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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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sozialpsychologische Eindrücke aus deutschen Großstädten

nicht so reich an charitativen, wissenschaftlichen, dem Schmuck und der Er¬
heiterung des Daseins dienenden Veranstaltungen, wenn in den besten seiner
reichen Bürger nicht noch etwas lebte von dem Geiste der Anhänglichkeit an
die Vaterstadt. Freilich ist zu bemerken, daß die meisten dieser Stiftungen
und Schenkungen auch für die Erhaltung des Namens ihrer Stifter sorgen,
während man beobachtet, daß da, wo dieser nicht genügend zur Geltung kommt,
zum Beispiel in Stiftungen für Volksbibliotheken und Lesehallen, nicht immer
die gleiche Opferfreudigkeit herrscht, wie überhaupt die Wohltätigkeit kleinern
Stils, auch das Almosengeben, nicht so stark geübt wird wie etwa in München.
Hier zeigt sich mehr der berechnende Handelsgeist als die Gutherzigkeit.

Die Leipziger Opferfreudigkeit ist um so mehr zu rühmen, als sie nicht,
wie etwa in Frankfurt, zum Teil auch in Berlin, ein Privileg reicher südischer
Kreise ist. Das ist schon deshalb nicht möglich, weil das jüdische Element in
der Leipziger Bevölkerung fast ganz verschwindet. Nach der letzten Zählung
waren unter den 503637 Einwohnern 7676 Jsraeliten, und zwar beschränkt
sich die Hauptmasse derselben (6736) auf "Alt-Leipzig", d. h. auf die innere
Stadt sowie auf die Nord- und Westvorstadt, also auf die eigentlichen Geschüfts-
viertel; dagegen kommen auf "Neu-Leipzig", d. h. die siebzehn einverleibten
Vororte, die mit zusammen 315000 Einwohnern den größern Teil der Ein¬
wohner umfassen, nur 940 Jsraeliten! Diese gehören eben in Leipzig noch
fast durchweg dem kleinern und mittlern Handelsstande an und spielen in der
Gesellschaft und Verwaltung überhaupt keine Rolle.

Es ist hier nicht der Ort, die lange Reihe der Stifter und ihrer Werke auf¬
zuzählen, die sich um Leipzig verdient gemacht haben, um so weniger, als viele
dieser Stiftungen um Jahrhunderte zurückreichen und den verschiedensten gemein¬
nützigen Bestrebungen dienen. So verfügt die Universität, die zugleich die be¬
deutendste Grundbesitzerin Leipzigs ist, über zahllose reiche Stiftungen für Studenten
und Dozenten, die nicht, wie es wohl anderwärts, besonders in den ostelbischen,
von keinem sozialen Geiste erfüllten Gebieten üblich, in kleinlicher Beschränktheit
nur den Nachkommen der eignen Familie zugute kommen, sondern in weit¬
herziger Liberalität und ohne viel Klauseln vergeben werden, höchstens, daß
nach den Provinzen, denen der Stifter angehörte, einige Beschränkungen ge¬
macht sind.

Besonders lobenswert ist die Fürsorge für die Pflege des ästhetischen Sinnes
in Verbindung mit der Hygiene, wie sie sich in der Anlage von öffentlichen
Gärten und Promenaden kundgibt. So verdankt die große Promenadenanlage
des Ringes ihre Entstehung dem Kriegsrat Müller (geht. 1801), die des Johannis¬
tales dem Dr. M. Seeburg, des Johannaparkes dem Kaufmann Wilh. Seyfferth.
Vor allem aber sind hier zu nennen die für Leipzig geradezu charakteristischen
Schrebergärten, deren Zahl sich innerhalb und außerhalb der Stadt auf 8000
beläuft. Sie unterscheiden sich wesentlich von den Berliner Laubenkolonien
sowohl in ihrer Organisation wie auch durch ihren äußern Eindruck und ihren


sozialpsychologische Eindrücke aus deutschen Großstädten

nicht so reich an charitativen, wissenschaftlichen, dem Schmuck und der Er¬
heiterung des Daseins dienenden Veranstaltungen, wenn in den besten seiner
reichen Bürger nicht noch etwas lebte von dem Geiste der Anhänglichkeit an
die Vaterstadt. Freilich ist zu bemerken, daß die meisten dieser Stiftungen
und Schenkungen auch für die Erhaltung des Namens ihrer Stifter sorgen,
während man beobachtet, daß da, wo dieser nicht genügend zur Geltung kommt,
zum Beispiel in Stiftungen für Volksbibliotheken und Lesehallen, nicht immer
die gleiche Opferfreudigkeit herrscht, wie überhaupt die Wohltätigkeit kleinern
Stils, auch das Almosengeben, nicht so stark geübt wird wie etwa in München.
Hier zeigt sich mehr der berechnende Handelsgeist als die Gutherzigkeit.

Die Leipziger Opferfreudigkeit ist um so mehr zu rühmen, als sie nicht,
wie etwa in Frankfurt, zum Teil auch in Berlin, ein Privileg reicher südischer
Kreise ist. Das ist schon deshalb nicht möglich, weil das jüdische Element in
der Leipziger Bevölkerung fast ganz verschwindet. Nach der letzten Zählung
waren unter den 503637 Einwohnern 7676 Jsraeliten, und zwar beschränkt
sich die Hauptmasse derselben (6736) auf „Alt-Leipzig", d. h. auf die innere
Stadt sowie auf die Nord- und Westvorstadt, also auf die eigentlichen Geschüfts-
viertel; dagegen kommen auf „Neu-Leipzig", d. h. die siebzehn einverleibten
Vororte, die mit zusammen 315000 Einwohnern den größern Teil der Ein¬
wohner umfassen, nur 940 Jsraeliten! Diese gehören eben in Leipzig noch
fast durchweg dem kleinern und mittlern Handelsstande an und spielen in der
Gesellschaft und Verwaltung überhaupt keine Rolle.

Es ist hier nicht der Ort, die lange Reihe der Stifter und ihrer Werke auf¬
zuzählen, die sich um Leipzig verdient gemacht haben, um so weniger, als viele
dieser Stiftungen um Jahrhunderte zurückreichen und den verschiedensten gemein¬
nützigen Bestrebungen dienen. So verfügt die Universität, die zugleich die be¬
deutendste Grundbesitzerin Leipzigs ist, über zahllose reiche Stiftungen für Studenten
und Dozenten, die nicht, wie es wohl anderwärts, besonders in den ostelbischen,
von keinem sozialen Geiste erfüllten Gebieten üblich, in kleinlicher Beschränktheit
nur den Nachkommen der eignen Familie zugute kommen, sondern in weit¬
herziger Liberalität und ohne viel Klauseln vergeben werden, höchstens, daß
nach den Provinzen, denen der Stifter angehörte, einige Beschränkungen ge¬
macht sind.

Besonders lobenswert ist die Fürsorge für die Pflege des ästhetischen Sinnes
in Verbindung mit der Hygiene, wie sie sich in der Anlage von öffentlichen
Gärten und Promenaden kundgibt. So verdankt die große Promenadenanlage
des Ringes ihre Entstehung dem Kriegsrat Müller (geht. 1801), die des Johannis¬
tales dem Dr. M. Seeburg, des Johannaparkes dem Kaufmann Wilh. Seyfferth.
Vor allem aber sind hier zu nennen die für Leipzig geradezu charakteristischen
Schrebergärten, deren Zahl sich innerhalb und außerhalb der Stadt auf 8000
beläuft. Sie unterscheiden sich wesentlich von den Berliner Laubenkolonien
sowohl in ihrer Organisation wie auch durch ihren äußern Eindruck und ihren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/260>, abgerufen am 03.07.2024.