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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Großbritannien und Deutschland

Schulter gestellt hat, sondern zunächst ihr eignes Interesse. Das ändert aber
an der Tatsache an sich wenig, und bei den zukünftig zu erwartenden gro߬
artigen Auseinandersetzungen zwischen der gelben und der weißen Rasse werden
gerade die Stammes-, Glaubens- und Kulturgemeinschaften der germanisch-pro¬
testantischen Welt wieder ihre ausschlaggebende Bedeutung äußern können.

Blicken wir zurück in die Geschichte, so sehen wir, daß England einst
dieselbe Entwicklung durchgemacht hat, die sich jetzt bei Deutschland vollzogen
hat, nämlich die Befreiung des heimischen Handels und der eignen Industrie
vom Auslande, daß England also eigentlich keinen Grund haben sollte, uns
das zu mißgönnen, was es selbst schon vor Jahrhunderten erlangt hat.

Englands Produkte kamen zum erstenmal in die Außenwelt durch die Ver¬
mittlung deutscher Kaufleute, die 1250 den steht^rö in London begründeten
und bald den ganzen ldrsiM tracls Englands monopolisierten. Wiederholt
haben aber anch die Hansen ihre Kriegsschiffe zur Verfügung der englischen
Könige gestellt und dadurch ihre Dankbarkeit bewiesen. Erst im Jahre 1597
wurden die Privilegien der Hansen durch Elisabeth für immer beseitigt. Dem
riesenhaften Emporblühn seiner allen andern Ländern vorausgeeilten Industrie
hatte England dann zusammen mit der stetig wachsenden Ausdehnung seines
Kolonialbesitzes über alle Teile der Erde seine Suprematie im Welthandel zu
verdanken. So erklärlich es nun ist, daß England die Zeiten zurücksehnt, wo
es unbestrittene Herrin des Welthandels gewesen ist, so begründet ist doch
unser Recht, jetzt, wo wir endlich wieder wirtschaftlich erstarkt sind, den einst
besessenen Anteil an? Welthandel und volle Absatzfreiheit für unsre Produkte,
oder wie man heutzutage sagt, überall die offne Tür für unsern Handel zu
verlangen.

Die deutsch-englischen Frenndschaftsfeste diesseits und jenseits des Kanals
haben gezeigt, daß wir sehr gut miteinander auskommen können, wenn wir
nur wollen. Man kennt sich eben noch viel zu wenig und sollte deshalb jede
Gelegenheit benutzen, das Verständnis für die Eigenart des andern zu erweitern.
Engländer und Deutsche können noch viel voneinander lernen, denn wo fände
der Engländer eine Kultur, die auf allen wissenschaftlichen Gebieten höher
stünde als die deutsche, und wo der Deutsche eine Kultur, die in Kolonisation,
Handel und Schiffahrt sich mit der englischen messen könnte? Wie es einerseits
der englischen Welt zum Segen gereichen würde, wenn sie sich noch mehr als
bisher von deutscher Wissenschaft durchtränken ließe, würde andrerseits unser
pflichtgetreuer Beamtenstand erst durch Abstreifung des alten Bnreankratismus
und Anziehung der englischen Persönlichkeit für die großen Fragen der aus¬
wärtigen und innern Politik brauchbar werden.

Vor allem aber wird die Presse beider Länder es endlich aufgeben müsse",
sich gegenseitig zu befehden und zu verdächtige". Die deutsche Presse hat ihre
frühere Bekämpfung Englands fast ganz aufgegeben, und nur die Witzblätter


Großbritannien und Deutschland

Schulter gestellt hat, sondern zunächst ihr eignes Interesse. Das ändert aber
an der Tatsache an sich wenig, und bei den zukünftig zu erwartenden gro߬
artigen Auseinandersetzungen zwischen der gelben und der weißen Rasse werden
gerade die Stammes-, Glaubens- und Kulturgemeinschaften der germanisch-pro¬
testantischen Welt wieder ihre ausschlaggebende Bedeutung äußern können.

Blicken wir zurück in die Geschichte, so sehen wir, daß England einst
dieselbe Entwicklung durchgemacht hat, die sich jetzt bei Deutschland vollzogen
hat, nämlich die Befreiung des heimischen Handels und der eignen Industrie
vom Auslande, daß England also eigentlich keinen Grund haben sollte, uns
das zu mißgönnen, was es selbst schon vor Jahrhunderten erlangt hat.

Englands Produkte kamen zum erstenmal in die Außenwelt durch die Ver¬
mittlung deutscher Kaufleute, die 1250 den steht^rö in London begründeten
und bald den ganzen ldrsiM tracls Englands monopolisierten. Wiederholt
haben aber anch die Hansen ihre Kriegsschiffe zur Verfügung der englischen
Könige gestellt und dadurch ihre Dankbarkeit bewiesen. Erst im Jahre 1597
wurden die Privilegien der Hansen durch Elisabeth für immer beseitigt. Dem
riesenhaften Emporblühn seiner allen andern Ländern vorausgeeilten Industrie
hatte England dann zusammen mit der stetig wachsenden Ausdehnung seines
Kolonialbesitzes über alle Teile der Erde seine Suprematie im Welthandel zu
verdanken. So erklärlich es nun ist, daß England die Zeiten zurücksehnt, wo
es unbestrittene Herrin des Welthandels gewesen ist, so begründet ist doch
unser Recht, jetzt, wo wir endlich wieder wirtschaftlich erstarkt sind, den einst
besessenen Anteil an? Welthandel und volle Absatzfreiheit für unsre Produkte,
oder wie man heutzutage sagt, überall die offne Tür für unsern Handel zu
verlangen.

Die deutsch-englischen Frenndschaftsfeste diesseits und jenseits des Kanals
haben gezeigt, daß wir sehr gut miteinander auskommen können, wenn wir
nur wollen. Man kennt sich eben noch viel zu wenig und sollte deshalb jede
Gelegenheit benutzen, das Verständnis für die Eigenart des andern zu erweitern.
Engländer und Deutsche können noch viel voneinander lernen, denn wo fände
der Engländer eine Kultur, die auf allen wissenschaftlichen Gebieten höher
stünde als die deutsche, und wo der Deutsche eine Kultur, die in Kolonisation,
Handel und Schiffahrt sich mit der englischen messen könnte? Wie es einerseits
der englischen Welt zum Segen gereichen würde, wenn sie sich noch mehr als
bisher von deutscher Wissenschaft durchtränken ließe, würde andrerseits unser
pflichtgetreuer Beamtenstand erst durch Abstreifung des alten Bnreankratismus
und Anziehung der englischen Persönlichkeit für die großen Fragen der aus¬
wärtigen und innern Politik brauchbar werden.

Vor allem aber wird die Presse beider Länder es endlich aufgeben müsse»,
sich gegenseitig zu befehden und zu verdächtige». Die deutsche Presse hat ihre
frühere Bekämpfung Englands fast ganz aufgegeben, und nur die Witzblätter


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[0340] Großbritannien und Deutschland Schulter gestellt hat, sondern zunächst ihr eignes Interesse. Das ändert aber an der Tatsache an sich wenig, und bei den zukünftig zu erwartenden gro߬ artigen Auseinandersetzungen zwischen der gelben und der weißen Rasse werden gerade die Stammes-, Glaubens- und Kulturgemeinschaften der germanisch-pro¬ testantischen Welt wieder ihre ausschlaggebende Bedeutung äußern können. Blicken wir zurück in die Geschichte, so sehen wir, daß England einst dieselbe Entwicklung durchgemacht hat, die sich jetzt bei Deutschland vollzogen hat, nämlich die Befreiung des heimischen Handels und der eignen Industrie vom Auslande, daß England also eigentlich keinen Grund haben sollte, uns das zu mißgönnen, was es selbst schon vor Jahrhunderten erlangt hat. Englands Produkte kamen zum erstenmal in die Außenwelt durch die Ver¬ mittlung deutscher Kaufleute, die 1250 den steht^rö in London begründeten und bald den ganzen ldrsiM tracls Englands monopolisierten. Wiederholt haben aber anch die Hansen ihre Kriegsschiffe zur Verfügung der englischen Könige gestellt und dadurch ihre Dankbarkeit bewiesen. Erst im Jahre 1597 wurden die Privilegien der Hansen durch Elisabeth für immer beseitigt. Dem riesenhaften Emporblühn seiner allen andern Ländern vorausgeeilten Industrie hatte England dann zusammen mit der stetig wachsenden Ausdehnung seines Kolonialbesitzes über alle Teile der Erde seine Suprematie im Welthandel zu verdanken. So erklärlich es nun ist, daß England die Zeiten zurücksehnt, wo es unbestrittene Herrin des Welthandels gewesen ist, so begründet ist doch unser Recht, jetzt, wo wir endlich wieder wirtschaftlich erstarkt sind, den einst besessenen Anteil an? Welthandel und volle Absatzfreiheit für unsre Produkte, oder wie man heutzutage sagt, überall die offne Tür für unsern Handel zu verlangen. Die deutsch-englischen Frenndschaftsfeste diesseits und jenseits des Kanals haben gezeigt, daß wir sehr gut miteinander auskommen können, wenn wir nur wollen. Man kennt sich eben noch viel zu wenig und sollte deshalb jede Gelegenheit benutzen, das Verständnis für die Eigenart des andern zu erweitern. Engländer und Deutsche können noch viel voneinander lernen, denn wo fände der Engländer eine Kultur, die auf allen wissenschaftlichen Gebieten höher stünde als die deutsche, und wo der Deutsche eine Kultur, die in Kolonisation, Handel und Schiffahrt sich mit der englischen messen könnte? Wie es einerseits der englischen Welt zum Segen gereichen würde, wenn sie sich noch mehr als bisher von deutscher Wissenschaft durchtränken ließe, würde andrerseits unser pflichtgetreuer Beamtenstand erst durch Abstreifung des alten Bnreankratismus und Anziehung der englischen Persönlichkeit für die großen Fragen der aus¬ wärtigen und innern Politik brauchbar werden. Vor allem aber wird die Presse beider Länder es endlich aufgeben müsse», sich gegenseitig zu befehden und zu verdächtige». Die deutsche Presse hat ihre frühere Bekämpfung Englands fast ganz aufgegeben, und nur die Witzblätter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/340>, abgerufen am 29.06.2024.