Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Napoleonbriefe

Franzosen Ihren Orden tragen, schreibt Napoleon. Also schenken Sie sich die
Verleihung. Wenn man mich um den Grund fragt, so antworte ich Ihnen,
daß Sie noch nichts getan haben, um zu verdienen, daß man Ihr Bildnis
trage." Der Ton des Kaisers gegen seinen Bruder, den Souverän, ist
durchaus herrisch, wie gegen einen Vasallen oder Diener, ja gelegentlich
grob. Mit dem Vorwurf der Dummheit wird nicht gespart, und aus dem
Hauptquartier Finkenstein (im preußisch-russischen Kriege von 1807) geht eine
donnernde Philippika über das Haupt des armen Königs von Holland nieder.
Schließlich wußte Ludwig, der ohne Zweifel der achtbarste Charakter in Napoleons
Familie war, nichts besseres zu tun, als seine Scheinkrone in die Hunde des
Gebers zurückzulegen.

Weiter Jerome. Er, dessen gute Anlagen der Kaiser oft betont, war um
sechzehn Jahre jünger als Napoleon. Er wuchs also zu einer Zeit heran, da
der Name Vonaparte schon durch Europa flog. Durch leichtsinnige Streiche
und Ungehorsam hat dieses övtsiit Zg,es dem großen Bruder viel Kummer
gemacht. Um diesen ungeratnen Benjamin zu versorgen, hatte sich Napoleon
von seiner magern Leutnants- und Kapitänsgage abgedarbt. Und auch in den
strengsten Briefen an Jerome bricht immer wieder die brüderliche Zärtlichkeit
durch. Dabei ist Napoleon immer der mahnende, oft zürnende Vater. "Bauen
Sie nicht auf Ihren Namen, schreibt er an den schon einmal durchgebrannten
Taugenichts, da er ihn 1805 zum Fregattenkapitän ernennt. Es ist ruhm¬
voll, nur seinem Verdienst etwas zu verdanken." Aber schon im Dezember
desselben Jahres erklärt der Kaiser, wenn Jerome mit den fürstlichen Bezügen,
die er ihm gewähre, nicht auskomme, werde er ihn wegen Schulden einsperren
lassen. "Es ist unglaublich, was mich dieser junge Mensch kostet, wie er mir
Ärger bereitet und nichts zur Erfüllung meines Systems tut." Gleichwohl
ernennt er den Zweiuudzwanzigjührigen zum König von Westfalen. Aber schon
von Schönbrunn, Juli 1809, schreibt er an ihn: "Sie sind während dieses
Feldzugs immer dort gewesen, wo der Feind nicht war", und später rät er
ihm, wenn er sich mit Leuten umgebe, die vom Kriege nichts verstehen, lieber
in seinem Serail zu bleiben. "Sie sind ein verzogner junger Mann voll
schöner Anlagen." Der starke Familiensinn, der dem großen Eroberer inne-
wohnte, zeigt sich in der Tat nirgends stärker als in seinen Beziehungen zum
jüngsten Bruder.

Wie Napoleon von seinem Schwager Murat, der allerdings besser an die
Tete eines Kavallerieregiments als an die Spitze eines Reiches paßte, gedacht
hat, ist bekannt. Er habe keinen Begriff vom Regieren, schreibt er ihm. Und
zu Murats Gattin Karoline äußert er: "Ihr Gatte ist sehr tapfer auf dem
Schlachtfelde. Aber er ist schwächer als ein Weib oder ein Mönch, wenn er
keinen Feind sieht. Er hat keinen moralischen Mut."

Durch viele Memoirenwerke, am schlagendsten aber durch Napoleons Briefe
Wird erhärtet, daß dieser Mann der größten und universalsten Pläne zugleich


Napoleonbriefe

Franzosen Ihren Orden tragen, schreibt Napoleon. Also schenken Sie sich die
Verleihung. Wenn man mich um den Grund fragt, so antworte ich Ihnen,
daß Sie noch nichts getan haben, um zu verdienen, daß man Ihr Bildnis
trage." Der Ton des Kaisers gegen seinen Bruder, den Souverän, ist
durchaus herrisch, wie gegen einen Vasallen oder Diener, ja gelegentlich
grob. Mit dem Vorwurf der Dummheit wird nicht gespart, und aus dem
Hauptquartier Finkenstein (im preußisch-russischen Kriege von 1807) geht eine
donnernde Philippika über das Haupt des armen Königs von Holland nieder.
Schließlich wußte Ludwig, der ohne Zweifel der achtbarste Charakter in Napoleons
Familie war, nichts besseres zu tun, als seine Scheinkrone in die Hunde des
Gebers zurückzulegen.

Weiter Jerome. Er, dessen gute Anlagen der Kaiser oft betont, war um
sechzehn Jahre jünger als Napoleon. Er wuchs also zu einer Zeit heran, da
der Name Vonaparte schon durch Europa flog. Durch leichtsinnige Streiche
und Ungehorsam hat dieses övtsiit Zg,es dem großen Bruder viel Kummer
gemacht. Um diesen ungeratnen Benjamin zu versorgen, hatte sich Napoleon
von seiner magern Leutnants- und Kapitänsgage abgedarbt. Und auch in den
strengsten Briefen an Jerome bricht immer wieder die brüderliche Zärtlichkeit
durch. Dabei ist Napoleon immer der mahnende, oft zürnende Vater. „Bauen
Sie nicht auf Ihren Namen, schreibt er an den schon einmal durchgebrannten
Taugenichts, da er ihn 1805 zum Fregattenkapitän ernennt. Es ist ruhm¬
voll, nur seinem Verdienst etwas zu verdanken." Aber schon im Dezember
desselben Jahres erklärt der Kaiser, wenn Jerome mit den fürstlichen Bezügen,
die er ihm gewähre, nicht auskomme, werde er ihn wegen Schulden einsperren
lassen. „Es ist unglaublich, was mich dieser junge Mensch kostet, wie er mir
Ärger bereitet und nichts zur Erfüllung meines Systems tut." Gleichwohl
ernennt er den Zweiuudzwanzigjührigen zum König von Westfalen. Aber schon
von Schönbrunn, Juli 1809, schreibt er an ihn: „Sie sind während dieses
Feldzugs immer dort gewesen, wo der Feind nicht war", und später rät er
ihm, wenn er sich mit Leuten umgebe, die vom Kriege nichts verstehen, lieber
in seinem Serail zu bleiben. „Sie sind ein verzogner junger Mann voll
schöner Anlagen." Der starke Familiensinn, der dem großen Eroberer inne-
wohnte, zeigt sich in der Tat nirgends stärker als in seinen Beziehungen zum
jüngsten Bruder.

Wie Napoleon von seinem Schwager Murat, der allerdings besser an die
Tete eines Kavallerieregiments als an die Spitze eines Reiches paßte, gedacht
hat, ist bekannt. Er habe keinen Begriff vom Regieren, schreibt er ihm. Und
zu Murats Gattin Karoline äußert er: „Ihr Gatte ist sehr tapfer auf dem
Schlachtfelde. Aber er ist schwächer als ein Weib oder ein Mönch, wenn er
keinen Feind sieht. Er hat keinen moralischen Mut."

Durch viele Memoirenwerke, am schlagendsten aber durch Napoleons Briefe
Wird erhärtet, daß dieser Mann der größten und universalsten Pläne zugleich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0038" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303454"/>
          <fw type="header" place="top"> Napoleonbriefe</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_99" prev="#ID_98"> Franzosen Ihren Orden tragen, schreibt Napoleon. Also schenken Sie sich die<lb/>
Verleihung. Wenn man mich um den Grund fragt, so antworte ich Ihnen,<lb/>
daß Sie noch nichts getan haben, um zu verdienen, daß man Ihr Bildnis<lb/>
trage." Der Ton des Kaisers gegen seinen Bruder, den Souverän, ist<lb/>
durchaus herrisch, wie gegen einen Vasallen oder Diener, ja gelegentlich<lb/>
grob. Mit dem Vorwurf der Dummheit wird nicht gespart, und aus dem<lb/>
Hauptquartier Finkenstein (im preußisch-russischen Kriege von 1807) geht eine<lb/>
donnernde Philippika über das Haupt des armen Königs von Holland nieder.<lb/>
Schließlich wußte Ludwig, der ohne Zweifel der achtbarste Charakter in Napoleons<lb/>
Familie war, nichts besseres zu tun, als seine Scheinkrone in die Hunde des<lb/>
Gebers zurückzulegen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_100"> Weiter Jerome. Er, dessen gute Anlagen der Kaiser oft betont, war um<lb/>
sechzehn Jahre jünger als Napoleon. Er wuchs also zu einer Zeit heran, da<lb/>
der Name Vonaparte schon durch Europa flog. Durch leichtsinnige Streiche<lb/>
und Ungehorsam hat dieses övtsiit Zg,es dem großen Bruder viel Kummer<lb/>
gemacht. Um diesen ungeratnen Benjamin zu versorgen, hatte sich Napoleon<lb/>
von seiner magern Leutnants- und Kapitänsgage abgedarbt. Und auch in den<lb/>
strengsten Briefen an Jerome bricht immer wieder die brüderliche Zärtlichkeit<lb/>
durch. Dabei ist Napoleon immer der mahnende, oft zürnende Vater. &#x201E;Bauen<lb/>
Sie nicht auf Ihren Namen, schreibt er an den schon einmal durchgebrannten<lb/>
Taugenichts, da er ihn 1805 zum Fregattenkapitän ernennt. Es ist ruhm¬<lb/>
voll, nur seinem Verdienst etwas zu verdanken." Aber schon im Dezember<lb/>
desselben Jahres erklärt der Kaiser, wenn Jerome mit den fürstlichen Bezügen,<lb/>
die er ihm gewähre, nicht auskomme, werde er ihn wegen Schulden einsperren<lb/>
lassen. &#x201E;Es ist unglaublich, was mich dieser junge Mensch kostet, wie er mir<lb/>
Ärger bereitet und nichts zur Erfüllung meines Systems tut." Gleichwohl<lb/>
ernennt er den Zweiuudzwanzigjührigen zum König von Westfalen. Aber schon<lb/>
von Schönbrunn, Juli 1809, schreibt er an ihn: &#x201E;Sie sind während dieses<lb/>
Feldzugs immer dort gewesen, wo der Feind nicht war", und später rät er<lb/>
ihm, wenn er sich mit Leuten umgebe, die vom Kriege nichts verstehen, lieber<lb/>
in seinem Serail zu bleiben. &#x201E;Sie sind ein verzogner junger Mann voll<lb/>
schöner Anlagen." Der starke Familiensinn, der dem großen Eroberer inne-<lb/>
wohnte, zeigt sich in der Tat nirgends stärker als in seinen Beziehungen zum<lb/>
jüngsten Bruder.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_101"> Wie Napoleon von seinem Schwager Murat, der allerdings besser an die<lb/>
Tete eines Kavallerieregiments als an die Spitze eines Reiches paßte, gedacht<lb/>
hat, ist bekannt. Er habe keinen Begriff vom Regieren, schreibt er ihm. Und<lb/>
zu Murats Gattin Karoline äußert er: &#x201E;Ihr Gatte ist sehr tapfer auf dem<lb/>
Schlachtfelde. Aber er ist schwächer als ein Weib oder ein Mönch, wenn er<lb/>
keinen Feind sieht. Er hat keinen moralischen Mut."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_102" next="#ID_103"> Durch viele Memoirenwerke, am schlagendsten aber durch Napoleons Briefe<lb/>
Wird erhärtet, daß dieser Mann der größten und universalsten Pläne zugleich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0038] Napoleonbriefe Franzosen Ihren Orden tragen, schreibt Napoleon. Also schenken Sie sich die Verleihung. Wenn man mich um den Grund fragt, so antworte ich Ihnen, daß Sie noch nichts getan haben, um zu verdienen, daß man Ihr Bildnis trage." Der Ton des Kaisers gegen seinen Bruder, den Souverän, ist durchaus herrisch, wie gegen einen Vasallen oder Diener, ja gelegentlich grob. Mit dem Vorwurf der Dummheit wird nicht gespart, und aus dem Hauptquartier Finkenstein (im preußisch-russischen Kriege von 1807) geht eine donnernde Philippika über das Haupt des armen Königs von Holland nieder. Schließlich wußte Ludwig, der ohne Zweifel der achtbarste Charakter in Napoleons Familie war, nichts besseres zu tun, als seine Scheinkrone in die Hunde des Gebers zurückzulegen. Weiter Jerome. Er, dessen gute Anlagen der Kaiser oft betont, war um sechzehn Jahre jünger als Napoleon. Er wuchs also zu einer Zeit heran, da der Name Vonaparte schon durch Europa flog. Durch leichtsinnige Streiche und Ungehorsam hat dieses övtsiit Zg,es dem großen Bruder viel Kummer gemacht. Um diesen ungeratnen Benjamin zu versorgen, hatte sich Napoleon von seiner magern Leutnants- und Kapitänsgage abgedarbt. Und auch in den strengsten Briefen an Jerome bricht immer wieder die brüderliche Zärtlichkeit durch. Dabei ist Napoleon immer der mahnende, oft zürnende Vater. „Bauen Sie nicht auf Ihren Namen, schreibt er an den schon einmal durchgebrannten Taugenichts, da er ihn 1805 zum Fregattenkapitän ernennt. Es ist ruhm¬ voll, nur seinem Verdienst etwas zu verdanken." Aber schon im Dezember desselben Jahres erklärt der Kaiser, wenn Jerome mit den fürstlichen Bezügen, die er ihm gewähre, nicht auskomme, werde er ihn wegen Schulden einsperren lassen. „Es ist unglaublich, was mich dieser junge Mensch kostet, wie er mir Ärger bereitet und nichts zur Erfüllung meines Systems tut." Gleichwohl ernennt er den Zweiuudzwanzigjührigen zum König von Westfalen. Aber schon von Schönbrunn, Juli 1809, schreibt er an ihn: „Sie sind während dieses Feldzugs immer dort gewesen, wo der Feind nicht war", und später rät er ihm, wenn er sich mit Leuten umgebe, die vom Kriege nichts verstehen, lieber in seinem Serail zu bleiben. „Sie sind ein verzogner junger Mann voll schöner Anlagen." Der starke Familiensinn, der dem großen Eroberer inne- wohnte, zeigt sich in der Tat nirgends stärker als in seinen Beziehungen zum jüngsten Bruder. Wie Napoleon von seinem Schwager Murat, der allerdings besser an die Tete eines Kavallerieregiments als an die Spitze eines Reiches paßte, gedacht hat, ist bekannt. Er habe keinen Begriff vom Regieren, schreibt er ihm. Und zu Murats Gattin Karoline äußert er: „Ihr Gatte ist sehr tapfer auf dem Schlachtfelde. Aber er ist schwächer als ein Weib oder ein Mönch, wenn er keinen Feind sieht. Er hat keinen moralischen Mut." Durch viele Memoirenwerke, am schlagendsten aber durch Napoleons Briefe Wird erhärtet, daß dieser Mann der größten und universalsten Pläne zugleich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/38
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/38>, abgerufen am 01.07.2024.