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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Wasmann und seine Berliner "Opponenten

den Kirchenbchörden und unterwerfen sich entweder oder lassen sich exkommunizieren.
Wenn demnach ein Katholik, der anerkanntermaßen auf einem wissenschaftlichen
Gebiete etwas leistet, öffentlich auftritt, so ist es unanständig, ihm mit der
Inquisition und dem Ultramontanismus und solchen Geschichten zu kommen
und zu sagen: du bist kein Forscher, kein Gelehrter, du bist nicht wert, daß wir
uns mit dir einlassen; sondern man hat seine wissenschaftlichen Argumente zu
hören und auf diese fachwissenschaftlich zu antworten. Dem gegenwärtigen Papste
ist zuzutrauen, daß er in Wasmanns Konzessionen an die Deszendenztheorie
eine Ketzerei gegen die orthodoxe Bibelauslegung findet und ihn maßregelt.
Unterwirft sich dann der Pater, so scheidet er aus der Reihe der Forscher -- dieses
Wort in seinem höchsten Sinne genommen -- aus; wissenschaftliches Material in
seinem Spezialfache kann er immerhin auch so noch liefern. Aber dem Gewicht
seiner bisherigen wissenschaftlichen Beweisführungen würde sein persönlicher Fall
keinen Eintrag tun. Übrigens gehört auch Plate zu den Ketzern. Daß er kein
orthodoxer Haeckelicmer ist, habe ich früher schon einmal erwähnt. In der
Disputation hat er weitere Ketzereien verbrochen: Naturgesetze ließen auf einen
Gesetzgeber schließen. Für ein persönliches Wesen freilich kann er diesen nicht
halten; nun, das ist Geschmacksache. Auch haßt er das Christentum nicht, sondern
hofft auf seine weitere Entwicklung.

Verschiedne nichtkatholische Kritiker haben über das Verhalten von Was¬
manns Opponenten ganz ebenso geurteilt wie ich. Ein Dr. Senff, den ich
weiter nicht kenne, hat im Harzer Kurier vom 27. und 28. April einen fast
zehn Spalten langen Artikel veröffentlicht, in dem es heißt: "Lieber etwas
weniger kirchenpolitische Entrüstung, und etwas mehr wissenschaftliche Wahr¬
haftigkeit -- auch wenn diese unbequem wird. Dann käme nicht ein Dritter
in protestantischen Landen in die heikle Situation, ehrenhalber einem Jesuiten
beispringen zu müssen." Eine gründliche und scharfe Kritik der Opponenten
hat ganz in unserm Sinne Dr. Wohlgemuth in der genannten Schrift geliefert.
Deren erster Teil, in dem gezeigt wird, wie weit der bibclglüubige Jude den
Ansichten Wasmanns beipflichten könne, wird wohl nur die Theologen unter
unsern Lesern interessieren. Aber etwa von Seite 63 an wird jeder Gebildete
die Ausführungen des mit den Naturwissenschaften wohl vertrauten Rabbiners
gern und mit Nutzen lesen, und der letzte Abschnitt, der auch das Verhaften
der liberalen Presse, speziell der Vossischen Zeitung, in der Affäre Wasmcmn
darstellt, sei allen ehrlichen Männern warm empfohlen. Schon in der Ein¬
leitung (S. 4) bemerkt er, der Fanatismus der sich liberal nennenden Kreise
sei darin deutlich zutage getreten. Ja, der Liberalismus des "Liberalismus"
und der Freisinn des "Freisinns" gehören zu den erheiterndsten Erscheinungen
unsrer Zeit; und schon aus diesem Grunde bin ich beiden nicht gram, denn
in der Arbeitplage und im Daseinskampfe unsrer harten und schweren Zeit
braucht man nichts nötiger als ein erquickendes Lachen. Wohlgemuth bekennt,
daß es ihm nicht angenehm sei, die Vossische Zeitung angreifen zu müssen;


Wasmann und seine Berliner «Opponenten

den Kirchenbchörden und unterwerfen sich entweder oder lassen sich exkommunizieren.
Wenn demnach ein Katholik, der anerkanntermaßen auf einem wissenschaftlichen
Gebiete etwas leistet, öffentlich auftritt, so ist es unanständig, ihm mit der
Inquisition und dem Ultramontanismus und solchen Geschichten zu kommen
und zu sagen: du bist kein Forscher, kein Gelehrter, du bist nicht wert, daß wir
uns mit dir einlassen; sondern man hat seine wissenschaftlichen Argumente zu
hören und auf diese fachwissenschaftlich zu antworten. Dem gegenwärtigen Papste
ist zuzutrauen, daß er in Wasmanns Konzessionen an die Deszendenztheorie
eine Ketzerei gegen die orthodoxe Bibelauslegung findet und ihn maßregelt.
Unterwirft sich dann der Pater, so scheidet er aus der Reihe der Forscher — dieses
Wort in seinem höchsten Sinne genommen — aus; wissenschaftliches Material in
seinem Spezialfache kann er immerhin auch so noch liefern. Aber dem Gewicht
seiner bisherigen wissenschaftlichen Beweisführungen würde sein persönlicher Fall
keinen Eintrag tun. Übrigens gehört auch Plate zu den Ketzern. Daß er kein
orthodoxer Haeckelicmer ist, habe ich früher schon einmal erwähnt. In der
Disputation hat er weitere Ketzereien verbrochen: Naturgesetze ließen auf einen
Gesetzgeber schließen. Für ein persönliches Wesen freilich kann er diesen nicht
halten; nun, das ist Geschmacksache. Auch haßt er das Christentum nicht, sondern
hofft auf seine weitere Entwicklung.

Verschiedne nichtkatholische Kritiker haben über das Verhalten von Was¬
manns Opponenten ganz ebenso geurteilt wie ich. Ein Dr. Senff, den ich
weiter nicht kenne, hat im Harzer Kurier vom 27. und 28. April einen fast
zehn Spalten langen Artikel veröffentlicht, in dem es heißt: „Lieber etwas
weniger kirchenpolitische Entrüstung, und etwas mehr wissenschaftliche Wahr¬
haftigkeit — auch wenn diese unbequem wird. Dann käme nicht ein Dritter
in protestantischen Landen in die heikle Situation, ehrenhalber einem Jesuiten
beispringen zu müssen." Eine gründliche und scharfe Kritik der Opponenten
hat ganz in unserm Sinne Dr. Wohlgemuth in der genannten Schrift geliefert.
Deren erster Teil, in dem gezeigt wird, wie weit der bibclglüubige Jude den
Ansichten Wasmanns beipflichten könne, wird wohl nur die Theologen unter
unsern Lesern interessieren. Aber etwa von Seite 63 an wird jeder Gebildete
die Ausführungen des mit den Naturwissenschaften wohl vertrauten Rabbiners
gern und mit Nutzen lesen, und der letzte Abschnitt, der auch das Verhaften
der liberalen Presse, speziell der Vossischen Zeitung, in der Affäre Wasmcmn
darstellt, sei allen ehrlichen Männern warm empfohlen. Schon in der Ein¬
leitung (S. 4) bemerkt er, der Fanatismus der sich liberal nennenden Kreise
sei darin deutlich zutage getreten. Ja, der Liberalismus des „Liberalismus"
und der Freisinn des „Freisinns" gehören zu den erheiterndsten Erscheinungen
unsrer Zeit; und schon aus diesem Grunde bin ich beiden nicht gram, denn
in der Arbeitplage und im Daseinskampfe unsrer harten und schweren Zeit
braucht man nichts nötiger als ein erquickendes Lachen. Wohlgemuth bekennt,
daß es ihm nicht angenehm sei, die Vossische Zeitung angreifen zu müssen;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/254>, abgerufen am 26.06.2024.