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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Luftreisen

folgende seenarme, von Wiesengründen und Sandhügeln, bewaldeten und un-
bewaldeten, ausgefüllte Landschaft ist die östliche Prignitz, die ja schon außer¬
halb der baltischen Seenplatte liegt. Die Bahn von Wusterhausen über Kyritz,
Wuticke und Blumental, an der wir eine Weile entlang fliegen, vereinigt sich
bei Pritzwalk im spitzen Winkel mit der von Neustrelitz über Wittstock
kommenden Linie.

Der Wind ändert sich aufs neue und führt uns mit wiederaufgenommner
früherer Schnelligkeit 600 Meter hoch über die zuletztgcnannte Bahn nahe bei
der ehemaligen, noch jetzt als solchen erkennbaren Feste Wittstock zwischen
Glinze und Dosse kurz vor ihrer Vereinigung nördlich vom Scharfenberg, wo
1636 Bauer die Kaiserlichen und die Sachsen schlug. Unsre Richtung ist
-- und bleibt es nun auch für die weitere Fahrt -- nach Nordosten, aus
Dänemark wird es also nichts! Unter den zahlreichen kleinern Ortschaften der
Prignitz bemerken wir vortreffliche Beispiele typischer Runddörfer mit einem
einzigen Eingang und dem Dorfplatz in der Mitte, wie Jabel und Krüssow.
Bei einigen scheint durch Brände der ursprüngliche Dorfplan zerstört zu sein;
sie nach dem Brande ebenso eng wieder aufzubauen, wird von den Behörden
mit Recht verboten. So zeigt sich uns zum Beispiel Wilmersdorf östlich
von Pritzwalk zwar als ein neues umfangreiches Runddorf, aber mit mehreren
Zugängen, und in der Mitte auf den alten Hofstellen sehen wir Gärten. Auch
an Langdörfern fehlt es nicht, aber die naheliegende Vermutung, bei den
Runddörfern wendische, bei den Langdörfern deutsche Namen auf der Karte
zu finden, trifft nicht zu: viele Runddörfer tragen deutsche und umgekehrt viele
Langdörfer wendische Namen.

Um neun Uhr sind wir jenseit der vom Oberlauf der Dosse gebildeten
brandenburgischen Grenze über der mecklenburgischen Seenplatte, die als das
vorletzte westliche Glied des Uralisch-baltischen Höhenzuges das Land von Süd-
osten nach Nordwesten durchzieht, und nun bietet sich uns ein reizvoller Anblick
nach dem andern. Gleich östlich von uns bei Buchholz und Altgaarz ein
ganzes Gewirr zierlicher kleiner Seen, einige schmal und langgestreckt, in¬
einander übergehend, zu Sternen zusammenstoßend oder durch Flüßchen ver¬
bunden, andre kreisrund oder eiförmig und für sich liegend, dazwischen Heide
und Wiesen und kleine Ansiedlungen. Die Spiegel der Seen, im Sonnen¬
schein heiter erstrahlend, liegen hier für Flachlandsverhältnisse besonders hoch,
63 Meter über der Ostsee. Ein breiter Wasserarm führt aus diesem Seen¬
knäuel nordwärts nach einer der Hauptzierden des Landes, nach der Müritz,
die nicht nur der größte See Mecklenburgs, sondern Norddeutschlands über¬
haupt ist. Daher auch der Name, der ja soviel heißt wie "Kleines Meer".
Sie nimmt eine Flüche von 133 Quadratkilometern ein bei einer Tiefe von
22 Metern und liegt ebenso hoch wie die vorhin genannten Seen, im Westen von
weiten Fruchtgefilden und freundlichen Orten, im Norden und Osten mehr von
Nadelwäldern, hinter denen wieder kleinere Becken sichtbar werden, und von


Grenzboten IV 1907 26
Luftreisen

folgende seenarme, von Wiesengründen und Sandhügeln, bewaldeten und un-
bewaldeten, ausgefüllte Landschaft ist die östliche Prignitz, die ja schon außer¬
halb der baltischen Seenplatte liegt. Die Bahn von Wusterhausen über Kyritz,
Wuticke und Blumental, an der wir eine Weile entlang fliegen, vereinigt sich
bei Pritzwalk im spitzen Winkel mit der von Neustrelitz über Wittstock
kommenden Linie.

Der Wind ändert sich aufs neue und führt uns mit wiederaufgenommner
früherer Schnelligkeit 600 Meter hoch über die zuletztgcnannte Bahn nahe bei
der ehemaligen, noch jetzt als solchen erkennbaren Feste Wittstock zwischen
Glinze und Dosse kurz vor ihrer Vereinigung nördlich vom Scharfenberg, wo
1636 Bauer die Kaiserlichen und die Sachsen schlug. Unsre Richtung ist
— und bleibt es nun auch für die weitere Fahrt — nach Nordosten, aus
Dänemark wird es also nichts! Unter den zahlreichen kleinern Ortschaften der
Prignitz bemerken wir vortreffliche Beispiele typischer Runddörfer mit einem
einzigen Eingang und dem Dorfplatz in der Mitte, wie Jabel und Krüssow.
Bei einigen scheint durch Brände der ursprüngliche Dorfplan zerstört zu sein;
sie nach dem Brande ebenso eng wieder aufzubauen, wird von den Behörden
mit Recht verboten. So zeigt sich uns zum Beispiel Wilmersdorf östlich
von Pritzwalk zwar als ein neues umfangreiches Runddorf, aber mit mehreren
Zugängen, und in der Mitte auf den alten Hofstellen sehen wir Gärten. Auch
an Langdörfern fehlt es nicht, aber die naheliegende Vermutung, bei den
Runddörfern wendische, bei den Langdörfern deutsche Namen auf der Karte
zu finden, trifft nicht zu: viele Runddörfer tragen deutsche und umgekehrt viele
Langdörfer wendische Namen.

Um neun Uhr sind wir jenseit der vom Oberlauf der Dosse gebildeten
brandenburgischen Grenze über der mecklenburgischen Seenplatte, die als das
vorletzte westliche Glied des Uralisch-baltischen Höhenzuges das Land von Süd-
osten nach Nordwesten durchzieht, und nun bietet sich uns ein reizvoller Anblick
nach dem andern. Gleich östlich von uns bei Buchholz und Altgaarz ein
ganzes Gewirr zierlicher kleiner Seen, einige schmal und langgestreckt, in¬
einander übergehend, zu Sternen zusammenstoßend oder durch Flüßchen ver¬
bunden, andre kreisrund oder eiförmig und für sich liegend, dazwischen Heide
und Wiesen und kleine Ansiedlungen. Die Spiegel der Seen, im Sonnen¬
schein heiter erstrahlend, liegen hier für Flachlandsverhältnisse besonders hoch,
63 Meter über der Ostsee. Ein breiter Wasserarm führt aus diesem Seen¬
knäuel nordwärts nach einer der Hauptzierden des Landes, nach der Müritz,
die nicht nur der größte See Mecklenburgs, sondern Norddeutschlands über¬
haupt ist. Daher auch der Name, der ja soviel heißt wie „Kleines Meer".
Sie nimmt eine Flüche von 133 Quadratkilometern ein bei einer Tiefe von
22 Metern und liegt ebenso hoch wie die vorhin genannten Seen, im Westen von
weiten Fruchtgefilden und freundlichen Orten, im Norden und Osten mehr von
Nadelwäldern, hinter denen wieder kleinere Becken sichtbar werden, und von


Grenzboten IV 1907 26
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[0205] Luftreisen folgende seenarme, von Wiesengründen und Sandhügeln, bewaldeten und un- bewaldeten, ausgefüllte Landschaft ist die östliche Prignitz, die ja schon außer¬ halb der baltischen Seenplatte liegt. Die Bahn von Wusterhausen über Kyritz, Wuticke und Blumental, an der wir eine Weile entlang fliegen, vereinigt sich bei Pritzwalk im spitzen Winkel mit der von Neustrelitz über Wittstock kommenden Linie. Der Wind ändert sich aufs neue und führt uns mit wiederaufgenommner früherer Schnelligkeit 600 Meter hoch über die zuletztgcnannte Bahn nahe bei der ehemaligen, noch jetzt als solchen erkennbaren Feste Wittstock zwischen Glinze und Dosse kurz vor ihrer Vereinigung nördlich vom Scharfenberg, wo 1636 Bauer die Kaiserlichen und die Sachsen schlug. Unsre Richtung ist — und bleibt es nun auch für die weitere Fahrt — nach Nordosten, aus Dänemark wird es also nichts! Unter den zahlreichen kleinern Ortschaften der Prignitz bemerken wir vortreffliche Beispiele typischer Runddörfer mit einem einzigen Eingang und dem Dorfplatz in der Mitte, wie Jabel und Krüssow. Bei einigen scheint durch Brände der ursprüngliche Dorfplan zerstört zu sein; sie nach dem Brande ebenso eng wieder aufzubauen, wird von den Behörden mit Recht verboten. So zeigt sich uns zum Beispiel Wilmersdorf östlich von Pritzwalk zwar als ein neues umfangreiches Runddorf, aber mit mehreren Zugängen, und in der Mitte auf den alten Hofstellen sehen wir Gärten. Auch an Langdörfern fehlt es nicht, aber die naheliegende Vermutung, bei den Runddörfern wendische, bei den Langdörfern deutsche Namen auf der Karte zu finden, trifft nicht zu: viele Runddörfer tragen deutsche und umgekehrt viele Langdörfer wendische Namen. Um neun Uhr sind wir jenseit der vom Oberlauf der Dosse gebildeten brandenburgischen Grenze über der mecklenburgischen Seenplatte, die als das vorletzte westliche Glied des Uralisch-baltischen Höhenzuges das Land von Süd- osten nach Nordwesten durchzieht, und nun bietet sich uns ein reizvoller Anblick nach dem andern. Gleich östlich von uns bei Buchholz und Altgaarz ein ganzes Gewirr zierlicher kleiner Seen, einige schmal und langgestreckt, in¬ einander übergehend, zu Sternen zusammenstoßend oder durch Flüßchen ver¬ bunden, andre kreisrund oder eiförmig und für sich liegend, dazwischen Heide und Wiesen und kleine Ansiedlungen. Die Spiegel der Seen, im Sonnen¬ schein heiter erstrahlend, liegen hier für Flachlandsverhältnisse besonders hoch, 63 Meter über der Ostsee. Ein breiter Wasserarm führt aus diesem Seen¬ knäuel nordwärts nach einer der Hauptzierden des Landes, nach der Müritz, die nicht nur der größte See Mecklenburgs, sondern Norddeutschlands über¬ haupt ist. Daher auch der Name, der ja soviel heißt wie „Kleines Meer". Sie nimmt eine Flüche von 133 Quadratkilometern ein bei einer Tiefe von 22 Metern und liegt ebenso hoch wie die vorhin genannten Seen, im Westen von weiten Fruchtgefilden und freundlichen Orten, im Norden und Osten mehr von Nadelwäldern, hinter denen wieder kleinere Becken sichtbar werden, und von Grenzboten IV 1907 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/205>, abgerufen am 28.09.2024.