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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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sozialpsychologische Eindrücke aus deutschen Großstädten

auf den Straßen sehen zu lassen. Dafür spielt das Bordellwesen eine um so
größere Rolle, wie in allen alten Handelsstädten (Hamburg, Nürnberg, Köln).
Im übrigen gibt es zwei charakteristische Leipziger Sprichwörter, die dem Jünger
der g.rs aug.n<Zi direktere Fingerzeige geben, um ihm den Weg zu der holden
Leipziger Weiblichkeit zu bahnen. Das eine lautet:


Die Leipziger Jungfern, die Donnermöhren,
Die lassen sich nimmer das Lieben wehren.

Und das andre, weniger schmeichelhafte:


Leipziger Jungfern und Winteräpfel werden erst rot, wenn sie aufs Stroh kommen.

Ein höchst erfreuliches Zeugnis, das in einer Handelsstadt doppelt ange¬
nehm berührt, für die Schützung von Imponderabilien in Verhültnifsen rein
geschäftlicher Art legen solche Veranstaltungen ab, die darauf gerichtet sind, das
Verhältnis zwischen Mieter und Wirt sowie das zwischen Dienstherren und Dienst¬
boten zu einem möglichst persönlichen zu gestalten. Liest man die Leipziger
Zeitungen durch, so stößt man häufig auf eine Rubrik mit der Überschrift: Treue
Mieter. Darunter werden die Namen aller derer genannt, die fünfundzwanzig
Jahre in einem Hause wohnen, und denen aus diesem Anlaß vom Leipziger
Hausbesitzervereiu ein Ehrendiplom überreicht wird. Eine schöne und nachahmens¬
werte Aufgabe hat sich auch der "Verein für Anerkennung langjähriger Dienst¬
zeit zu Leipzig" gestellt, nämlich die Prämiierung und die Ausfertigung eines
Ehrenzeugnisses an Dienstmädchen, die sich viele Jahre lang das Vertrauen
und die Achtung ihrer Herrschaft erworben hatten. Die Prämiierung erfolgt
aus eigens für diesen Zweck errichteten Stiftungen. So erhielten dieses Jahr
94 Dienstmädchen außer einem Ehrenpreis noch je 24 und je 15 Mark (für
zehn- und fünfjährige Dienstzeit), während im ganzen schon über 2800 Dienst¬
mädchen mit dieser Anerkennung ausgezeichnet wurden. In Verbindung mit
dieser Preisverteilung wird alljährlich auch einer großen Zahl von Konfirman¬
dinnen, die in ein Dienstverhältnis zu treten beabsichtigen, ein Sparkassenbuch
mit je 5 Mark Einlage überreicht. Solchen Bestrebungen liegt zweifellos etwas
stark sittlich-soziales zugrunde: sie spornen den Pflichteifer und tragen zur
Festigung des Dienstverhältnisses bei.

Damit sind wir bei dem Kapitel der Stiftungen und privaten Wohlfahrts¬
veranstaltungen angelangt. Dieses Kapitel kennzeichnet am besten das Ineinander¬
greifen von Individuum und Gemeinwesen, das Herzensverhältnis gleichsam,
das zwischen beiden besteht. Es bildet um so mehr ein Ruhmesblatt in der
Geschichte Leipzigs, als wir hier vor einer Erscheinung stehen, die in deutschen
Städten nicht eben häufig zu finden, jedenfalls ein Kennzeichen echt demokra¬
tischer Gemeinwesen ist -- man denke an die Vereinigten Staaten, an England,
Skandinavien und die Balkanländer. Leipzig vereinigt wie in einem Mikrokosmos
alle die Eigenschaften, die zu Stiftungen großen Stils nötig sind: Reichtum,
Gemeinsinn, Persönlichkeitsbewußtsein; und Leipzig wäre uicht Leipzig, wäre


sozialpsychologische Eindrücke aus deutschen Großstädten

auf den Straßen sehen zu lassen. Dafür spielt das Bordellwesen eine um so
größere Rolle, wie in allen alten Handelsstädten (Hamburg, Nürnberg, Köln).
Im übrigen gibt es zwei charakteristische Leipziger Sprichwörter, die dem Jünger
der g.rs aug.n<Zi direktere Fingerzeige geben, um ihm den Weg zu der holden
Leipziger Weiblichkeit zu bahnen. Das eine lautet:


Die Leipziger Jungfern, die Donnermöhren,
Die lassen sich nimmer das Lieben wehren.

Und das andre, weniger schmeichelhafte:


Leipziger Jungfern und Winteräpfel werden erst rot, wenn sie aufs Stroh kommen.

Ein höchst erfreuliches Zeugnis, das in einer Handelsstadt doppelt ange¬
nehm berührt, für die Schützung von Imponderabilien in Verhültnifsen rein
geschäftlicher Art legen solche Veranstaltungen ab, die darauf gerichtet sind, das
Verhältnis zwischen Mieter und Wirt sowie das zwischen Dienstherren und Dienst¬
boten zu einem möglichst persönlichen zu gestalten. Liest man die Leipziger
Zeitungen durch, so stößt man häufig auf eine Rubrik mit der Überschrift: Treue
Mieter. Darunter werden die Namen aller derer genannt, die fünfundzwanzig
Jahre in einem Hause wohnen, und denen aus diesem Anlaß vom Leipziger
Hausbesitzervereiu ein Ehrendiplom überreicht wird. Eine schöne und nachahmens¬
werte Aufgabe hat sich auch der „Verein für Anerkennung langjähriger Dienst¬
zeit zu Leipzig" gestellt, nämlich die Prämiierung und die Ausfertigung eines
Ehrenzeugnisses an Dienstmädchen, die sich viele Jahre lang das Vertrauen
und die Achtung ihrer Herrschaft erworben hatten. Die Prämiierung erfolgt
aus eigens für diesen Zweck errichteten Stiftungen. So erhielten dieses Jahr
94 Dienstmädchen außer einem Ehrenpreis noch je 24 und je 15 Mark (für
zehn- und fünfjährige Dienstzeit), während im ganzen schon über 2800 Dienst¬
mädchen mit dieser Anerkennung ausgezeichnet wurden. In Verbindung mit
dieser Preisverteilung wird alljährlich auch einer großen Zahl von Konfirman¬
dinnen, die in ein Dienstverhältnis zu treten beabsichtigen, ein Sparkassenbuch
mit je 5 Mark Einlage überreicht. Solchen Bestrebungen liegt zweifellos etwas
stark sittlich-soziales zugrunde: sie spornen den Pflichteifer und tragen zur
Festigung des Dienstverhältnisses bei.

Damit sind wir bei dem Kapitel der Stiftungen und privaten Wohlfahrts¬
veranstaltungen angelangt. Dieses Kapitel kennzeichnet am besten das Ineinander¬
greifen von Individuum und Gemeinwesen, das Herzensverhältnis gleichsam,
das zwischen beiden besteht. Es bildet um so mehr ein Ruhmesblatt in der
Geschichte Leipzigs, als wir hier vor einer Erscheinung stehen, die in deutschen
Städten nicht eben häufig zu finden, jedenfalls ein Kennzeichen echt demokra¬
tischer Gemeinwesen ist — man denke an die Vereinigten Staaten, an England,
Skandinavien und die Balkanländer. Leipzig vereinigt wie in einem Mikrokosmos
alle die Eigenschaften, die zu Stiftungen großen Stils nötig sind: Reichtum,
Gemeinsinn, Persönlichkeitsbewußtsein; und Leipzig wäre uicht Leipzig, wäre


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[0259] sozialpsychologische Eindrücke aus deutschen Großstädten auf den Straßen sehen zu lassen. Dafür spielt das Bordellwesen eine um so größere Rolle, wie in allen alten Handelsstädten (Hamburg, Nürnberg, Köln). Im übrigen gibt es zwei charakteristische Leipziger Sprichwörter, die dem Jünger der g.rs aug.n<Zi direktere Fingerzeige geben, um ihm den Weg zu der holden Leipziger Weiblichkeit zu bahnen. Das eine lautet: Die Leipziger Jungfern, die Donnermöhren, Die lassen sich nimmer das Lieben wehren. Und das andre, weniger schmeichelhafte: Leipziger Jungfern und Winteräpfel werden erst rot, wenn sie aufs Stroh kommen. Ein höchst erfreuliches Zeugnis, das in einer Handelsstadt doppelt ange¬ nehm berührt, für die Schützung von Imponderabilien in Verhültnifsen rein geschäftlicher Art legen solche Veranstaltungen ab, die darauf gerichtet sind, das Verhältnis zwischen Mieter und Wirt sowie das zwischen Dienstherren und Dienst¬ boten zu einem möglichst persönlichen zu gestalten. Liest man die Leipziger Zeitungen durch, so stößt man häufig auf eine Rubrik mit der Überschrift: Treue Mieter. Darunter werden die Namen aller derer genannt, die fünfundzwanzig Jahre in einem Hause wohnen, und denen aus diesem Anlaß vom Leipziger Hausbesitzervereiu ein Ehrendiplom überreicht wird. Eine schöne und nachahmens¬ werte Aufgabe hat sich auch der „Verein für Anerkennung langjähriger Dienst¬ zeit zu Leipzig" gestellt, nämlich die Prämiierung und die Ausfertigung eines Ehrenzeugnisses an Dienstmädchen, die sich viele Jahre lang das Vertrauen und die Achtung ihrer Herrschaft erworben hatten. Die Prämiierung erfolgt aus eigens für diesen Zweck errichteten Stiftungen. So erhielten dieses Jahr 94 Dienstmädchen außer einem Ehrenpreis noch je 24 und je 15 Mark (für zehn- und fünfjährige Dienstzeit), während im ganzen schon über 2800 Dienst¬ mädchen mit dieser Anerkennung ausgezeichnet wurden. In Verbindung mit dieser Preisverteilung wird alljährlich auch einer großen Zahl von Konfirman¬ dinnen, die in ein Dienstverhältnis zu treten beabsichtigen, ein Sparkassenbuch mit je 5 Mark Einlage überreicht. Solchen Bestrebungen liegt zweifellos etwas stark sittlich-soziales zugrunde: sie spornen den Pflichteifer und tragen zur Festigung des Dienstverhältnisses bei. Damit sind wir bei dem Kapitel der Stiftungen und privaten Wohlfahrts¬ veranstaltungen angelangt. Dieses Kapitel kennzeichnet am besten das Ineinander¬ greifen von Individuum und Gemeinwesen, das Herzensverhältnis gleichsam, das zwischen beiden besteht. Es bildet um so mehr ein Ruhmesblatt in der Geschichte Leipzigs, als wir hier vor einer Erscheinung stehen, die in deutschen Städten nicht eben häufig zu finden, jedenfalls ein Kennzeichen echt demokra¬ tischer Gemeinwesen ist — man denke an die Vereinigten Staaten, an England, Skandinavien und die Balkanländer. Leipzig vereinigt wie in einem Mikrokosmos alle die Eigenschaften, die zu Stiftungen großen Stils nötig sind: Reichtum, Gemeinsinn, Persönlichkeitsbewußtsein; und Leipzig wäre uicht Leipzig, wäre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/259>, abgerufen am 28.09.2024.