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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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August Apel, eine Studie aus dem alten Leipzig

konnte, das "Wunderbuch" (ebenda 1815 bis 1817). Diese Erzählungen unter
uns, wie die ganze Novellistik jener Zeit, fremdartig, in manchen Punkten fast
wie etwas Kindisches an, aber sie fanden zu ihrer Zeit nicht nur im Volke,
sondern auch unter den Gebildeten zahlreiche Leser, weil sie gegen den dürren
Rationalismus und die oberflächliche Aufklärung des ausgehenden achtzehnten
Jahrhunderts eine erklärliche Reaktion bewirken und den natürlichen Respekt
des Menschen vor einer höhern Welt zum Ausdruck bringen. Ist der Inhalt
dieser Erzählungen oft recht unbedeutend und die Form wenig glücklich, so
finden sich doch auch echte Perlen darunter, wie die von Apel nach einer
ältern Vorlage verfaßte Volkssage "Der Freischütz", die den Stoff zu Carl
Maria von Webers unsterblicher Oper geliefert hat. Auch die 1810 bis 1811
im Berliner "Kunst- und Industrie-Comptoir" erschienenen drei Bände "Cicaden"
enthalten mehrere derartige Novellen und Märchen. Aber es überwogen größere
und kleinere metrische Gedichte, die vorzugsweise in den Jahren 1804 bis
1809 entstanden sind. Die Ballade "Simonides", die den ersten Band der
"Cicaden" eröffnet, hat durch die an Schillers beste Epen erinnernde schwung¬
volle Sprache eine solche Berühmtheit erlangt, daß sie sich noch heute in den
Lesebüchern unsrer Gymnasiasten findet. Auf derselben Höhe der Kunst steht
aber auch die im Jahre 1809 wohl im Hinblick auf die österreichische Erhebung
gedichtete Ballade "Curtius" (II, 49) und einige an Herders "Stimmen der
Völker" anklingende poetische Bearbeitungen schottischer und slawischer Stoffe,
darunter der durch Plastik der Sprache und unaufhaltsamen Fortschritt der
Handlung bedeutende "Lord Douglas" (III, 146).

Ganz besonders interessieren unter den "Cicaden" die Stücke, die eine
Beziehung auf Leipziger Verhältnisse oder auf die Zeitgeschichte enthalten.
Unter diesen sind zunächst die 1807 gedichteten "Elegien" (III, 157 bis 218)
Zu nennen, wohl das Beste, was Apel in Nachahmung antiker Verskunst ge¬
schaffen hat. Dn malt er uns die sanften Blumen des Herbstes als Spiegel¬
bilder wehmütiger Jugenderinnerungen, oder er schwärmt von seiner "frühesten
Liebe", die ihm, dem Knaben, der hinter die Schule gelaufen ist, das Menschen¬
gewühl der Friedensfeier in den Arm führt, oder er schildert den ersehnten
Abmarsch der Franzosen aus Leipzig, aber das Quartier bleibt nicht leer: statt
des äußern Feindes der innere, eine neue Liebe zieht in seine Seele. "Unter
Kastanienbäumen, am grün umschatteten Teetisch", d. i. in Ermlitz verliert er
im Schachspiel die Partie und sein Herz, oder er wandert zur Meßzeit in die vorm
Tor aufgebaute Camera ovsvura und schaut dort außer den lustigsten Spiegel¬
bildern ein lebendiges:

Stets hinwandt' ich das Aug; bald stand in des innersten Herzens
Dunkeler Kammer das Bild, immer beschau ich es nun.
Denn es erhält Sehnsucht in der Brust mir trauriges Dunkel.
Bis ich die Himmlische selbst halte, verweilt da das Bild.
Dann aus dunkeler Kammer verweis ich es: ewiges Licht glänzt,
Wo sie erscheint, und die Lust schwebt in dem heiteren Strahl.

August Apel, eine Studie aus dem alten Leipzig

konnte, das „Wunderbuch" (ebenda 1815 bis 1817). Diese Erzählungen unter
uns, wie die ganze Novellistik jener Zeit, fremdartig, in manchen Punkten fast
wie etwas Kindisches an, aber sie fanden zu ihrer Zeit nicht nur im Volke,
sondern auch unter den Gebildeten zahlreiche Leser, weil sie gegen den dürren
Rationalismus und die oberflächliche Aufklärung des ausgehenden achtzehnten
Jahrhunderts eine erklärliche Reaktion bewirken und den natürlichen Respekt
des Menschen vor einer höhern Welt zum Ausdruck bringen. Ist der Inhalt
dieser Erzählungen oft recht unbedeutend und die Form wenig glücklich, so
finden sich doch auch echte Perlen darunter, wie die von Apel nach einer
ältern Vorlage verfaßte Volkssage „Der Freischütz", die den Stoff zu Carl
Maria von Webers unsterblicher Oper geliefert hat. Auch die 1810 bis 1811
im Berliner „Kunst- und Industrie-Comptoir" erschienenen drei Bände „Cicaden"
enthalten mehrere derartige Novellen und Märchen. Aber es überwogen größere
und kleinere metrische Gedichte, die vorzugsweise in den Jahren 1804 bis
1809 entstanden sind. Die Ballade „Simonides", die den ersten Band der
„Cicaden" eröffnet, hat durch die an Schillers beste Epen erinnernde schwung¬
volle Sprache eine solche Berühmtheit erlangt, daß sie sich noch heute in den
Lesebüchern unsrer Gymnasiasten findet. Auf derselben Höhe der Kunst steht
aber auch die im Jahre 1809 wohl im Hinblick auf die österreichische Erhebung
gedichtete Ballade „Curtius" (II, 49) und einige an Herders „Stimmen der
Völker" anklingende poetische Bearbeitungen schottischer und slawischer Stoffe,
darunter der durch Plastik der Sprache und unaufhaltsamen Fortschritt der
Handlung bedeutende „Lord Douglas" (III, 146).

Ganz besonders interessieren unter den „Cicaden" die Stücke, die eine
Beziehung auf Leipziger Verhältnisse oder auf die Zeitgeschichte enthalten.
Unter diesen sind zunächst die 1807 gedichteten „Elegien" (III, 157 bis 218)
Zu nennen, wohl das Beste, was Apel in Nachahmung antiker Verskunst ge¬
schaffen hat. Dn malt er uns die sanften Blumen des Herbstes als Spiegel¬
bilder wehmütiger Jugenderinnerungen, oder er schwärmt von seiner „frühesten
Liebe", die ihm, dem Knaben, der hinter die Schule gelaufen ist, das Menschen¬
gewühl der Friedensfeier in den Arm führt, oder er schildert den ersehnten
Abmarsch der Franzosen aus Leipzig, aber das Quartier bleibt nicht leer: statt
des äußern Feindes der innere, eine neue Liebe zieht in seine Seele. „Unter
Kastanienbäumen, am grün umschatteten Teetisch", d. i. in Ermlitz verliert er
im Schachspiel die Partie und sein Herz, oder er wandert zur Meßzeit in die vorm
Tor aufgebaute Camera ovsvura und schaut dort außer den lustigsten Spiegel¬
bildern ein lebendiges:

Stets hinwandt' ich das Aug; bald stand in des innersten Herzens
Dunkeler Kammer das Bild, immer beschau ich es nun.
Denn es erhält Sehnsucht in der Brust mir trauriges Dunkel.
Bis ich die Himmlische selbst halte, verweilt da das Bild.
Dann aus dunkeler Kammer verweis ich es: ewiges Licht glänzt,
Wo sie erscheint, und die Lust schwebt in dem heiteren Strahl.

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[0419] August Apel, eine Studie aus dem alten Leipzig konnte, das „Wunderbuch" (ebenda 1815 bis 1817). Diese Erzählungen unter uns, wie die ganze Novellistik jener Zeit, fremdartig, in manchen Punkten fast wie etwas Kindisches an, aber sie fanden zu ihrer Zeit nicht nur im Volke, sondern auch unter den Gebildeten zahlreiche Leser, weil sie gegen den dürren Rationalismus und die oberflächliche Aufklärung des ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts eine erklärliche Reaktion bewirken und den natürlichen Respekt des Menschen vor einer höhern Welt zum Ausdruck bringen. Ist der Inhalt dieser Erzählungen oft recht unbedeutend und die Form wenig glücklich, so finden sich doch auch echte Perlen darunter, wie die von Apel nach einer ältern Vorlage verfaßte Volkssage „Der Freischütz", die den Stoff zu Carl Maria von Webers unsterblicher Oper geliefert hat. Auch die 1810 bis 1811 im Berliner „Kunst- und Industrie-Comptoir" erschienenen drei Bände „Cicaden" enthalten mehrere derartige Novellen und Märchen. Aber es überwogen größere und kleinere metrische Gedichte, die vorzugsweise in den Jahren 1804 bis 1809 entstanden sind. Die Ballade „Simonides", die den ersten Band der „Cicaden" eröffnet, hat durch die an Schillers beste Epen erinnernde schwung¬ volle Sprache eine solche Berühmtheit erlangt, daß sie sich noch heute in den Lesebüchern unsrer Gymnasiasten findet. Auf derselben Höhe der Kunst steht aber auch die im Jahre 1809 wohl im Hinblick auf die österreichische Erhebung gedichtete Ballade „Curtius" (II, 49) und einige an Herders „Stimmen der Völker" anklingende poetische Bearbeitungen schottischer und slawischer Stoffe, darunter der durch Plastik der Sprache und unaufhaltsamen Fortschritt der Handlung bedeutende „Lord Douglas" (III, 146). Ganz besonders interessieren unter den „Cicaden" die Stücke, die eine Beziehung auf Leipziger Verhältnisse oder auf die Zeitgeschichte enthalten. Unter diesen sind zunächst die 1807 gedichteten „Elegien" (III, 157 bis 218) Zu nennen, wohl das Beste, was Apel in Nachahmung antiker Verskunst ge¬ schaffen hat. Dn malt er uns die sanften Blumen des Herbstes als Spiegel¬ bilder wehmütiger Jugenderinnerungen, oder er schwärmt von seiner „frühesten Liebe", die ihm, dem Knaben, der hinter die Schule gelaufen ist, das Menschen¬ gewühl der Friedensfeier in den Arm führt, oder er schildert den ersehnten Abmarsch der Franzosen aus Leipzig, aber das Quartier bleibt nicht leer: statt des äußern Feindes der innere, eine neue Liebe zieht in seine Seele. „Unter Kastanienbäumen, am grün umschatteten Teetisch", d. i. in Ermlitz verliert er im Schachspiel die Partie und sein Herz, oder er wandert zur Meßzeit in die vorm Tor aufgebaute Camera ovsvura und schaut dort außer den lustigsten Spiegel¬ bildern ein lebendiges: Stets hinwandt' ich das Aug; bald stand in des innersten Herzens Dunkeler Kammer das Bild, immer beschau ich es nun. Denn es erhält Sehnsucht in der Brust mir trauriges Dunkel. Bis ich die Himmlische selbst halte, verweilt da das Bild. Dann aus dunkeler Kammer verweis ich es: ewiges Licht glänzt, Wo sie erscheint, und die Lust schwebt in dem heiteren Strahl.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/419>, abgerufen am 29.06.2024.