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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Archilochos

zweiflung, hinweg von der Unglücksstätte, wo er die bittern Enttäuschungen
durchgekostet hatte. Im Getöse der Feldschlacht fand er seine Ruhe wieder.
Nun ist er als Glücksritter ruhelos in der Welt herumgezogen, nie auf einen
grünen Zweig gekommen, nie hat er den Frieden seiner Seele gefunden. Wir
können nicht wissen, ob die Fragmente, die kriegerischen Geist atmen, seiner ersten
oder zweiten Kriegsperiode angehören, aber wir können feststellen, daß er sich
am Kampfe auf Euböa beteiligt hat.

Er hat auf jener Insel den Kampf zwischen Eretrici und Chalkis mit¬
gemacht, der die griechische Welt in zwei Heerlager spaltete. In einem Bruch¬
stücke vergleicht er deu Kampf der Abenden, der ältesten Bewohner von Euböa,
mit der Kampfesart der Saier, mit denen er sich, wie wir sahen, früher ge¬
messen hat, und hebt hervor, daß sie selten zu Bogen und Schleuder greifen,
daß sie in der Regel mit dem Schwerte im Nahkampf dreinschlagen.

Sein Ende soll der mutige Kämpe denn auch in der Schlacht gefunden
haben, und zwar soll es der Naxier Kalondas gewesen sein, der ihn im red¬
lichen Kampfe erschlug. Als dieser einst nach Delphi kam und sich von der
Pythia Rat erbat, wurde ihm die kurze, harte Antwort: "Du erschlugest den
Diener der Musen; verlasse den Tempel!" Der Mörder suchte den Gott
milder zu stimmen und entschuldigte sich damit, daß er den Archilochos nach
Kriegsrecht getötet habe. Da befahl ihm die Pythia, nach Tciinaron zu ziehen
und dort des Toten Seele zu versöhnen. Diese Legende will darauf hinweisen,
daß der Dichter unter besondern: Schutze des Dichtergottes gestanden habe,
und wenn es auch eine Mirakelgeschichte ist, die uns hier aufgetischt wird,
brauchen wir an der Tatsache, daß er im Kampfe siel, nicht zu zweifeln.

So liegt das Lebensbild des Archilochos vor uns, und wir werden, wenn
auch unvollkommen seine Gestalt wie durch einen Nebel vor uns erstanden ist,
doch aus dem wenigen den Eindruck haben, daß wir es hier mit einen" großen
Lyriker zu tun haben, der es zum erstenmal fertig brachte, zu singen, was
ihm das Herz bewegte, und im Gegensatz zum Epiker seine Person stark in
den Vordergrund rückte. Die spätere Zeit hat ihn als großen Dichter rück¬
haltlos anerkannt, nnr die christlichen Schriftsteller haben den Lyriker, der nicht
nach ihrem Geschmack war, verdammt. Origenes nennt ihn einen Mann, der
in einem schmählichen und frechen Stoffe sein dichterisches Können geoffenbart
und unreinen Charakter an den Tag gelegt habe, und der kritiklose Ensebios
meint, kein verständiger Mann könnte seine schmutzigen Schmähreden gegen
die Frauen anhören, wir aber schließen uns in unsrer Wertschätzung lieber den
Männern der Antike selbst an: einem Herccklit, einem Cicero, einem Velleius,
die ihn mit dem würdigsten Vertreter der epischen Poesie, mit Homer auf eine
Stufe stellen, und wir stimmen ein in die Worte des Dion Chrysostomus: "Es
hat zu allen Zeiten nnr zwei Dichter gegeben, mit denen man keinen der
übrigen vergleichen kann: Homer und Archilochos" -- sehr richtig, denn ein
Original wie unser Dichter ließ sich nicht kopieren. Auf Paros wurde er nach
seinem Tode als Heros verehrt, sein Geburtstag wurde an demselben Tage gefeiert,


Archilochos

zweiflung, hinweg von der Unglücksstätte, wo er die bittern Enttäuschungen
durchgekostet hatte. Im Getöse der Feldschlacht fand er seine Ruhe wieder.
Nun ist er als Glücksritter ruhelos in der Welt herumgezogen, nie auf einen
grünen Zweig gekommen, nie hat er den Frieden seiner Seele gefunden. Wir
können nicht wissen, ob die Fragmente, die kriegerischen Geist atmen, seiner ersten
oder zweiten Kriegsperiode angehören, aber wir können feststellen, daß er sich
am Kampfe auf Euböa beteiligt hat.

Er hat auf jener Insel den Kampf zwischen Eretrici und Chalkis mit¬
gemacht, der die griechische Welt in zwei Heerlager spaltete. In einem Bruch¬
stücke vergleicht er deu Kampf der Abenden, der ältesten Bewohner von Euböa,
mit der Kampfesart der Saier, mit denen er sich, wie wir sahen, früher ge¬
messen hat, und hebt hervor, daß sie selten zu Bogen und Schleuder greifen,
daß sie in der Regel mit dem Schwerte im Nahkampf dreinschlagen.

Sein Ende soll der mutige Kämpe denn auch in der Schlacht gefunden
haben, und zwar soll es der Naxier Kalondas gewesen sein, der ihn im red¬
lichen Kampfe erschlug. Als dieser einst nach Delphi kam und sich von der
Pythia Rat erbat, wurde ihm die kurze, harte Antwort: „Du erschlugest den
Diener der Musen; verlasse den Tempel!" Der Mörder suchte den Gott
milder zu stimmen und entschuldigte sich damit, daß er den Archilochos nach
Kriegsrecht getötet habe. Da befahl ihm die Pythia, nach Tciinaron zu ziehen
und dort des Toten Seele zu versöhnen. Diese Legende will darauf hinweisen,
daß der Dichter unter besondern: Schutze des Dichtergottes gestanden habe,
und wenn es auch eine Mirakelgeschichte ist, die uns hier aufgetischt wird,
brauchen wir an der Tatsache, daß er im Kampfe siel, nicht zu zweifeln.

So liegt das Lebensbild des Archilochos vor uns, und wir werden, wenn
auch unvollkommen seine Gestalt wie durch einen Nebel vor uns erstanden ist,
doch aus dem wenigen den Eindruck haben, daß wir es hier mit einen« großen
Lyriker zu tun haben, der es zum erstenmal fertig brachte, zu singen, was
ihm das Herz bewegte, und im Gegensatz zum Epiker seine Person stark in
den Vordergrund rückte. Die spätere Zeit hat ihn als großen Dichter rück¬
haltlos anerkannt, nnr die christlichen Schriftsteller haben den Lyriker, der nicht
nach ihrem Geschmack war, verdammt. Origenes nennt ihn einen Mann, der
in einem schmählichen und frechen Stoffe sein dichterisches Können geoffenbart
und unreinen Charakter an den Tag gelegt habe, und der kritiklose Ensebios
meint, kein verständiger Mann könnte seine schmutzigen Schmähreden gegen
die Frauen anhören, wir aber schließen uns in unsrer Wertschätzung lieber den
Männern der Antike selbst an: einem Herccklit, einem Cicero, einem Velleius,
die ihn mit dem würdigsten Vertreter der epischen Poesie, mit Homer auf eine
Stufe stellen, und wir stimmen ein in die Worte des Dion Chrysostomus: „Es
hat zu allen Zeiten nnr zwei Dichter gegeben, mit denen man keinen der
übrigen vergleichen kann: Homer und Archilochos" — sehr richtig, denn ein
Original wie unser Dichter ließ sich nicht kopieren. Auf Paros wurde er nach
seinem Tode als Heros verehrt, sein Geburtstag wurde an demselben Tage gefeiert,


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[0366] Archilochos zweiflung, hinweg von der Unglücksstätte, wo er die bittern Enttäuschungen durchgekostet hatte. Im Getöse der Feldschlacht fand er seine Ruhe wieder. Nun ist er als Glücksritter ruhelos in der Welt herumgezogen, nie auf einen grünen Zweig gekommen, nie hat er den Frieden seiner Seele gefunden. Wir können nicht wissen, ob die Fragmente, die kriegerischen Geist atmen, seiner ersten oder zweiten Kriegsperiode angehören, aber wir können feststellen, daß er sich am Kampfe auf Euböa beteiligt hat. Er hat auf jener Insel den Kampf zwischen Eretrici und Chalkis mit¬ gemacht, der die griechische Welt in zwei Heerlager spaltete. In einem Bruch¬ stücke vergleicht er deu Kampf der Abenden, der ältesten Bewohner von Euböa, mit der Kampfesart der Saier, mit denen er sich, wie wir sahen, früher ge¬ messen hat, und hebt hervor, daß sie selten zu Bogen und Schleuder greifen, daß sie in der Regel mit dem Schwerte im Nahkampf dreinschlagen. Sein Ende soll der mutige Kämpe denn auch in der Schlacht gefunden haben, und zwar soll es der Naxier Kalondas gewesen sein, der ihn im red¬ lichen Kampfe erschlug. Als dieser einst nach Delphi kam und sich von der Pythia Rat erbat, wurde ihm die kurze, harte Antwort: „Du erschlugest den Diener der Musen; verlasse den Tempel!" Der Mörder suchte den Gott milder zu stimmen und entschuldigte sich damit, daß er den Archilochos nach Kriegsrecht getötet habe. Da befahl ihm die Pythia, nach Tciinaron zu ziehen und dort des Toten Seele zu versöhnen. Diese Legende will darauf hinweisen, daß der Dichter unter besondern: Schutze des Dichtergottes gestanden habe, und wenn es auch eine Mirakelgeschichte ist, die uns hier aufgetischt wird, brauchen wir an der Tatsache, daß er im Kampfe siel, nicht zu zweifeln. So liegt das Lebensbild des Archilochos vor uns, und wir werden, wenn auch unvollkommen seine Gestalt wie durch einen Nebel vor uns erstanden ist, doch aus dem wenigen den Eindruck haben, daß wir es hier mit einen« großen Lyriker zu tun haben, der es zum erstenmal fertig brachte, zu singen, was ihm das Herz bewegte, und im Gegensatz zum Epiker seine Person stark in den Vordergrund rückte. Die spätere Zeit hat ihn als großen Dichter rück¬ haltlos anerkannt, nnr die christlichen Schriftsteller haben den Lyriker, der nicht nach ihrem Geschmack war, verdammt. Origenes nennt ihn einen Mann, der in einem schmählichen und frechen Stoffe sein dichterisches Können geoffenbart und unreinen Charakter an den Tag gelegt habe, und der kritiklose Ensebios meint, kein verständiger Mann könnte seine schmutzigen Schmähreden gegen die Frauen anhören, wir aber schließen uns in unsrer Wertschätzung lieber den Männern der Antike selbst an: einem Herccklit, einem Cicero, einem Velleius, die ihn mit dem würdigsten Vertreter der epischen Poesie, mit Homer auf eine Stufe stellen, und wir stimmen ein in die Worte des Dion Chrysostomus: „Es hat zu allen Zeiten nnr zwei Dichter gegeben, mit denen man keinen der übrigen vergleichen kann: Homer und Archilochos" — sehr richtig, denn ein Original wie unser Dichter ließ sich nicht kopieren. Auf Paros wurde er nach seinem Tode als Heros verehrt, sein Geburtstag wurde an demselben Tage gefeiert,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/366>, abgerufen am 01.07.2024.