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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Zur Psychologie der Mode

daß die Leute, die nicht aufzufallen lieben, alles auffallende und absonderliche
einer neuen Mode mit rühmlicher Selbstverleugnung widerspruchslos hinnehmen?
Es liegt daran, daß diese Absonderlichkeit nicht unter der persönlichen Ver¬
antwortung des Trägers oder vielmehr der Trägerin geht. Auch das ist eine
Eigentümlichkeit des Masseninstinkts, daß er keine persönliche Verantwortung
vertrüge. Wir machen jede Torheit mit, wenn wir die Verantwortung ab¬
wälzen können. Die Mode ist eine abstrakte Person, die alle Verantwortung
übernimmt und dennoch niemand verantwortlich ist. Das ist sehr bequem.
Durch diese Eigenschaft enthebt sie alle ihre Anhänger des eignen Nachdenkens,
Suchens und Forschens und gibt eine fertige Form, die sozusagen der all¬
gemeinen Anerkennung schon von vornherein sicher ist. Auch das ist sehr
bequem. Man geht der geistigen Anstrengung lieber aus dem Wege. Und
was nun gar den strittigen Punkt Geschmack betrifft: Gott! wer ist denn
sicher, für seine Erscheinung das Rechte zu treffen und sich nicht zu blamieren?
Wer einen guten Geschmack hat, kann es ja wagen, aber wie viele sind das
nun eben? Wer will sich denn bloßstellen? Da ist nnn auch die Mode
Helferin in der schweren Not und macht die geschmackvoll, die es sehr häufig
gar nicht sind. Aber ist es denn wirklich immer guter Geschmack, den die
Mode bringt? Wir sind nach dem Gesagten nun doch schon so weit, um die
Sache kritischer aufzufassen.

Ich hätte nun ein leichtes, wenn ich mir die Sache billig machen wollte,
all den Widersinn gewisser Moden ins Lächerliche zu ziehen. Er ist schon
lächerlich genug, und alle Klugen wissen es, wenngleich mit den Waffen des
Spotts eine Narretei nur verscheucht wurde, damit sie einer andern Platz
mache. Ich erinnere an die Mode, die eine übermäßige Behängung des Frauen¬
kleides mit Posamenten aufbrachte. Was ursprünglich kunstvoll geknüpfte
Fransenendung war, wurde gleichsam als Ding an sich eigens hergestellt, um
willkürlich überall aufgenäht zu werden, wo sie nicht hingehörte, und sicherlich
nicht Hütte entstehn können bei einer organischen Durchbildung von Material
und Form. Die Sache kam verdientermaßen in Verfall, und mit ihr die
künstliche Steigerung der Posamentenfabrikation, die sich bis heute noch nicht
wieder erholt hat, woran nicht wenig der Mangel an Sachlichkeit schuld ist.
An Stelle der überwundnen Modeverirrnng ist im Wechsel der Erscheinungen
kaum ein Besseres getreten. Sind die Blumen- und Küchengürtlein auf den
Hüten etwa zweckmäßiger geworden, weil die Formen a 1a Gainsborough
stilisiert wurden? Die Hüte waren zu der Zeit, als Gainsborough die
liebenswerten Damenbildnisse malte, hinlänglich vernünftig gebaut, daß sie auf¬
gesetzt werden konnten. Können die heutigen Damenhüte a 1a Gainsborough im
eigentlichen Sinne des Wortes aufgesetzt werden? Ich fürchte, sie können es
nicht. Sie werden nur scheinbar aufgesetzt, sie sind nur mehr ein Dekorations¬
stück. Ich glaube nicht, daß die Damen zur Zeit des Gainsborough soviel


Zur Psychologie der Mode

daß die Leute, die nicht aufzufallen lieben, alles auffallende und absonderliche
einer neuen Mode mit rühmlicher Selbstverleugnung widerspruchslos hinnehmen?
Es liegt daran, daß diese Absonderlichkeit nicht unter der persönlichen Ver¬
antwortung des Trägers oder vielmehr der Trägerin geht. Auch das ist eine
Eigentümlichkeit des Masseninstinkts, daß er keine persönliche Verantwortung
vertrüge. Wir machen jede Torheit mit, wenn wir die Verantwortung ab¬
wälzen können. Die Mode ist eine abstrakte Person, die alle Verantwortung
übernimmt und dennoch niemand verantwortlich ist. Das ist sehr bequem.
Durch diese Eigenschaft enthebt sie alle ihre Anhänger des eignen Nachdenkens,
Suchens und Forschens und gibt eine fertige Form, die sozusagen der all¬
gemeinen Anerkennung schon von vornherein sicher ist. Auch das ist sehr
bequem. Man geht der geistigen Anstrengung lieber aus dem Wege. Und
was nun gar den strittigen Punkt Geschmack betrifft: Gott! wer ist denn
sicher, für seine Erscheinung das Rechte zu treffen und sich nicht zu blamieren?
Wer einen guten Geschmack hat, kann es ja wagen, aber wie viele sind das
nun eben? Wer will sich denn bloßstellen? Da ist nnn auch die Mode
Helferin in der schweren Not und macht die geschmackvoll, die es sehr häufig
gar nicht sind. Aber ist es denn wirklich immer guter Geschmack, den die
Mode bringt? Wir sind nach dem Gesagten nun doch schon so weit, um die
Sache kritischer aufzufassen.

Ich hätte nun ein leichtes, wenn ich mir die Sache billig machen wollte,
all den Widersinn gewisser Moden ins Lächerliche zu ziehen. Er ist schon
lächerlich genug, und alle Klugen wissen es, wenngleich mit den Waffen des
Spotts eine Narretei nur verscheucht wurde, damit sie einer andern Platz
mache. Ich erinnere an die Mode, die eine übermäßige Behängung des Frauen¬
kleides mit Posamenten aufbrachte. Was ursprünglich kunstvoll geknüpfte
Fransenendung war, wurde gleichsam als Ding an sich eigens hergestellt, um
willkürlich überall aufgenäht zu werden, wo sie nicht hingehörte, und sicherlich
nicht Hütte entstehn können bei einer organischen Durchbildung von Material
und Form. Die Sache kam verdientermaßen in Verfall, und mit ihr die
künstliche Steigerung der Posamentenfabrikation, die sich bis heute noch nicht
wieder erholt hat, woran nicht wenig der Mangel an Sachlichkeit schuld ist.
An Stelle der überwundnen Modeverirrnng ist im Wechsel der Erscheinungen
kaum ein Besseres getreten. Sind die Blumen- und Küchengürtlein auf den
Hüten etwa zweckmäßiger geworden, weil die Formen a 1a Gainsborough
stilisiert wurden? Die Hüte waren zu der Zeit, als Gainsborough die
liebenswerten Damenbildnisse malte, hinlänglich vernünftig gebaut, daß sie auf¬
gesetzt werden konnten. Können die heutigen Damenhüte a 1a Gainsborough im
eigentlichen Sinne des Wortes aufgesetzt werden? Ich fürchte, sie können es
nicht. Sie werden nur scheinbar aufgesetzt, sie sind nur mehr ein Dekorations¬
stück. Ich glaube nicht, daß die Damen zur Zeit des Gainsborough soviel


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[0310] Zur Psychologie der Mode daß die Leute, die nicht aufzufallen lieben, alles auffallende und absonderliche einer neuen Mode mit rühmlicher Selbstverleugnung widerspruchslos hinnehmen? Es liegt daran, daß diese Absonderlichkeit nicht unter der persönlichen Ver¬ antwortung des Trägers oder vielmehr der Trägerin geht. Auch das ist eine Eigentümlichkeit des Masseninstinkts, daß er keine persönliche Verantwortung vertrüge. Wir machen jede Torheit mit, wenn wir die Verantwortung ab¬ wälzen können. Die Mode ist eine abstrakte Person, die alle Verantwortung übernimmt und dennoch niemand verantwortlich ist. Das ist sehr bequem. Durch diese Eigenschaft enthebt sie alle ihre Anhänger des eignen Nachdenkens, Suchens und Forschens und gibt eine fertige Form, die sozusagen der all¬ gemeinen Anerkennung schon von vornherein sicher ist. Auch das ist sehr bequem. Man geht der geistigen Anstrengung lieber aus dem Wege. Und was nun gar den strittigen Punkt Geschmack betrifft: Gott! wer ist denn sicher, für seine Erscheinung das Rechte zu treffen und sich nicht zu blamieren? Wer einen guten Geschmack hat, kann es ja wagen, aber wie viele sind das nun eben? Wer will sich denn bloßstellen? Da ist nnn auch die Mode Helferin in der schweren Not und macht die geschmackvoll, die es sehr häufig gar nicht sind. Aber ist es denn wirklich immer guter Geschmack, den die Mode bringt? Wir sind nach dem Gesagten nun doch schon so weit, um die Sache kritischer aufzufassen. Ich hätte nun ein leichtes, wenn ich mir die Sache billig machen wollte, all den Widersinn gewisser Moden ins Lächerliche zu ziehen. Er ist schon lächerlich genug, und alle Klugen wissen es, wenngleich mit den Waffen des Spotts eine Narretei nur verscheucht wurde, damit sie einer andern Platz mache. Ich erinnere an die Mode, die eine übermäßige Behängung des Frauen¬ kleides mit Posamenten aufbrachte. Was ursprünglich kunstvoll geknüpfte Fransenendung war, wurde gleichsam als Ding an sich eigens hergestellt, um willkürlich überall aufgenäht zu werden, wo sie nicht hingehörte, und sicherlich nicht Hütte entstehn können bei einer organischen Durchbildung von Material und Form. Die Sache kam verdientermaßen in Verfall, und mit ihr die künstliche Steigerung der Posamentenfabrikation, die sich bis heute noch nicht wieder erholt hat, woran nicht wenig der Mangel an Sachlichkeit schuld ist. An Stelle der überwundnen Modeverirrnng ist im Wechsel der Erscheinungen kaum ein Besseres getreten. Sind die Blumen- und Küchengürtlein auf den Hüten etwa zweckmäßiger geworden, weil die Formen a 1a Gainsborough stilisiert wurden? Die Hüte waren zu der Zeit, als Gainsborough die liebenswerten Damenbildnisse malte, hinlänglich vernünftig gebaut, daß sie auf¬ gesetzt werden konnten. Können die heutigen Damenhüte a 1a Gainsborough im eigentlichen Sinne des Wortes aufgesetzt werden? Ich fürchte, sie können es nicht. Sie werden nur scheinbar aufgesetzt, sie sind nur mehr ein Dekorations¬ stück. Ich glaube nicht, daß die Damen zur Zeit des Gainsborough soviel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/310>, abgerufen am 22.07.2024.