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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Goethe und die Boissere'e

Münchner Senefelder erfundnen Steindruck eifrig pflegte und in den Dienst der
von den Brüdern erworbnen Bilder stellte. Beide waren anfangs den Über¬
lieferungen des Hauses zufolge dem kaufmännischen Berufe bestimmt, nachdem
sich der älteste Bruder der Kirche gewidmet hatte und in Köln als Domherr in
Ansehen und Ehren lebte. Sulpiz arbeitete kurze Zeit auf einem Hamburgischen
Kondor und machte dort die Bekanntschaft mit jenem Reinhard, der damals
französischer Ministerresident in Hamburg war und eine Reimarus zur Frau
hatte. Als die ungünstigen Zeitverhältnisse das Hamburger Haus zum Falle
brachten, kehrte Sulpiz nach Köln zurück, fing aber nun an, seinen Neigungen,
der Beschäftigung mit der Literatur und den Künsten zu leben. Einen Gefährten
auf diesem Wege fand er an dem sieben Jahre ältern Landsmanne Bertram,
der die Rechte studiert hatte, ohne jedoch an den Eintritt in ein praktisches
Leben ernstlich zu denken. Durch die Gemeinsamkeit der literarischen Interessen
kam er Boisseree näher und näher, und seitdem er die beiden Brüder zu einem
gemeinsamen Aufenthalt in Paris überredet hatte, war er ihr unzertrennlicher
Gefährte und teilte ihr ferneres Leben bis an seinen Tod, der am 19. April
1841 erfolgte. So war aus dein Brüderpaar ein Kleeblatt geworden, und ihre
Namen sind verbunden in die Annalen der Kunstgeschichte eingetragen. Der
wichtigste Ertrag jenes Pariser Aufenthalts im Winter 1803 auf 1804 war
die Bekanntschaft mit Friedrich Schlegel, der damals dort lebte. Er hielt den
Brüdern Vorträge, leitete ihre Studien, und das Verhältnis wurde dadurch noch
vertrauter, daß Sulpiz, der zarter Gesundheit war, mit Schlegels die Wohnung
teilte und die sorgsame Pflege Frau Dorotheas genoß. Als die Brüder nach
Köln heimkehrten, schloß sich Schlegel ihnen an, setzte die Vorlesungen, die er
ihnen gehalten hatte, fort und gewann auch eine öffentliche Tätigkeit, indem
er Vorträge an einer Art von Akademie übernahm, die dort als eine Reminis-
zenz der ehemaligen Universität bestand, deren Erinnerung freilich hauptsächlich
durch die Namen Hoogstraten und Pfefferkorn und die gegen sie gerichteten
Briefe der Dunkelmänner nicht die glänzendste ist.

Durch Schlegel wurde Sulpiz auch zuerst auf das Verständnis und das
lebendige Interesse für die Kunst gewiesen, und so verdankte er ihm die Er¬
schließung des einen der beiden großen Gebiete, auf denen die gesamte Arbeit seines
spätern Lebens ruhen sollte. Er bietet ein glänzendes Beispiel für die Tatsache,
daß einem Menschen kein größeres Glück beschieden sein kann, als wenn sich ihm
schon früh ein großes bedeutendes wertvolles Ziel auftut, dem er seine ganze
Kraft widmen kann, und in dessen Verfolgung er höchste Befriedigung und
glücklichsten Erfolg finden wird. Die beiden großen Ziele waren erstens die
Sammlung der altdeutschen Gemälde, auf die man damals zuerst wieder auf¬
merksam zu werden begann, und dann seine unablässige liebevolle Bemühung um
den Ausbau und die Vollendung des Kölner Domes, den die vergangnen Jahr¬
hunderte als ein großartiges Bruchstück und der Vandalismus der erobernden
Franzosen als eine jammervolle Ruine zurückgelassen hatten. Um auf dem Wege


Goethe und die Boissere'e

Münchner Senefelder erfundnen Steindruck eifrig pflegte und in den Dienst der
von den Brüdern erworbnen Bilder stellte. Beide waren anfangs den Über¬
lieferungen des Hauses zufolge dem kaufmännischen Berufe bestimmt, nachdem
sich der älteste Bruder der Kirche gewidmet hatte und in Köln als Domherr in
Ansehen und Ehren lebte. Sulpiz arbeitete kurze Zeit auf einem Hamburgischen
Kondor und machte dort die Bekanntschaft mit jenem Reinhard, der damals
französischer Ministerresident in Hamburg war und eine Reimarus zur Frau
hatte. Als die ungünstigen Zeitverhältnisse das Hamburger Haus zum Falle
brachten, kehrte Sulpiz nach Köln zurück, fing aber nun an, seinen Neigungen,
der Beschäftigung mit der Literatur und den Künsten zu leben. Einen Gefährten
auf diesem Wege fand er an dem sieben Jahre ältern Landsmanne Bertram,
der die Rechte studiert hatte, ohne jedoch an den Eintritt in ein praktisches
Leben ernstlich zu denken. Durch die Gemeinsamkeit der literarischen Interessen
kam er Boisseree näher und näher, und seitdem er die beiden Brüder zu einem
gemeinsamen Aufenthalt in Paris überredet hatte, war er ihr unzertrennlicher
Gefährte und teilte ihr ferneres Leben bis an seinen Tod, der am 19. April
1841 erfolgte. So war aus dein Brüderpaar ein Kleeblatt geworden, und ihre
Namen sind verbunden in die Annalen der Kunstgeschichte eingetragen. Der
wichtigste Ertrag jenes Pariser Aufenthalts im Winter 1803 auf 1804 war
die Bekanntschaft mit Friedrich Schlegel, der damals dort lebte. Er hielt den
Brüdern Vorträge, leitete ihre Studien, und das Verhältnis wurde dadurch noch
vertrauter, daß Sulpiz, der zarter Gesundheit war, mit Schlegels die Wohnung
teilte und die sorgsame Pflege Frau Dorotheas genoß. Als die Brüder nach
Köln heimkehrten, schloß sich Schlegel ihnen an, setzte die Vorlesungen, die er
ihnen gehalten hatte, fort und gewann auch eine öffentliche Tätigkeit, indem
er Vorträge an einer Art von Akademie übernahm, die dort als eine Reminis-
zenz der ehemaligen Universität bestand, deren Erinnerung freilich hauptsächlich
durch die Namen Hoogstraten und Pfefferkorn und die gegen sie gerichteten
Briefe der Dunkelmänner nicht die glänzendste ist.

Durch Schlegel wurde Sulpiz auch zuerst auf das Verständnis und das
lebendige Interesse für die Kunst gewiesen, und so verdankte er ihm die Er¬
schließung des einen der beiden großen Gebiete, auf denen die gesamte Arbeit seines
spätern Lebens ruhen sollte. Er bietet ein glänzendes Beispiel für die Tatsache,
daß einem Menschen kein größeres Glück beschieden sein kann, als wenn sich ihm
schon früh ein großes bedeutendes wertvolles Ziel auftut, dem er seine ganze
Kraft widmen kann, und in dessen Verfolgung er höchste Befriedigung und
glücklichsten Erfolg finden wird. Die beiden großen Ziele waren erstens die
Sammlung der altdeutschen Gemälde, auf die man damals zuerst wieder auf¬
merksam zu werden begann, und dann seine unablässige liebevolle Bemühung um
den Ausbau und die Vollendung des Kölner Domes, den die vergangnen Jahr¬
hunderte als ein großartiges Bruchstück und der Vandalismus der erobernden
Franzosen als eine jammervolle Ruine zurückgelassen hatten. Um auf dem Wege


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/44>, abgerufen am 26.06.2024.