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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Napoleonbriefe

sofort mit Unterdrückung bedroht. Sie sollten über Politik überhaupt nicht
schreiben; nicht einmal gelobt wollte er von ihnen sein, denn auch das machten
sie wahrscheinlich ungeschickt. "Halten Sie die Leute in Schranken, schreibt er
an seinen Polizeiminister, verbieten Sie ihnen, sowohl von den Bourbonen
als von der neuen Dynastie zu sprechen." Ein köstliches Beispiel für das, was
man die öffentliche Meinung inspirieren nennt: die V6bg,t8 hatten das Mi߬
fallen des Kaisers erregt, weil sie behaupteten, Schweden könne mit englischer
Hilfe hunderttausend Mann aufstellen. "Sorgen Sie dafür, schreibt der kaiser¬
liche Preßbureauchef, daß sich der Redakteur morgen über diese hunderttausend
Mann lustig macht." Übrigens war Napoleon ein großer Leser; auch dazu
fand er noch Zeit. Sogar ins Feld führte er eine ziemlich große Handbibliothek
mit Werken verschiedenster Gattung mit, die er genau bezeichnet hatte.

Theaterfragen interessieren den Unermüdlichen ebenso wie die Organi¬
sation des Zoologischen Gartens, die Übersetzung von Strabos Geographie
wie die Porzellanmanufaktur von Sevres. Hervorragend ist selbstverständlich
seine Sorgfalt in allen Dingen der Volkswirtschaft. "Ist es wahr, schreibt er
an Berthollet, Mitglied des Instituts, daß ein gewisser Achard in Berlin guten
Zucker aus Ahorn gemacht hat, und daß man ebenfalls aus Rüben Zucker
machen kann? Ich bitte Sie, hierüber Untersuchungen anzustellen." Jede Preis¬
veränderung bei den wichtigsten Lebensmitteln berührt ihn. "Lassen Sie mich
wissen, befiehlt er Clarke 1811, warum das Pfund Salz in Straßburg um
einen Sou teurer verkauft wird."

So sind es hundert und tausend verschiedenste Dinge, um die er sich mitten
hindurch zwischen den größten Fragen der Politik, mitten in dem körperlich
und geistig aufreibenden Kriegsleben oder in den wenigen Pausen friedlicher
Erholung kümmert. Mit Recht betont Landsberg, daß Napoleons Vielseitig¬
keit nie kleinlich und dilettantisch wirkt. Allen Dingen, mit denen er sich befaßt,
drückt er sofort den Stempel seines energischen Geistes auf. Seine Ansichten
sind immer persönlich und (auch diese Empfindung gewinnt man im großen und
kleinen) selbständig und unbeeinflußt. Und mit der gewonnenen Erkenntnis
scheint auch schon die Umsetzung in die Tat zusammenzufallen oder sollte es
wenigstens nach seinem Willen. Zürnende Ungeduld spricht oft genug aus
seinen Schreiben, wenn die Ausführung seiner Befehle zu langsam ging, oder
seine Ideen nicht richtig verstanden wurden.

Dem Manne, dessen starke und harte Hand zuletzt von Hamburg bis an
die Südspitze Neapels, von Bajadoz bis an den Niemen reichte, war unter
Umstünden keine Sache zu gering. Ob in Paris, in Malmaison oder in
Se. Cloud, in Valladolid oder in Berlin, in Schönbrunn oder in Smo-
lensk -- die Arbeit wird ihm nie zu viel, und überall denkt er an das Wohl
seines Frankreich und seiner Franzosen, so wie er es eben verstand. Fast er¬
heiternd wirkt, bei Napoleons sonstiger Liebe für das Detail, die saloppe Art,
in der er schon 1806 mit Ländern und Seelen umsprang. So schreibt er an


Napoleonbriefe

sofort mit Unterdrückung bedroht. Sie sollten über Politik überhaupt nicht
schreiben; nicht einmal gelobt wollte er von ihnen sein, denn auch das machten
sie wahrscheinlich ungeschickt. „Halten Sie die Leute in Schranken, schreibt er
an seinen Polizeiminister, verbieten Sie ihnen, sowohl von den Bourbonen
als von der neuen Dynastie zu sprechen." Ein köstliches Beispiel für das, was
man die öffentliche Meinung inspirieren nennt: die V6bg,t8 hatten das Mi߬
fallen des Kaisers erregt, weil sie behaupteten, Schweden könne mit englischer
Hilfe hunderttausend Mann aufstellen. „Sorgen Sie dafür, schreibt der kaiser¬
liche Preßbureauchef, daß sich der Redakteur morgen über diese hunderttausend
Mann lustig macht." Übrigens war Napoleon ein großer Leser; auch dazu
fand er noch Zeit. Sogar ins Feld führte er eine ziemlich große Handbibliothek
mit Werken verschiedenster Gattung mit, die er genau bezeichnet hatte.

Theaterfragen interessieren den Unermüdlichen ebenso wie die Organi¬
sation des Zoologischen Gartens, die Übersetzung von Strabos Geographie
wie die Porzellanmanufaktur von Sevres. Hervorragend ist selbstverständlich
seine Sorgfalt in allen Dingen der Volkswirtschaft. „Ist es wahr, schreibt er
an Berthollet, Mitglied des Instituts, daß ein gewisser Achard in Berlin guten
Zucker aus Ahorn gemacht hat, und daß man ebenfalls aus Rüben Zucker
machen kann? Ich bitte Sie, hierüber Untersuchungen anzustellen." Jede Preis¬
veränderung bei den wichtigsten Lebensmitteln berührt ihn. „Lassen Sie mich
wissen, befiehlt er Clarke 1811, warum das Pfund Salz in Straßburg um
einen Sou teurer verkauft wird."

So sind es hundert und tausend verschiedenste Dinge, um die er sich mitten
hindurch zwischen den größten Fragen der Politik, mitten in dem körperlich
und geistig aufreibenden Kriegsleben oder in den wenigen Pausen friedlicher
Erholung kümmert. Mit Recht betont Landsberg, daß Napoleons Vielseitig¬
keit nie kleinlich und dilettantisch wirkt. Allen Dingen, mit denen er sich befaßt,
drückt er sofort den Stempel seines energischen Geistes auf. Seine Ansichten
sind immer persönlich und (auch diese Empfindung gewinnt man im großen und
kleinen) selbständig und unbeeinflußt. Und mit der gewonnenen Erkenntnis
scheint auch schon die Umsetzung in die Tat zusammenzufallen oder sollte es
wenigstens nach seinem Willen. Zürnende Ungeduld spricht oft genug aus
seinen Schreiben, wenn die Ausführung seiner Befehle zu langsam ging, oder
seine Ideen nicht richtig verstanden wurden.

Dem Manne, dessen starke und harte Hand zuletzt von Hamburg bis an
die Südspitze Neapels, von Bajadoz bis an den Niemen reichte, war unter
Umstünden keine Sache zu gering. Ob in Paris, in Malmaison oder in
Se. Cloud, in Valladolid oder in Berlin, in Schönbrunn oder in Smo-
lensk — die Arbeit wird ihm nie zu viel, und überall denkt er an das Wohl
seines Frankreich und seiner Franzosen, so wie er es eben verstand. Fast er¬
heiternd wirkt, bei Napoleons sonstiger Liebe für das Detail, die saloppe Art,
in der er schon 1806 mit Ländern und Seelen umsprang. So schreibt er an


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[0040] Napoleonbriefe sofort mit Unterdrückung bedroht. Sie sollten über Politik überhaupt nicht schreiben; nicht einmal gelobt wollte er von ihnen sein, denn auch das machten sie wahrscheinlich ungeschickt. „Halten Sie die Leute in Schranken, schreibt er an seinen Polizeiminister, verbieten Sie ihnen, sowohl von den Bourbonen als von der neuen Dynastie zu sprechen." Ein köstliches Beispiel für das, was man die öffentliche Meinung inspirieren nennt: die V6bg,t8 hatten das Mi߬ fallen des Kaisers erregt, weil sie behaupteten, Schweden könne mit englischer Hilfe hunderttausend Mann aufstellen. „Sorgen Sie dafür, schreibt der kaiser¬ liche Preßbureauchef, daß sich der Redakteur morgen über diese hunderttausend Mann lustig macht." Übrigens war Napoleon ein großer Leser; auch dazu fand er noch Zeit. Sogar ins Feld führte er eine ziemlich große Handbibliothek mit Werken verschiedenster Gattung mit, die er genau bezeichnet hatte. Theaterfragen interessieren den Unermüdlichen ebenso wie die Organi¬ sation des Zoologischen Gartens, die Übersetzung von Strabos Geographie wie die Porzellanmanufaktur von Sevres. Hervorragend ist selbstverständlich seine Sorgfalt in allen Dingen der Volkswirtschaft. „Ist es wahr, schreibt er an Berthollet, Mitglied des Instituts, daß ein gewisser Achard in Berlin guten Zucker aus Ahorn gemacht hat, und daß man ebenfalls aus Rüben Zucker machen kann? Ich bitte Sie, hierüber Untersuchungen anzustellen." Jede Preis¬ veränderung bei den wichtigsten Lebensmitteln berührt ihn. „Lassen Sie mich wissen, befiehlt er Clarke 1811, warum das Pfund Salz in Straßburg um einen Sou teurer verkauft wird." So sind es hundert und tausend verschiedenste Dinge, um die er sich mitten hindurch zwischen den größten Fragen der Politik, mitten in dem körperlich und geistig aufreibenden Kriegsleben oder in den wenigen Pausen friedlicher Erholung kümmert. Mit Recht betont Landsberg, daß Napoleons Vielseitig¬ keit nie kleinlich und dilettantisch wirkt. Allen Dingen, mit denen er sich befaßt, drückt er sofort den Stempel seines energischen Geistes auf. Seine Ansichten sind immer persönlich und (auch diese Empfindung gewinnt man im großen und kleinen) selbständig und unbeeinflußt. Und mit der gewonnenen Erkenntnis scheint auch schon die Umsetzung in die Tat zusammenzufallen oder sollte es wenigstens nach seinem Willen. Zürnende Ungeduld spricht oft genug aus seinen Schreiben, wenn die Ausführung seiner Befehle zu langsam ging, oder seine Ideen nicht richtig verstanden wurden. Dem Manne, dessen starke und harte Hand zuletzt von Hamburg bis an die Südspitze Neapels, von Bajadoz bis an den Niemen reichte, war unter Umstünden keine Sache zu gering. Ob in Paris, in Malmaison oder in Se. Cloud, in Valladolid oder in Berlin, in Schönbrunn oder in Smo- lensk — die Arbeit wird ihm nie zu viel, und überall denkt er an das Wohl seines Frankreich und seiner Franzosen, so wie er es eben verstand. Fast er¬ heiternd wirkt, bei Napoleons sonstiger Liebe für das Detail, die saloppe Art, in der er schon 1806 mit Ländern und Seelen umsprang. So schreibt er an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/40>, abgerufen am 26.06.2024.