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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Luftreisen

von Störchen bevölkern ihn. Auf zwei Scmdschollen erbaut, liegen mitten
darin westlich von der kanalartig regulierten Dosse Sieversdorf, östlich Dreetz,
ihre ungeheuern Feldmarken sind mit Erfolg erst von Friedrich dem Großen
entwässert worden, während früher das Vieh dort im Sumpfe stecken blieb;
floß doch die Dosse einst, wie jetzt noch die Spree im Spreewald, in zahllosen
Armen durch die Niederung.

Wo die Berlin-Hamburger Bahn über den Fluß geführt ist, liegt Neu¬
stadt a. D., bekannt durch den Premierminister Friedrichs des Ersten, Eberhard
von Danckelmann. der hier Amtshanptmann war und auch später wieder bis
zu seiner Verhaftung in der ihm liebgewordnen Stadt zurückgezogen lebte.
Südlich davou, zwei Landgütern gleichend, erscheinen das Landgestüt Lindenciu
und das Friedrich-Wilhelm-Gestüt. Eine 20 Kilometer lange, flußartige Seen¬
folge beginnt nördlich von Wusterhausen, deren mittlerer Teil nach dem Dorfe
Bantikow benannt ist.

Fünf Uhr morgens schweben wir über Brunn östlich von der Dosse. An
Ballast haben wir seit unsrer Abfahrt erst einen halben Sack ausgegeben, so
tragfähig hat sich in der schwülen Witterung die über der Erde lagernde schwere
Dunstschicht erwiesen, auf der wir schwimmen. Nun wird bald die Sonne das
ihrige tun, uns in leichtere Luft zu bringen. Damit eröffnet sich uns eine
glänzende Aussicht für die Dauer unsrer Fahrt, und die Windrichtung geht
direkt nach Dänemark, nach Kopenhagen, wo zurzeit gerade zwei Kinder des
Führers weilen! Es ist ja aber auch seine erste Jubiläumsfahrt, die dreizehnte,
denn 13 ist die Afranerzcchl: 13 Mitglieder zählt das Kollegium, je 13 Alumnen
bilden eine Stubengemeinschaft, an 13 Tischen werden sie gespeist, und "Frei¬
heit 13" ist die Hausnummer der Schule.

Aber es harren unser heute noch weitere Enttäuschungen. Solche Galopp¬
sprünge, auch der Gedanken, müssen durch eine Volte gesühnt werden, das
scheint nicht nur beim Trabrennen, sondern auch beim Ballonfahren Gesetz zu
sein. Nach einer Stunde stehn wir immer noch über Brunn und seinem Gute,
wir sind wohl in ein Teiltief geraten, das uns nicht fortläßt. Gegen sechs
Uhr regt sich der Wind wieder ein wenig, aber er führt uns nicht mehr nach
Norden, sondern läßt uns, zunächst in nordnordöstlicher Richtung, mit un¬
glaublicher Langsamkeit eine große Schleife nach rechts beschreiben über
Tramnitz, den Blankenberger Forst, Walsleben, Dessow zurück nach Brunn,
das wir zweieinhalb Stunden früher von Süden her erreicht hatten, dann gehn
wir halb acht Uhr westlich davon über die Dosse und mit etwas gesteigerter
Geschwindigkeit über Bantikow und den See, dem an dieser Stelle ein Jnselchen
entsteigt mit hübschen Anlagen, einer sahnengeschmückten Gastwirtschaft, dem
"Fischerhaus", und einigen Badezellen.

Die alte Tuchmacher- und Brauerstadt Kyritz, die ihr Stadtrecht und ihr
bekanntes Wappen mit den drei Lilien im dreizehnten Jahrhundert von den
Edlen Herren von Plotho erhalten hat, bleibt links von uns liegen. Die nun


Luftreisen

von Störchen bevölkern ihn. Auf zwei Scmdschollen erbaut, liegen mitten
darin westlich von der kanalartig regulierten Dosse Sieversdorf, östlich Dreetz,
ihre ungeheuern Feldmarken sind mit Erfolg erst von Friedrich dem Großen
entwässert worden, während früher das Vieh dort im Sumpfe stecken blieb;
floß doch die Dosse einst, wie jetzt noch die Spree im Spreewald, in zahllosen
Armen durch die Niederung.

Wo die Berlin-Hamburger Bahn über den Fluß geführt ist, liegt Neu¬
stadt a. D., bekannt durch den Premierminister Friedrichs des Ersten, Eberhard
von Danckelmann. der hier Amtshanptmann war und auch später wieder bis
zu seiner Verhaftung in der ihm liebgewordnen Stadt zurückgezogen lebte.
Südlich davou, zwei Landgütern gleichend, erscheinen das Landgestüt Lindenciu
und das Friedrich-Wilhelm-Gestüt. Eine 20 Kilometer lange, flußartige Seen¬
folge beginnt nördlich von Wusterhausen, deren mittlerer Teil nach dem Dorfe
Bantikow benannt ist.

Fünf Uhr morgens schweben wir über Brunn östlich von der Dosse. An
Ballast haben wir seit unsrer Abfahrt erst einen halben Sack ausgegeben, so
tragfähig hat sich in der schwülen Witterung die über der Erde lagernde schwere
Dunstschicht erwiesen, auf der wir schwimmen. Nun wird bald die Sonne das
ihrige tun, uns in leichtere Luft zu bringen. Damit eröffnet sich uns eine
glänzende Aussicht für die Dauer unsrer Fahrt, und die Windrichtung geht
direkt nach Dänemark, nach Kopenhagen, wo zurzeit gerade zwei Kinder des
Führers weilen! Es ist ja aber auch seine erste Jubiläumsfahrt, die dreizehnte,
denn 13 ist die Afranerzcchl: 13 Mitglieder zählt das Kollegium, je 13 Alumnen
bilden eine Stubengemeinschaft, an 13 Tischen werden sie gespeist, und „Frei¬
heit 13" ist die Hausnummer der Schule.

Aber es harren unser heute noch weitere Enttäuschungen. Solche Galopp¬
sprünge, auch der Gedanken, müssen durch eine Volte gesühnt werden, das
scheint nicht nur beim Trabrennen, sondern auch beim Ballonfahren Gesetz zu
sein. Nach einer Stunde stehn wir immer noch über Brunn und seinem Gute,
wir sind wohl in ein Teiltief geraten, das uns nicht fortläßt. Gegen sechs
Uhr regt sich der Wind wieder ein wenig, aber er führt uns nicht mehr nach
Norden, sondern läßt uns, zunächst in nordnordöstlicher Richtung, mit un¬
glaublicher Langsamkeit eine große Schleife nach rechts beschreiben über
Tramnitz, den Blankenberger Forst, Walsleben, Dessow zurück nach Brunn,
das wir zweieinhalb Stunden früher von Süden her erreicht hatten, dann gehn
wir halb acht Uhr westlich davon über die Dosse und mit etwas gesteigerter
Geschwindigkeit über Bantikow und den See, dem an dieser Stelle ein Jnselchen
entsteigt mit hübschen Anlagen, einer sahnengeschmückten Gastwirtschaft, dem
„Fischerhaus", und einigen Badezellen.

Die alte Tuchmacher- und Brauerstadt Kyritz, die ihr Stadtrecht und ihr
bekanntes Wappen mit den drei Lilien im dreizehnten Jahrhundert von den
Edlen Herren von Plotho erhalten hat, bleibt links von uns liegen. Die nun


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/204>, abgerufen am 26.06.2024.