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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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England und Indien

zunächst auf die vou außen drohende Gefahr bezöge, so seien doch auch die
möglichen innern Gefahren dabei nicht unberücksichtigt geblieben. Hierzu seien haupt¬
sächlich zu rechnen: die Vermehrung der Artillerie, ihre Ausrüstung mit den neuen
Geschützen, die Reorganisation derMuuitionskolounen, die Anhäufung eines großen
Neservebestands an Munition für Artillerie und Infanterie sowie an Gewehren, die
Erhöhung des Standes an britischen Offizieren in den Nativeregimentern usw.

In ihrer Nummer vom 15. Juni d. I. gibt das genannte Blatt seiner
Sorge für Indien erneuten Ausdruck im Anschluß an eine Rede, die der Staats¬
sekretär für Indien Mr. John Morley im Parlament gehalten hatte:

"Zweifellos fordert die Lage die sorgfältigste Beobachtung, und die Militär¬
behörden in Simla (dem Armeehauptquartier) sind sich durchaus darüber klar,
daß sich wahrscheinlich gewisse Schwierigkeiten einstellen werden. Die Agenten
der Revolution sind durch die gegen einige ihrer Führer unternommnen Schritte
keineswegs eingeschüchtert; sichern Nachrichten zufolge ist vielmehr ihre Ge¬
schäftigkeit unvermindert und ihre lügenhafte Propaganda tatkräftiger als je
zuvor. Besonders lassen es sich die Nevolutionsschreier angelegen sein, an der
Treue unsrer eingebornen Truppen zu rütteln, indem sie durch eine organisierte
und weitverbreitete Tätigkeit gewissenloser und unkluger Emissäre den Samen
des Hasses in sie einzustreuen suchen...."

An einer andern Stelle desselben Aufsatzes heißt es, sehr charakteristisch
für die deutschfresserische Tendenz dieses Journals:

"Wir bemerken, daß die deutschen militärischen Blätter ihre Aufmerksamkeit
auf diese Verhältnisse richten, und haben den Eindruck, daß sie eine geheime
Befriedigung über die Gefahren empfinden, die uns angeblich bedrohen."

Am 13. Juli aber weiß das Blatt selbst noch ernster als bisher über diese
nur "angeblich drohenden Gefahren" zu sprechen.

Nachdem daran erinnert worden ist. wie unerwartet im Frühjahr 1857 der
große Sepohaufstand ausbrach, der damals des britischen Leuen Gewaltherrschaft
auf das ärgste gefährdete und so furchtbare Opfer an Blut und Geld forderte,
bis -- allein infolge der Uneinigkeit der indischen Stämme und Fürsten -- die
Tyrannei des verhaßten Christenvolks über die Millionen Andersgläubiger wieder¬
hergestellt war, weist die ^lo^ n,mal Xav? O-^eÄs warnend darauf hin, daß
die Engländer auch damals die ersten Sturmauzeichen unbeachtet gelassen
hätten. "Die Ereignisse zu Dum-Dum, Varhampore und Barrackhore im Januar
und Februar hatten schon zu strengen Maßnahmen und zur Auflösung des
19. Nativeregiments geführt, aber weder dieses noch die geheimnisvolle Ver¬
breitung der Chupatties, das hinterlistige Anfachen des Fanatismus durch Ver¬
breitung der Mär von den gefetteten Patronen, noch die durch die tolle Behauptung,
man wolle die Eingebornen gewaltsam zum Christentum bekehre", hervorgerufne
Gärung, selbst die direkte Anreizung zu Gewalttätigkeiten -- alles war damals
nicht imstande, uns aus unsrer optimistischen Auffassung der Lage herauszu¬
reißen. Unsre gewaltsame Besitznahme von Oudh, die wachsende Unzufriedenheit


Grenzboten IV 1907 2
England und Indien

zunächst auf die vou außen drohende Gefahr bezöge, so seien doch auch die
möglichen innern Gefahren dabei nicht unberücksichtigt geblieben. Hierzu seien haupt¬
sächlich zu rechnen: die Vermehrung der Artillerie, ihre Ausrüstung mit den neuen
Geschützen, die Reorganisation derMuuitionskolounen, die Anhäufung eines großen
Neservebestands an Munition für Artillerie und Infanterie sowie an Gewehren, die
Erhöhung des Standes an britischen Offizieren in den Nativeregimentern usw.

In ihrer Nummer vom 15. Juni d. I. gibt das genannte Blatt seiner
Sorge für Indien erneuten Ausdruck im Anschluß an eine Rede, die der Staats¬
sekretär für Indien Mr. John Morley im Parlament gehalten hatte:

„Zweifellos fordert die Lage die sorgfältigste Beobachtung, und die Militär¬
behörden in Simla (dem Armeehauptquartier) sind sich durchaus darüber klar,
daß sich wahrscheinlich gewisse Schwierigkeiten einstellen werden. Die Agenten
der Revolution sind durch die gegen einige ihrer Führer unternommnen Schritte
keineswegs eingeschüchtert; sichern Nachrichten zufolge ist vielmehr ihre Ge¬
schäftigkeit unvermindert und ihre lügenhafte Propaganda tatkräftiger als je
zuvor. Besonders lassen es sich die Nevolutionsschreier angelegen sein, an der
Treue unsrer eingebornen Truppen zu rütteln, indem sie durch eine organisierte
und weitverbreitete Tätigkeit gewissenloser und unkluger Emissäre den Samen
des Hasses in sie einzustreuen suchen...."

An einer andern Stelle desselben Aufsatzes heißt es, sehr charakteristisch
für die deutschfresserische Tendenz dieses Journals:

„Wir bemerken, daß die deutschen militärischen Blätter ihre Aufmerksamkeit
auf diese Verhältnisse richten, und haben den Eindruck, daß sie eine geheime
Befriedigung über die Gefahren empfinden, die uns angeblich bedrohen."

Am 13. Juli aber weiß das Blatt selbst noch ernster als bisher über diese
nur „angeblich drohenden Gefahren" zu sprechen.

Nachdem daran erinnert worden ist. wie unerwartet im Frühjahr 1857 der
große Sepohaufstand ausbrach, der damals des britischen Leuen Gewaltherrschaft
auf das ärgste gefährdete und so furchtbare Opfer an Blut und Geld forderte,
bis — allein infolge der Uneinigkeit der indischen Stämme und Fürsten — die
Tyrannei des verhaßten Christenvolks über die Millionen Andersgläubiger wieder¬
hergestellt war, weist die ^lo^ n,mal Xav? O-^eÄs warnend darauf hin, daß
die Engländer auch damals die ersten Sturmauzeichen unbeachtet gelassen
hätten. „Die Ereignisse zu Dum-Dum, Varhampore und Barrackhore im Januar
und Februar hatten schon zu strengen Maßnahmen und zur Auflösung des
19. Nativeregiments geführt, aber weder dieses noch die geheimnisvolle Ver¬
breitung der Chupatties, das hinterlistige Anfachen des Fanatismus durch Ver¬
breitung der Mär von den gefetteten Patronen, noch die durch die tolle Behauptung,
man wolle die Eingebornen gewaltsam zum Christentum bekehre», hervorgerufne
Gärung, selbst die direkte Anreizung zu Gewalttätigkeiten — alles war damals
nicht imstande, uns aus unsrer optimistischen Auffassung der Lage herauszu¬
reißen. Unsre gewaltsame Besitznahme von Oudh, die wachsende Unzufriedenheit


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[0017] England und Indien zunächst auf die vou außen drohende Gefahr bezöge, so seien doch auch die möglichen innern Gefahren dabei nicht unberücksichtigt geblieben. Hierzu seien haupt¬ sächlich zu rechnen: die Vermehrung der Artillerie, ihre Ausrüstung mit den neuen Geschützen, die Reorganisation derMuuitionskolounen, die Anhäufung eines großen Neservebestands an Munition für Artillerie und Infanterie sowie an Gewehren, die Erhöhung des Standes an britischen Offizieren in den Nativeregimentern usw. In ihrer Nummer vom 15. Juni d. I. gibt das genannte Blatt seiner Sorge für Indien erneuten Ausdruck im Anschluß an eine Rede, die der Staats¬ sekretär für Indien Mr. John Morley im Parlament gehalten hatte: „Zweifellos fordert die Lage die sorgfältigste Beobachtung, und die Militär¬ behörden in Simla (dem Armeehauptquartier) sind sich durchaus darüber klar, daß sich wahrscheinlich gewisse Schwierigkeiten einstellen werden. Die Agenten der Revolution sind durch die gegen einige ihrer Führer unternommnen Schritte keineswegs eingeschüchtert; sichern Nachrichten zufolge ist vielmehr ihre Ge¬ schäftigkeit unvermindert und ihre lügenhafte Propaganda tatkräftiger als je zuvor. Besonders lassen es sich die Nevolutionsschreier angelegen sein, an der Treue unsrer eingebornen Truppen zu rütteln, indem sie durch eine organisierte und weitverbreitete Tätigkeit gewissenloser und unkluger Emissäre den Samen des Hasses in sie einzustreuen suchen...." An einer andern Stelle desselben Aufsatzes heißt es, sehr charakteristisch für die deutschfresserische Tendenz dieses Journals: „Wir bemerken, daß die deutschen militärischen Blätter ihre Aufmerksamkeit auf diese Verhältnisse richten, und haben den Eindruck, daß sie eine geheime Befriedigung über die Gefahren empfinden, die uns angeblich bedrohen." Am 13. Juli aber weiß das Blatt selbst noch ernster als bisher über diese nur „angeblich drohenden Gefahren" zu sprechen. Nachdem daran erinnert worden ist. wie unerwartet im Frühjahr 1857 der große Sepohaufstand ausbrach, der damals des britischen Leuen Gewaltherrschaft auf das ärgste gefährdete und so furchtbare Opfer an Blut und Geld forderte, bis — allein infolge der Uneinigkeit der indischen Stämme und Fürsten — die Tyrannei des verhaßten Christenvolks über die Millionen Andersgläubiger wieder¬ hergestellt war, weist die ^lo^ n,mal Xav? O-^eÄs warnend darauf hin, daß die Engländer auch damals die ersten Sturmauzeichen unbeachtet gelassen hätten. „Die Ereignisse zu Dum-Dum, Varhampore und Barrackhore im Januar und Februar hatten schon zu strengen Maßnahmen und zur Auflösung des 19. Nativeregiments geführt, aber weder dieses noch die geheimnisvolle Ver¬ breitung der Chupatties, das hinterlistige Anfachen des Fanatismus durch Ver¬ breitung der Mär von den gefetteten Patronen, noch die durch die tolle Behauptung, man wolle die Eingebornen gewaltsam zum Christentum bekehre», hervorgerufne Gärung, selbst die direkte Anreizung zu Gewalttätigkeiten — alles war damals nicht imstande, uns aus unsrer optimistischen Auffassung der Lage herauszu¬ reißen. Unsre gewaltsame Besitznahme von Oudh, die wachsende Unzufriedenheit Grenzboten IV 1907 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/17>, abgerufen am 23.07.2024.