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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Napoleonbriefe

richtet -- jedes Wort voll Achtung vor dem ritterlichen Gegner; und dann
den Brief aus dem Hauptquartier Judenburg (Steiermark), 9. April 1797 an
den durchlauchtigen Dogen der Republik Venedig. An dieses Staatsoberhaupt
schreibt der junge Obergeneral schon wie ein Diktator: "Ich schicke Ihnen
meinen ersten Adjutanten, um Ihnen gegenwärtigen Brief zu überbringen.
Krieg oder Frieden! Wenn Sie nicht auf der Stelle Mittel ergreifen, die Zu¬
sammenrottungen zu zerstreuen, wenn Sie die Urheber der begangnen Mord¬
taten nicht verhaften und mir ausliefern lassen, so ist der Krieg erklärt."

General, Erster Konsul, Kaiser -- es ist kein allzugroßer Unterschied im
Ton der Briefe aus diesen verschiednen Abschnitten und überhaupt keiner in
ihrem Charakter. Auch das ist den drei Stadien gemeinsam, daß Napoleon
mit seinen lieben Verwandten allezeit viel Verdruß und Sorge hatte. Zumal
mit den Brüdern. Ermahnungen, Tadel, Ungnade, Drohungen an ihre Adresse
füllen einen bedeutenden Teil der Privatkorrespondenz aus. Leps war es,
der (soviel mir bekannt ist) in seinem berühmten Buche Xg-poison meins zuerst
die Beziehungen des Kaisers zu seiner Familie quellenmüßig beleuchtete. Nun
ist das vielgelesne, typisch und vorbildlich gewordne Werk allerdings von einem
Napoleonbewundrer strenger Observanz geschrieben. Und alle Schuld an den
Zerwürfnissen in der kaiserlichen Familie fällt bei Levy immer auf -- die
andern. Auch der Parteihaß hat das Bild von Napoleons Sippe, die er wie mit
der Hand eines Halbgottes aus dem Dunkel eines verarmten korsikanischer
Kleinadels zu den lichten Höhen europäischen Herrschertums emporhob, vielfach
verzerrt. Dieser Parteigeist hat aus der Mutter und der Gattin, aus den
Brüdern und Schwestern des Vielgehaßten eine moralisch anrüchige, geld- und
herrschgierige Gesellschaft gemacht, die des großen Bonaparte Unersättlichkeit
teilten, ohne einen Funken von seinen Fähigkeiten zu haben. Gewiß ist nun,
daß Napoleon unter den Ansprüchen und der Unbotmäßigkeit derer, die ja doch
nur durch ihn etwas waren, viel gelitten hat. Er soll ja selbst gesagt haben,
seine Brüder und Schwestern täten so, als Hütte er mit ihnen das Erbe eines
Vaters, des verstorbnen Königs, zu teilen.

Für die Dauer zufrieden war Napoleon mit keinem seiner Brüder. Wir
sehen von Lucian überhaupt ab, der ein nichts weniger als reiner Charakter
war, dem großen Bruder gegenüber aber viel Festigkeit zeigte und auch nichts
von ihm verlangte. Joseph scheint noch der fügsamste gewesen zu sein; aber
auch ihn trifft als König von Neapel, später von Spanien mancher Tadel des
kaiserlichen Oberherrn. Dann Ludwig, der Vater des dritten Napoleon. Er
erregt, kaum König von Holland geworden, so sehr den Unwillen des Kaisers,
daß dieser ihm von Berlin aus, 6. November 1806 schreibt: "Sie haben in
Frankreich Befehle erlassen. Ich bitte Sie, keine Befehle zu geben. Von der
Zivilverwaltung verstehen Sie nichts, und Frankreich kommt so nicht vorwärts."
Dann nehmen die Briefe einen immer erregter" Ton an. Ludwig wird vor¬
geworfen, daß er die Pläne des Kaisers kreuze. "Ich will nicht, daß die


Napoleonbriefe

richtet — jedes Wort voll Achtung vor dem ritterlichen Gegner; und dann
den Brief aus dem Hauptquartier Judenburg (Steiermark), 9. April 1797 an
den durchlauchtigen Dogen der Republik Venedig. An dieses Staatsoberhaupt
schreibt der junge Obergeneral schon wie ein Diktator: „Ich schicke Ihnen
meinen ersten Adjutanten, um Ihnen gegenwärtigen Brief zu überbringen.
Krieg oder Frieden! Wenn Sie nicht auf der Stelle Mittel ergreifen, die Zu¬
sammenrottungen zu zerstreuen, wenn Sie die Urheber der begangnen Mord¬
taten nicht verhaften und mir ausliefern lassen, so ist der Krieg erklärt."

General, Erster Konsul, Kaiser — es ist kein allzugroßer Unterschied im
Ton der Briefe aus diesen verschiednen Abschnitten und überhaupt keiner in
ihrem Charakter. Auch das ist den drei Stadien gemeinsam, daß Napoleon
mit seinen lieben Verwandten allezeit viel Verdruß und Sorge hatte. Zumal
mit den Brüdern. Ermahnungen, Tadel, Ungnade, Drohungen an ihre Adresse
füllen einen bedeutenden Teil der Privatkorrespondenz aus. Leps war es,
der (soviel mir bekannt ist) in seinem berühmten Buche Xg-poison meins zuerst
die Beziehungen des Kaisers zu seiner Familie quellenmüßig beleuchtete. Nun
ist das vielgelesne, typisch und vorbildlich gewordne Werk allerdings von einem
Napoleonbewundrer strenger Observanz geschrieben. Und alle Schuld an den
Zerwürfnissen in der kaiserlichen Familie fällt bei Levy immer auf — die
andern. Auch der Parteihaß hat das Bild von Napoleons Sippe, die er wie mit
der Hand eines Halbgottes aus dem Dunkel eines verarmten korsikanischer
Kleinadels zu den lichten Höhen europäischen Herrschertums emporhob, vielfach
verzerrt. Dieser Parteigeist hat aus der Mutter und der Gattin, aus den
Brüdern und Schwestern des Vielgehaßten eine moralisch anrüchige, geld- und
herrschgierige Gesellschaft gemacht, die des großen Bonaparte Unersättlichkeit
teilten, ohne einen Funken von seinen Fähigkeiten zu haben. Gewiß ist nun,
daß Napoleon unter den Ansprüchen und der Unbotmäßigkeit derer, die ja doch
nur durch ihn etwas waren, viel gelitten hat. Er soll ja selbst gesagt haben,
seine Brüder und Schwestern täten so, als Hütte er mit ihnen das Erbe eines
Vaters, des verstorbnen Königs, zu teilen.

Für die Dauer zufrieden war Napoleon mit keinem seiner Brüder. Wir
sehen von Lucian überhaupt ab, der ein nichts weniger als reiner Charakter
war, dem großen Bruder gegenüber aber viel Festigkeit zeigte und auch nichts
von ihm verlangte. Joseph scheint noch der fügsamste gewesen zu sein; aber
auch ihn trifft als König von Neapel, später von Spanien mancher Tadel des
kaiserlichen Oberherrn. Dann Ludwig, der Vater des dritten Napoleon. Er
erregt, kaum König von Holland geworden, so sehr den Unwillen des Kaisers,
daß dieser ihm von Berlin aus, 6. November 1806 schreibt: „Sie haben in
Frankreich Befehle erlassen. Ich bitte Sie, keine Befehle zu geben. Von der
Zivilverwaltung verstehen Sie nichts, und Frankreich kommt so nicht vorwärts."
Dann nehmen die Briefe einen immer erregter» Ton an. Ludwig wird vor¬
geworfen, daß er die Pläne des Kaisers kreuze. „Ich will nicht, daß die


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[0037] Napoleonbriefe richtet — jedes Wort voll Achtung vor dem ritterlichen Gegner; und dann den Brief aus dem Hauptquartier Judenburg (Steiermark), 9. April 1797 an den durchlauchtigen Dogen der Republik Venedig. An dieses Staatsoberhaupt schreibt der junge Obergeneral schon wie ein Diktator: „Ich schicke Ihnen meinen ersten Adjutanten, um Ihnen gegenwärtigen Brief zu überbringen. Krieg oder Frieden! Wenn Sie nicht auf der Stelle Mittel ergreifen, die Zu¬ sammenrottungen zu zerstreuen, wenn Sie die Urheber der begangnen Mord¬ taten nicht verhaften und mir ausliefern lassen, so ist der Krieg erklärt." General, Erster Konsul, Kaiser — es ist kein allzugroßer Unterschied im Ton der Briefe aus diesen verschiednen Abschnitten und überhaupt keiner in ihrem Charakter. Auch das ist den drei Stadien gemeinsam, daß Napoleon mit seinen lieben Verwandten allezeit viel Verdruß und Sorge hatte. Zumal mit den Brüdern. Ermahnungen, Tadel, Ungnade, Drohungen an ihre Adresse füllen einen bedeutenden Teil der Privatkorrespondenz aus. Leps war es, der (soviel mir bekannt ist) in seinem berühmten Buche Xg-poison meins zuerst die Beziehungen des Kaisers zu seiner Familie quellenmüßig beleuchtete. Nun ist das vielgelesne, typisch und vorbildlich gewordne Werk allerdings von einem Napoleonbewundrer strenger Observanz geschrieben. Und alle Schuld an den Zerwürfnissen in der kaiserlichen Familie fällt bei Levy immer auf — die andern. Auch der Parteihaß hat das Bild von Napoleons Sippe, die er wie mit der Hand eines Halbgottes aus dem Dunkel eines verarmten korsikanischer Kleinadels zu den lichten Höhen europäischen Herrschertums emporhob, vielfach verzerrt. Dieser Parteigeist hat aus der Mutter und der Gattin, aus den Brüdern und Schwestern des Vielgehaßten eine moralisch anrüchige, geld- und herrschgierige Gesellschaft gemacht, die des großen Bonaparte Unersättlichkeit teilten, ohne einen Funken von seinen Fähigkeiten zu haben. Gewiß ist nun, daß Napoleon unter den Ansprüchen und der Unbotmäßigkeit derer, die ja doch nur durch ihn etwas waren, viel gelitten hat. Er soll ja selbst gesagt haben, seine Brüder und Schwestern täten so, als Hütte er mit ihnen das Erbe eines Vaters, des verstorbnen Königs, zu teilen. Für die Dauer zufrieden war Napoleon mit keinem seiner Brüder. Wir sehen von Lucian überhaupt ab, der ein nichts weniger als reiner Charakter war, dem großen Bruder gegenüber aber viel Festigkeit zeigte und auch nichts von ihm verlangte. Joseph scheint noch der fügsamste gewesen zu sein; aber auch ihn trifft als König von Neapel, später von Spanien mancher Tadel des kaiserlichen Oberherrn. Dann Ludwig, der Vater des dritten Napoleon. Er erregt, kaum König von Holland geworden, so sehr den Unwillen des Kaisers, daß dieser ihm von Berlin aus, 6. November 1806 schreibt: „Sie haben in Frankreich Befehle erlassen. Ich bitte Sie, keine Befehle zu geben. Von der Zivilverwaltung verstehen Sie nichts, und Frankreich kommt so nicht vorwärts." Dann nehmen die Briefe einen immer erregter» Ton an. Ludwig wird vor¬ geworfen, daß er die Pläne des Kaisers kreuze. „Ich will nicht, daß die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/37>, abgerufen am 01.10.2024.