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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Die Kaffeefrage in Brasilien

Abnahme der Weltvorräte nur gering zu sein. In der Niozone war die
Witterung sehr günstig gewesen, und es wurde von einem mutmaßlich sehr
reichen Ausfall der Ernte berichtet, die auf 5 bis 6 Millionen Sack zu schätzen
sei. Im Innern der den Ausschlag gebenden Santoszone lagerten noch Rest¬
bestände aus der alten Ernte, deren Menge auf 1 bis 3 Millionen Sack
geschätzt wurde, und die zusammen mit der neuen Ernte von 7 Millionen
ein auf den Markt kommendes Quantum von 8 bis 10 Millionen ergeben
sollten. Man mutmaßte, daß alles in allem genommen die Welternte ungefähr
dem Weltvcrbranch entsprechen werde, was für die Valorisationsplüne der
Paulistcmer Staatsregierung, die einen schlechten Ernteausfall brauchte, ein
niederschlagendes Ergebnis gewesen wäre und sie genötigt hätte, ans sehr un¬
gewisse Aussichten hin den ganzen aufgekauften Kaffeevorrnt von 8 Millionen
Sack während unabsehbarer Zeit auf Lager zu halten.

Aber der Himmel hatte buchstäblich ein Einsehen und sandte Ende Juni
so andauernd schlechtes regnerisches Wetter, daß der bis dahin noch nicht ein¬
gebrachte Teil der Ernte verdarb. Es trifft das ganz besonders auf die
Riozone zu, wo infolge von Arbeitermangel fast regelmüßig nur ein Teil der
im Mai beginnenden Ernte direkt von den Bäumchen gepflückt wird, während
der Rest abfüllt und nach nud nach vom Boden aufgelesen wird. Kommt
nun dauernd regnerisches Wetter, so verderben die am Boden liegenden Kaffee¬
früchte oder werden weggeschwemmt. Das soll diesmal in einem Umfange
geschehen sein, der die Schätzungen der Rioernte auf 3^ bis 4 Millionen
Sack herabdrückte, während zugleich für die Scmtosernte die Schätzungen auf
7 bis 8 Millionen ermäßigt wurden. Nun sind zwar brasilianische Ernte-
schätzungcn oft noch mitten in der Exportsaison mit besondrer Vorsicht aufzu-
nehmen, da sie sich gar leicht als spekulative Manöver herausstellen, die mit der
Wahrheit auf Kriegsfuß stehn. Aber auch von guten Kennern der Sachlage
wird versichert, daß diese ungünstigen Ernteberichte nicht ganz aus der Luft
gegriffen seien.

Ferner wird gemeldet, daß auch die diesjährige erste oder Hauptblüte
des Kaffees, von deren Ausfall die nächste Ernte (1908/09) ganz besonders
in qualitativer Beziehung abhängt, nur mittelmäßig ausgefallen sei, sodaß das
den Europäer so wunderlich berührende Hangen und Bangen in schwebender
Pein, ob die Hoffnung ans schlechte Ernten sich auch erfüllen werde, vielleicht
auch im nächsten Jahre mit einer nur mäßigen Ernte seinen vorläufigen Ab¬
schluß findet. Die wiederholte Nachblüte des Kaffees gewährt erfahrungs¬
gemäß für den schlechten Ausfall der ersten Blüte keinen vollen Ersatz, da sie
ein ungleichzeitiges Reifen der Früchte mit sich bringt, unter dem die Qualität
leidet. Aber im Grunde sind das bis zu gewissem Grade unsichere Hoff¬
nungen, denen der Handel vorsichtig und zurückhaltend gegenübersteht. Nehmen
wir das Mittel aus den für einigermaßen zuverlässig geltenden Schätzungen


Grenzboten IV 1907 44
Die Kaffeefrage in Brasilien

Abnahme der Weltvorräte nur gering zu sein. In der Niozone war die
Witterung sehr günstig gewesen, und es wurde von einem mutmaßlich sehr
reichen Ausfall der Ernte berichtet, die auf 5 bis 6 Millionen Sack zu schätzen
sei. Im Innern der den Ausschlag gebenden Santoszone lagerten noch Rest¬
bestände aus der alten Ernte, deren Menge auf 1 bis 3 Millionen Sack
geschätzt wurde, und die zusammen mit der neuen Ernte von 7 Millionen
ein auf den Markt kommendes Quantum von 8 bis 10 Millionen ergeben
sollten. Man mutmaßte, daß alles in allem genommen die Welternte ungefähr
dem Weltvcrbranch entsprechen werde, was für die Valorisationsplüne der
Paulistcmer Staatsregierung, die einen schlechten Ernteausfall brauchte, ein
niederschlagendes Ergebnis gewesen wäre und sie genötigt hätte, ans sehr un¬
gewisse Aussichten hin den ganzen aufgekauften Kaffeevorrnt von 8 Millionen
Sack während unabsehbarer Zeit auf Lager zu halten.

Aber der Himmel hatte buchstäblich ein Einsehen und sandte Ende Juni
so andauernd schlechtes regnerisches Wetter, daß der bis dahin noch nicht ein¬
gebrachte Teil der Ernte verdarb. Es trifft das ganz besonders auf die
Riozone zu, wo infolge von Arbeitermangel fast regelmüßig nur ein Teil der
im Mai beginnenden Ernte direkt von den Bäumchen gepflückt wird, während
der Rest abfüllt und nach nud nach vom Boden aufgelesen wird. Kommt
nun dauernd regnerisches Wetter, so verderben die am Boden liegenden Kaffee¬
früchte oder werden weggeschwemmt. Das soll diesmal in einem Umfange
geschehen sein, der die Schätzungen der Rioernte auf 3^ bis 4 Millionen
Sack herabdrückte, während zugleich für die Scmtosernte die Schätzungen auf
7 bis 8 Millionen ermäßigt wurden. Nun sind zwar brasilianische Ernte-
schätzungcn oft noch mitten in der Exportsaison mit besondrer Vorsicht aufzu-
nehmen, da sie sich gar leicht als spekulative Manöver herausstellen, die mit der
Wahrheit auf Kriegsfuß stehn. Aber auch von guten Kennern der Sachlage
wird versichert, daß diese ungünstigen Ernteberichte nicht ganz aus der Luft
gegriffen seien.

Ferner wird gemeldet, daß auch die diesjährige erste oder Hauptblüte
des Kaffees, von deren Ausfall die nächste Ernte (1908/09) ganz besonders
in qualitativer Beziehung abhängt, nur mittelmäßig ausgefallen sei, sodaß das
den Europäer so wunderlich berührende Hangen und Bangen in schwebender
Pein, ob die Hoffnung ans schlechte Ernten sich auch erfüllen werde, vielleicht
auch im nächsten Jahre mit einer nur mäßigen Ernte seinen vorläufigen Ab¬
schluß findet. Die wiederholte Nachblüte des Kaffees gewährt erfahrungs¬
gemäß für den schlechten Ausfall der ersten Blüte keinen vollen Ersatz, da sie
ein ungleichzeitiges Reifen der Früchte mit sich bringt, unter dem die Qualität
leidet. Aber im Grunde sind das bis zu gewissem Grade unsichere Hoff¬
nungen, denen der Handel vorsichtig und zurückhaltend gegenübersteht. Nehmen
wir das Mittel aus den für einigermaßen zuverlässig geltenden Schätzungen


Grenzboten IV 1907 44
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[0345] Die Kaffeefrage in Brasilien Abnahme der Weltvorräte nur gering zu sein. In der Niozone war die Witterung sehr günstig gewesen, und es wurde von einem mutmaßlich sehr reichen Ausfall der Ernte berichtet, die auf 5 bis 6 Millionen Sack zu schätzen sei. Im Innern der den Ausschlag gebenden Santoszone lagerten noch Rest¬ bestände aus der alten Ernte, deren Menge auf 1 bis 3 Millionen Sack geschätzt wurde, und die zusammen mit der neuen Ernte von 7 Millionen ein auf den Markt kommendes Quantum von 8 bis 10 Millionen ergeben sollten. Man mutmaßte, daß alles in allem genommen die Welternte ungefähr dem Weltvcrbranch entsprechen werde, was für die Valorisationsplüne der Paulistcmer Staatsregierung, die einen schlechten Ernteausfall brauchte, ein niederschlagendes Ergebnis gewesen wäre und sie genötigt hätte, ans sehr un¬ gewisse Aussichten hin den ganzen aufgekauften Kaffeevorrnt von 8 Millionen Sack während unabsehbarer Zeit auf Lager zu halten. Aber der Himmel hatte buchstäblich ein Einsehen und sandte Ende Juni so andauernd schlechtes regnerisches Wetter, daß der bis dahin noch nicht ein¬ gebrachte Teil der Ernte verdarb. Es trifft das ganz besonders auf die Riozone zu, wo infolge von Arbeitermangel fast regelmüßig nur ein Teil der im Mai beginnenden Ernte direkt von den Bäumchen gepflückt wird, während der Rest abfüllt und nach nud nach vom Boden aufgelesen wird. Kommt nun dauernd regnerisches Wetter, so verderben die am Boden liegenden Kaffee¬ früchte oder werden weggeschwemmt. Das soll diesmal in einem Umfange geschehen sein, der die Schätzungen der Rioernte auf 3^ bis 4 Millionen Sack herabdrückte, während zugleich für die Scmtosernte die Schätzungen auf 7 bis 8 Millionen ermäßigt wurden. Nun sind zwar brasilianische Ernte- schätzungcn oft noch mitten in der Exportsaison mit besondrer Vorsicht aufzu- nehmen, da sie sich gar leicht als spekulative Manöver herausstellen, die mit der Wahrheit auf Kriegsfuß stehn. Aber auch von guten Kennern der Sachlage wird versichert, daß diese ungünstigen Ernteberichte nicht ganz aus der Luft gegriffen seien. Ferner wird gemeldet, daß auch die diesjährige erste oder Hauptblüte des Kaffees, von deren Ausfall die nächste Ernte (1908/09) ganz besonders in qualitativer Beziehung abhängt, nur mittelmäßig ausgefallen sei, sodaß das den Europäer so wunderlich berührende Hangen und Bangen in schwebender Pein, ob die Hoffnung ans schlechte Ernten sich auch erfüllen werde, vielleicht auch im nächsten Jahre mit einer nur mäßigen Ernte seinen vorläufigen Ab¬ schluß findet. Die wiederholte Nachblüte des Kaffees gewährt erfahrungs¬ gemäß für den schlechten Ausfall der ersten Blüte keinen vollen Ersatz, da sie ein ungleichzeitiges Reifen der Früchte mit sich bringt, unter dem die Qualität leidet. Aber im Grunde sind das bis zu gewissem Grade unsichere Hoff¬ nungen, denen der Handel vorsichtig und zurückhaltend gegenübersteht. Nehmen wir das Mittel aus den für einigermaßen zuverlässig geltenden Schätzungen Grenzboten IV 1907 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/345>, abgerufen am 23.07.2024.