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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Luftreisen

saftiggrünen Niederungen umrahmt, über 460 Seen zählt ja Mecklenburg, die,
zusammen ein Fünfundzwanzigstel des ganzen Landes ausmachen. ,

Die bedeutendsten Orte an der Müritz sind Waren im Nordosten und
Röbel im Westen, das jetzt zu unsern Füßen liegt. Ein wunderlicheres Stadt¬
bild hat sich uns kaum je auf einer Luftreise geboten. Stelle dir ein etwas
mißgestaltetes Cello vor, dessen Hals nach der Seite gebogen ist, dann hast
du die Umrisse von Röbel. Von der Spitze des Stiefels, der auf dem durch
einen Weg angedeuteten Fußboden aufgesetzt ist, geht eine breite Straße über
Saitenhalter und Griffbrett entlang bis hinauf zur reichlich gewundnen Schnecke.
Links oben an dieser Hauptstraße liegt auf einem geräumigen spitzwinkligen
Platze eine große Kirche, rechts unten eine kleinere. Die seltsame Gestalt ist
zum Teil durch die umgebenden Gewässer bedingt. Die Bucht, an der Röbel
liegt, heißt der Binnensee. Diese Benennung verrät es deutlich, wie stolz der
Mecklenburger auf sein "Kleines Meer" ist.

Das nördliche Ende der Müritz ist durch Kanüle westwärts mit dem
Kölpin-, dem Fleesen- und dem mecklenburgischen Pläner See und wieder von
diesem aus durch die Elbe mit dem Elbstrom in schiffbare Verbindung gesetzt.
Halb zehn Uhr schweben wir mitten über dem See, er zeigt eine lichtblaue
Färbung, mir an den flachen Rändern, die zum sandigen Strande überleiten,
zartbraune Streifen. Ganz entzückend ist der Rückblick auf Röbel, dessen
Anmut der Lage am Wasser und im Busch uns von hier aus noch mehr auf¬
fällt. Viele Segelboote gleiten über die Wasserfläche, und in flotter Fahrt
durchfurcht sie soeben von Norden nach Süden ein kleiner Dampfer, der
zwischen Waren und Röbel verkehrt. Er braucht anderthalb Stunden dazu,
wir legen, allerdings an einer schmälern Stelle, die Strecke von einem Ufer
zum andern in fünfzehn Minuten zurück und kreuzen östlich von Waren die
Bahn Rostock-Neustrclitz. Immer wieder aber zwingt uns die Schönheit des
überflognen Gebietes und die Kette von Seen, die sich nach Westen zu an¬
schließt, unsre Blicke dorthin zu lenken. In unsrer Fahrtrichtung treffen wir
nur noch kleinere Seen, den Torgelower, den Großen und den Kleinen
Varchentiner See, aber im Nordwesten blitzt wieder ein schimmernder Streifen,
der Malchiner See; seine Umgebung, die vielgepriesne Mecklenburger Schweiz,
bleibt uns leider verborgen.

Schon ist die pommersche Grenze nahe, da liegt unter uus ein schlichtes
Landstädtchen, uns vertraut als der Geburtsort eines der volkstümlichsten
deutschen Schriftsteller, Stavenhagen, wo Fritz Reuters Vater Bürgermeister
und Stadtrichter war. Das alte Schloß dort auf dem Hügel war der Wohnsitz
seines Paten, des unsterblich gewordnen Amtshauptmanns Weber. Auf dem
Kirchenplatz in der Mitte der Stadt begruben noch in Reuters Knabenjahren
die Stemhäger Bürger ihre Toten, nicht weit davon lagen die so köstlich ge¬
schilderten Schulen, die Beckerschaul, die Köster- und die Rektorschaul. Wir
sehen auf die Reuterstadt aus der geringen Maximalhöhe unsrer heutigen


Luftreisen

saftiggrünen Niederungen umrahmt, über 460 Seen zählt ja Mecklenburg, die,
zusammen ein Fünfundzwanzigstel des ganzen Landes ausmachen. ,

Die bedeutendsten Orte an der Müritz sind Waren im Nordosten und
Röbel im Westen, das jetzt zu unsern Füßen liegt. Ein wunderlicheres Stadt¬
bild hat sich uns kaum je auf einer Luftreise geboten. Stelle dir ein etwas
mißgestaltetes Cello vor, dessen Hals nach der Seite gebogen ist, dann hast
du die Umrisse von Röbel. Von der Spitze des Stiefels, der auf dem durch
einen Weg angedeuteten Fußboden aufgesetzt ist, geht eine breite Straße über
Saitenhalter und Griffbrett entlang bis hinauf zur reichlich gewundnen Schnecke.
Links oben an dieser Hauptstraße liegt auf einem geräumigen spitzwinkligen
Platze eine große Kirche, rechts unten eine kleinere. Die seltsame Gestalt ist
zum Teil durch die umgebenden Gewässer bedingt. Die Bucht, an der Röbel
liegt, heißt der Binnensee. Diese Benennung verrät es deutlich, wie stolz der
Mecklenburger auf sein „Kleines Meer" ist.

Das nördliche Ende der Müritz ist durch Kanüle westwärts mit dem
Kölpin-, dem Fleesen- und dem mecklenburgischen Pläner See und wieder von
diesem aus durch die Elbe mit dem Elbstrom in schiffbare Verbindung gesetzt.
Halb zehn Uhr schweben wir mitten über dem See, er zeigt eine lichtblaue
Färbung, mir an den flachen Rändern, die zum sandigen Strande überleiten,
zartbraune Streifen. Ganz entzückend ist der Rückblick auf Röbel, dessen
Anmut der Lage am Wasser und im Busch uns von hier aus noch mehr auf¬
fällt. Viele Segelboote gleiten über die Wasserfläche, und in flotter Fahrt
durchfurcht sie soeben von Norden nach Süden ein kleiner Dampfer, der
zwischen Waren und Röbel verkehrt. Er braucht anderthalb Stunden dazu,
wir legen, allerdings an einer schmälern Stelle, die Strecke von einem Ufer
zum andern in fünfzehn Minuten zurück und kreuzen östlich von Waren die
Bahn Rostock-Neustrclitz. Immer wieder aber zwingt uns die Schönheit des
überflognen Gebietes und die Kette von Seen, die sich nach Westen zu an¬
schließt, unsre Blicke dorthin zu lenken. In unsrer Fahrtrichtung treffen wir
nur noch kleinere Seen, den Torgelower, den Großen und den Kleinen
Varchentiner See, aber im Nordwesten blitzt wieder ein schimmernder Streifen,
der Malchiner See; seine Umgebung, die vielgepriesne Mecklenburger Schweiz,
bleibt uns leider verborgen.

Schon ist die pommersche Grenze nahe, da liegt unter uus ein schlichtes
Landstädtchen, uns vertraut als der Geburtsort eines der volkstümlichsten
deutschen Schriftsteller, Stavenhagen, wo Fritz Reuters Vater Bürgermeister
und Stadtrichter war. Das alte Schloß dort auf dem Hügel war der Wohnsitz
seines Paten, des unsterblich gewordnen Amtshauptmanns Weber. Auf dem
Kirchenplatz in der Mitte der Stadt begruben noch in Reuters Knabenjahren
die Stemhäger Bürger ihre Toten, nicht weit davon lagen die so köstlich ge¬
schilderten Schulen, die Beckerschaul, die Köster- und die Rektorschaul. Wir
sehen auf die Reuterstadt aus der geringen Maximalhöhe unsrer heutigen


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[0206] Luftreisen saftiggrünen Niederungen umrahmt, über 460 Seen zählt ja Mecklenburg, die, zusammen ein Fünfundzwanzigstel des ganzen Landes ausmachen. , Die bedeutendsten Orte an der Müritz sind Waren im Nordosten und Röbel im Westen, das jetzt zu unsern Füßen liegt. Ein wunderlicheres Stadt¬ bild hat sich uns kaum je auf einer Luftreise geboten. Stelle dir ein etwas mißgestaltetes Cello vor, dessen Hals nach der Seite gebogen ist, dann hast du die Umrisse von Röbel. Von der Spitze des Stiefels, der auf dem durch einen Weg angedeuteten Fußboden aufgesetzt ist, geht eine breite Straße über Saitenhalter und Griffbrett entlang bis hinauf zur reichlich gewundnen Schnecke. Links oben an dieser Hauptstraße liegt auf einem geräumigen spitzwinkligen Platze eine große Kirche, rechts unten eine kleinere. Die seltsame Gestalt ist zum Teil durch die umgebenden Gewässer bedingt. Die Bucht, an der Röbel liegt, heißt der Binnensee. Diese Benennung verrät es deutlich, wie stolz der Mecklenburger auf sein „Kleines Meer" ist. Das nördliche Ende der Müritz ist durch Kanüle westwärts mit dem Kölpin-, dem Fleesen- und dem mecklenburgischen Pläner See und wieder von diesem aus durch die Elbe mit dem Elbstrom in schiffbare Verbindung gesetzt. Halb zehn Uhr schweben wir mitten über dem See, er zeigt eine lichtblaue Färbung, mir an den flachen Rändern, die zum sandigen Strande überleiten, zartbraune Streifen. Ganz entzückend ist der Rückblick auf Röbel, dessen Anmut der Lage am Wasser und im Busch uns von hier aus noch mehr auf¬ fällt. Viele Segelboote gleiten über die Wasserfläche, und in flotter Fahrt durchfurcht sie soeben von Norden nach Süden ein kleiner Dampfer, der zwischen Waren und Röbel verkehrt. Er braucht anderthalb Stunden dazu, wir legen, allerdings an einer schmälern Stelle, die Strecke von einem Ufer zum andern in fünfzehn Minuten zurück und kreuzen östlich von Waren die Bahn Rostock-Neustrclitz. Immer wieder aber zwingt uns die Schönheit des überflognen Gebietes und die Kette von Seen, die sich nach Westen zu an¬ schließt, unsre Blicke dorthin zu lenken. In unsrer Fahrtrichtung treffen wir nur noch kleinere Seen, den Torgelower, den Großen und den Kleinen Varchentiner See, aber im Nordwesten blitzt wieder ein schimmernder Streifen, der Malchiner See; seine Umgebung, die vielgepriesne Mecklenburger Schweiz, bleibt uns leider verborgen. Schon ist die pommersche Grenze nahe, da liegt unter uus ein schlichtes Landstädtchen, uns vertraut als der Geburtsort eines der volkstümlichsten deutschen Schriftsteller, Stavenhagen, wo Fritz Reuters Vater Bürgermeister und Stadtrichter war. Das alte Schloß dort auf dem Hügel war der Wohnsitz seines Paten, des unsterblich gewordnen Amtshauptmanns Weber. Auf dem Kirchenplatz in der Mitte der Stadt begruben noch in Reuters Knabenjahren die Stemhäger Bürger ihre Toten, nicht weit davon lagen die so köstlich ge¬ schilderten Schulen, die Beckerschaul, die Köster- und die Rektorschaul. Wir sehen auf die Reuterstadt aus der geringen Maximalhöhe unsrer heutigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/206>, abgerufen am 23.07.2024.