führte, auch bei den Boisseree zur Besichtigung der Bilder, wobei Bertram
gewöhnlich den Cicerone machte.

Ihrer Sammlung die höchste Weihe zu geben schien aber doch niemand
berufuer als Goethe. Mochte die Romantik noch so sehr gegen ihn murren,
und Dorothea in einem ihrer liebevollen, fast mütterlichen Briefe an Sulpiz
den alten Götz für durchaus unwert des Anschauens ihrer frommen Bilder
erklären, die Brüder hatten doch viel zu viel Respekt vor der Größe des
Olympiers und waren viel zu wenig befangen in der romantischen Schuldoktrin,
als daß es ihnen nicht sehr wichtig gewesen wäre, ihn für ihre künstlerischen
Bemühungen zu interessieren. So entschloß sich Sulpiz, der in dem kleinen Ge¬
meinwesen immer den Minister der auswärtigen Angelegenheiten machte, im
Mai 1311 zu der im Anfang erwähnten Reise nach Weimar. Aber als wenn er
doch den unmittelbaren Einbruch in die geheiligtsten Provinzen des Goethischen


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[0046] Goethe »no die Boisseree bestehn können, und daß manche Umlaufe nötig geworden ist. Das konnte nicht anders sein, weil unsre Kunstforschung, die ja damals nur die ersten unsicher tastenden Schritte tat, mit ganz andern Mitteln der Erkenntnis und einer viel reichern Erfahrung arbeitet. Bedenklicher könnte es scheinen, daß unsre Sammler das Interesse, das sie ihren Bildern widmeten, aus einer doppelten Quelle speisten. Sie waren nicht gleichgiltig gegen ihre malerischen Qualitäten, aber eine große Rolle spielte doch auch die religiöse Wertung. Und man darf noch hinzunehmen die Vorliebe für den nationalen Geist, der sich darin fühlbar machte, allerdings in der Beschränkung, daß nur an das Altdeutsche dabei gedacht wurde. So rühmt man das Fromme, das Gemütliche, Treuherzige, Unschuldige, Keusche der Bilder und gibt damit den deutlichsten Beweis, daß es die romantische Schule war, deren Geist hier herrscht, deren Luft man atmet. Gewiß soll das große Verdienst, das sich die Boisseree um die Kenntnis unsrer ältesten Malerei erworben haben, nicht im geringsten angetastet werden. Sie haben alles getan, was sie konnten, was nur sie haben tun können, und was in jener Zeit noch geschehn konnte. In der Münchner Pinakothek, die ihre Sammlung aufnahm, finden sich unter den 288 Gemälden ans den altdeutschen Schulen 123 Stücke, die von ihnen herstammen, die ältesten sind alle Er¬ werbungen, die sie gemacht haben. Und von der Einheitlichkeit, die in ihrer Sammlung herrschte, gibt der Umstand Zeugnis, daß der späteste Künstler, der bei ihnen vertreten war, der Regensburger Meister Altdorfer, ein jüngerer Zeit¬ genosse Dürers, war. Im Jahre 1310 verlegte unser Trio seinen Wohnsitz nach Heidelberg, hauptsächlich, um seine Schätze vor Gewalttätigkeiten Napoleons zu sichern, der ja die Praxis befolgte, alles Ausgezeichnete nach Paris zu schleppen, und dagegen sträubte sich in den jungen Rheinländern der wackre deutsche Sinn, den sie nie verleugnet haben, auf das heftigste. Schon damals galt ihre Samm¬ lung als eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges, und wir finden in der Zeit der Befreiungskriege alle die Fürsten, die Kaiser Alexander und Franz, die Feldherren und Staatsmänner, darunter Metternich, soweit der Krieg sie in die Nähe führte, auch bei den Boisseree zur Besichtigung der Bilder, wobei Bertram gewöhnlich den Cicerone machte. Ihrer Sammlung die höchste Weihe zu geben schien aber doch niemand berufuer als Goethe. Mochte die Romantik noch so sehr gegen ihn murren, und Dorothea in einem ihrer liebevollen, fast mütterlichen Briefe an Sulpiz den alten Götz für durchaus unwert des Anschauens ihrer frommen Bilder erklären, die Brüder hatten doch viel zu viel Respekt vor der Größe des Olympiers und waren viel zu wenig befangen in der romantischen Schuldoktrin, als daß es ihnen nicht sehr wichtig gewesen wäre, ihn für ihre künstlerischen Bemühungen zu interessieren. So entschloß sich Sulpiz, der in dem kleinen Ge¬ meinwesen immer den Minister der auswärtigen Angelegenheiten machte, im Mai 1311 zu der im Anfang erwähnten Reise nach Weimar. Aber als wenn er doch den unmittelbaren Einbruch in die geheiligtsten Provinzen des Goethischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/46>, abgerufen am 01.07.2024.