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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Naxoleonbriefe

in hervorragendsten Maße ein Mann des Details war. Er begnügte sich nicht
allgemeine Direktiven zu geben; bei Umsetzung seiner Gedanken in die Tat
scheint er überall dabei sein zu wollen und hätte gewiß am liebsten alles und
jedes auch im einzelnen gemacht. Es ist ein Verdienst der neuern Napoleon¬
forschung, daß sie neben seinen großen Feldherrngaben auch seine hervorragenden
Negenteneigenschaften betont hat. Sein Geist und seine unvergleichliche Willens¬
kraft umspannt alle Gebiete des staatlichen Lebens. Und wenn man sagt, daß
nur unersättlicher Ehrgeiz, gigantischer Egoismus ihn trieb, so muß man doch
anerkennen, daß dieser Egoismus in Frankreich viel Großes und Gutes schuf,
so furchtbare Wunden er sonst dem Lande schlug. Napoleon war nicht ohne
Gemüt; und man hat keinen Grund, ihm alles Herz für seine Untertanen
abzusprechen. An Arbeitslust und Arbeitskraft aber für das allgemeine Interesse
hat er sicher alle die legitimen Fürsten seiner Zeit übertroffen.

Wie alle wirklich großen Fürsten wandte der Kaiser eine Hauptsorge
dem Unterrichtswesen zu: merkwürdig ist in dieser Richtung der ungewöhnlich
lange Brief aus Finkenstein (Provinz Preußen) vom Mai 1807, die neu
gegründete Mädchenerziehungsanstalt in Ecouen betreffend. Napoleon gibt über
Gegenstünde, Grundsätze und Einteilung des Unterrichts, über Kost, Kleidung,
Gebäude und so fort die allergründlichsten Weisungen. Alles mit dem Ver¬
ständnis eines Schulmannes von Beruf. Und das zu einer Zeit, da er mit
Preußen und Rußland im Kriege lag, zwischen den mörderischen Schlachten
von Eylein und Friedland! Auch ein Brief an Champagny über das Prytaneum
von Se. Chr, mit dem der Kaiser unzufrieden war, geht in alle Einzelheiten
ein. Man hat das Gefühl, daß dieser Mann kein angenehmer Schulinspektor
gewesen sein muß, einer, dem auch bei flüchtiger Besichtigung nichts entging.

Wie stark die kaiserliche Negierung mit der geheimen Polizei arbeitete,
ist längst bekannt; bekannt auch, daß sich Napoleon aus diesem Grunde von
dein geriebensten, aber auch treulosesten und hinterhältigsten seiner Diener,
von Joseph Fouche so lange nicht trennte. Daß die Polizei nicht ängstlich in
ihren Mitteln war, versteht sich von selbst. Er dulde, schreibt Napoleon einmal,
die Spielhüuser in Paris, weil man sie in einer so ungeheuern Stadt nicht
hindern könne, und weil sie ein Mittel seien, dessen sich die Polizei bediene.
Ganz vom Standpunkt der Polizei faßte Napoleon auch die Presse auf, wenn
er sich auch gelegentlich einmal abfällig über die Zensur äußert. Der einstige
Jakobiner betrachtete die "öffentliche Meinung" doch nur als Mittel für seine
Zwecke, ein Mittel, mit dem er aber fast immer unzufrieden war. "Es ist zu
einfältig, schreibt er 1805, Zeitungen zu haben, die nur den Nachteil der
Presse haben, ohne deren Vorteil zu gewähren." Überhaupt spricht er von den
Pariser Blättern nur mit Geringschätzung, was sie vermutlich verdienten. "Ich
glaube nicht, daß man zuviel verlangt, wenn man sie Albernheiten schwatzen
und sich gegenseitig heruntermachen läßt, vorausgesetzt, daß sie nicht von den
gegenwärtigen Verhältnissen reden." Bei jedem Ungehorsam wurden die Blätter


Naxoleonbriefe

in hervorragendsten Maße ein Mann des Details war. Er begnügte sich nicht
allgemeine Direktiven zu geben; bei Umsetzung seiner Gedanken in die Tat
scheint er überall dabei sein zu wollen und hätte gewiß am liebsten alles und
jedes auch im einzelnen gemacht. Es ist ein Verdienst der neuern Napoleon¬
forschung, daß sie neben seinen großen Feldherrngaben auch seine hervorragenden
Negenteneigenschaften betont hat. Sein Geist und seine unvergleichliche Willens¬
kraft umspannt alle Gebiete des staatlichen Lebens. Und wenn man sagt, daß
nur unersättlicher Ehrgeiz, gigantischer Egoismus ihn trieb, so muß man doch
anerkennen, daß dieser Egoismus in Frankreich viel Großes und Gutes schuf,
so furchtbare Wunden er sonst dem Lande schlug. Napoleon war nicht ohne
Gemüt; und man hat keinen Grund, ihm alles Herz für seine Untertanen
abzusprechen. An Arbeitslust und Arbeitskraft aber für das allgemeine Interesse
hat er sicher alle die legitimen Fürsten seiner Zeit übertroffen.

Wie alle wirklich großen Fürsten wandte der Kaiser eine Hauptsorge
dem Unterrichtswesen zu: merkwürdig ist in dieser Richtung der ungewöhnlich
lange Brief aus Finkenstein (Provinz Preußen) vom Mai 1807, die neu
gegründete Mädchenerziehungsanstalt in Ecouen betreffend. Napoleon gibt über
Gegenstünde, Grundsätze und Einteilung des Unterrichts, über Kost, Kleidung,
Gebäude und so fort die allergründlichsten Weisungen. Alles mit dem Ver¬
ständnis eines Schulmannes von Beruf. Und das zu einer Zeit, da er mit
Preußen und Rußland im Kriege lag, zwischen den mörderischen Schlachten
von Eylein und Friedland! Auch ein Brief an Champagny über das Prytaneum
von Se. Chr, mit dem der Kaiser unzufrieden war, geht in alle Einzelheiten
ein. Man hat das Gefühl, daß dieser Mann kein angenehmer Schulinspektor
gewesen sein muß, einer, dem auch bei flüchtiger Besichtigung nichts entging.

Wie stark die kaiserliche Negierung mit der geheimen Polizei arbeitete,
ist längst bekannt; bekannt auch, daß sich Napoleon aus diesem Grunde von
dein geriebensten, aber auch treulosesten und hinterhältigsten seiner Diener,
von Joseph Fouche so lange nicht trennte. Daß die Polizei nicht ängstlich in
ihren Mitteln war, versteht sich von selbst. Er dulde, schreibt Napoleon einmal,
die Spielhüuser in Paris, weil man sie in einer so ungeheuern Stadt nicht
hindern könne, und weil sie ein Mittel seien, dessen sich die Polizei bediene.
Ganz vom Standpunkt der Polizei faßte Napoleon auch die Presse auf, wenn
er sich auch gelegentlich einmal abfällig über die Zensur äußert. Der einstige
Jakobiner betrachtete die „öffentliche Meinung" doch nur als Mittel für seine
Zwecke, ein Mittel, mit dem er aber fast immer unzufrieden war. „Es ist zu
einfältig, schreibt er 1805, Zeitungen zu haben, die nur den Nachteil der
Presse haben, ohne deren Vorteil zu gewähren." Überhaupt spricht er von den
Pariser Blättern nur mit Geringschätzung, was sie vermutlich verdienten. „Ich
glaube nicht, daß man zuviel verlangt, wenn man sie Albernheiten schwatzen
und sich gegenseitig heruntermachen läßt, vorausgesetzt, daß sie nicht von den
gegenwärtigen Verhältnissen reden." Bei jedem Ungehorsam wurden die Blätter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/39>, abgerufen am 29.06.2024.