Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.lvasmann und seine Berliner Opponenten daß sie jeder Schusterjunge und jeder Droschkenkutscher an den Fingern her¬ Also die Fragen, auf die es in dieser Diskussion ankam, sind von den Grenzboten IV 1907 32
lvasmann und seine Berliner Opponenten daß sie jeder Schusterjunge und jeder Droschkenkutscher an den Fingern her¬ Also die Fragen, auf die es in dieser Diskussion ankam, sind von den Grenzboten IV 1907 32
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0253" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303669"/> <fw type="header" place="top"> lvasmann und seine Berliner Opponenten</fw><lb/> <p xml:id="ID_1044" prev="#ID_1043"> daß sie jeder Schusterjunge und jeder Droschkenkutscher an den Fingern her¬<lb/> zählen kann. Aber von den Unähnlichsten spricht kein Mensch in diesen Kreisen.<lb/> Da ist es doch notwendig, das Publikum einmal daran zu erinnern, daß der<lb/> Affenfuß kein Fuß sondern eine Greifhand ist, daß demnach der Affe zur auf¬<lb/> rechten Stellung, die zu den Bedingungen und Kennzeichen echten Menschentums<lb/> gehört, nicht angelegt ist, und daß der dem Affenleibe als einem Tierleibe<lb/> natürlichen wagerechten Haltung auch die Kopfform entspricht. Das Charakteristische<lb/> des Menschenantlitzes haben ohne biologische Wissenschaft die griechischen Künstler<lb/> herausgefunden, indem sie die Linie von der Stirn zum Kinn mit der wage¬<lb/> rechten einen rechten Winkel bilden ließen, sogar mitunter einen etwas stumpfen<lb/> wagten. Und nun sehe man sich eine Affenschnauze an, oder noch besser eine<lb/> Skelettzeichnung (etwa in Reclams „Leib des Menschen". Im Profil nämlich.<lb/> Von vorn gesehen, mutet freilich das Affengesicht, obwohl gleich dem ganzen<lb/> Affen von abschreckender Häßlichkeit, sehr menschenähnlich an). Da ist nicht<lb/> einmal von einem spitzen Winkel die Rede; der Kopf des Orang-Ulan ist nicht<lb/> menschenähnlicher als der eines Nilpferdes; er ist eben ein Tierkopf, kein<lb/> Menschenkopf. Übrigens erinnert Wasmann ganz richtig daran, daß anthropo¬<lb/> logische Fragen der Zoologe nicht allein entscheiden kann — weil eben der<lb/> Mensch kein Tier ist —, sondern daß die Psychologie das entscheidende Wort<lb/> zu sprechen hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_1045" next="#ID_1046"> Also die Fragen, auf die es in dieser Diskussion ankam, sind von den<lb/> Opponenten teils sehr oberflächlich, teils gar nicht behandelt worden. Sie haben<lb/> alle mehr oder weniger „Kulturkampf" getrieben, aus der biologischen Erörterung<lb/> ein Religionsgespräch gemacht, wie Wasmann sagt. Nur einer bemerkt sehr<lb/> vernünftig, die Entwicklungstheorie habe weder mit dem Monismus noch mit<lb/> dem Theismus etwas zu schaffen; das ist es ja eben, erwidert Wasmann, was<lb/> ich immerfort behaupte. Die Herren bringen Galilei, den Index und die bischöf¬<lb/> liche Druckerlaubnis hinein und sprechen allesamt die Überzeugung aus, ein<lb/> gläubiger Katholik, gar ein katholischer Priester, könne kein vorurteilsloser, kein<lb/> freier, kein wirklicher Forscher sein. Nun ist es ja freilich wahr, daß sich die<lb/> freie Forschung mit den Lehr- und Grundsätzen der heutigen katholischen Kirche<lb/> schlechterdings nicht verträgt. Aber folgt daraus, daß der einzelne Katholik kein<lb/> unabhängiger Geist sein, nicht frei forschen könne? So wenig als daraus, daß<lb/> der Teufel in Luthers Katechismus und in der Agende steht, der Schluß ge¬<lb/> zogen werden darf, alle Protestanten glaubten an den Teufel. Es hat zu allen<lb/> Zeiten unter den Katholiken wirkliche Forscher gegeben. Ihr Schicksal war ver¬<lb/> schieden. Die einen forschten auf Gebieten, auf denen es zu einem Konflikt mit<lb/> der Kirchenlehre gar nicht kommen kann. Gerade die sämtlichen Naturwissen¬<lb/> schaften sind solche Gebiete, denn das, was die Herren Monisten treiben, ist gar<lb/> nicht mehr Naturwissenschaft, sondern Naturphilosophie. Andre finden zwar<lb/> Ergebnisse, die einem Kirchendogma widersprechen, aber sie bleiben unbehelligt,<lb/> weil sie zufällig nicht denunziert werden. Wieder andre geraten in Konflikt mit</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1907 32</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0253]
lvasmann und seine Berliner Opponenten
daß sie jeder Schusterjunge und jeder Droschkenkutscher an den Fingern her¬
zählen kann. Aber von den Unähnlichsten spricht kein Mensch in diesen Kreisen.
Da ist es doch notwendig, das Publikum einmal daran zu erinnern, daß der
Affenfuß kein Fuß sondern eine Greifhand ist, daß demnach der Affe zur auf¬
rechten Stellung, die zu den Bedingungen und Kennzeichen echten Menschentums
gehört, nicht angelegt ist, und daß der dem Affenleibe als einem Tierleibe
natürlichen wagerechten Haltung auch die Kopfform entspricht. Das Charakteristische
des Menschenantlitzes haben ohne biologische Wissenschaft die griechischen Künstler
herausgefunden, indem sie die Linie von der Stirn zum Kinn mit der wage¬
rechten einen rechten Winkel bilden ließen, sogar mitunter einen etwas stumpfen
wagten. Und nun sehe man sich eine Affenschnauze an, oder noch besser eine
Skelettzeichnung (etwa in Reclams „Leib des Menschen". Im Profil nämlich.
Von vorn gesehen, mutet freilich das Affengesicht, obwohl gleich dem ganzen
Affen von abschreckender Häßlichkeit, sehr menschenähnlich an). Da ist nicht
einmal von einem spitzen Winkel die Rede; der Kopf des Orang-Ulan ist nicht
menschenähnlicher als der eines Nilpferdes; er ist eben ein Tierkopf, kein
Menschenkopf. Übrigens erinnert Wasmann ganz richtig daran, daß anthropo¬
logische Fragen der Zoologe nicht allein entscheiden kann — weil eben der
Mensch kein Tier ist —, sondern daß die Psychologie das entscheidende Wort
zu sprechen hat.
Also die Fragen, auf die es in dieser Diskussion ankam, sind von den
Opponenten teils sehr oberflächlich, teils gar nicht behandelt worden. Sie haben
alle mehr oder weniger „Kulturkampf" getrieben, aus der biologischen Erörterung
ein Religionsgespräch gemacht, wie Wasmann sagt. Nur einer bemerkt sehr
vernünftig, die Entwicklungstheorie habe weder mit dem Monismus noch mit
dem Theismus etwas zu schaffen; das ist es ja eben, erwidert Wasmann, was
ich immerfort behaupte. Die Herren bringen Galilei, den Index und die bischöf¬
liche Druckerlaubnis hinein und sprechen allesamt die Überzeugung aus, ein
gläubiger Katholik, gar ein katholischer Priester, könne kein vorurteilsloser, kein
freier, kein wirklicher Forscher sein. Nun ist es ja freilich wahr, daß sich die
freie Forschung mit den Lehr- und Grundsätzen der heutigen katholischen Kirche
schlechterdings nicht verträgt. Aber folgt daraus, daß der einzelne Katholik kein
unabhängiger Geist sein, nicht frei forschen könne? So wenig als daraus, daß
der Teufel in Luthers Katechismus und in der Agende steht, der Schluß ge¬
zogen werden darf, alle Protestanten glaubten an den Teufel. Es hat zu allen
Zeiten unter den Katholiken wirkliche Forscher gegeben. Ihr Schicksal war ver¬
schieden. Die einen forschten auf Gebieten, auf denen es zu einem Konflikt mit
der Kirchenlehre gar nicht kommen kann. Gerade die sämtlichen Naturwissen¬
schaften sind solche Gebiete, denn das, was die Herren Monisten treiben, ist gar
nicht mehr Naturwissenschaft, sondern Naturphilosophie. Andre finden zwar
Ergebnisse, die einem Kirchendogma widersprechen, aber sie bleiben unbehelligt,
weil sie zufällig nicht denunziert werden. Wieder andre geraten in Konflikt mit
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