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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Innere Kolonisation in Preußen

Ja es soll vorgekommen sein, daß Ansiedlungslustige, die sich schon bei der
Kommission beworben hatten, zuletzt noch von einem Privatparzellanten für seine
Kolonie gewonnen wurden. Das eigne Interesse des Gutsverwalters geht ohne
Zweifel dahin, möglichst lange auf demselben Gute zu bleiben, sowohl wegen der
Kosten des Umzugs als auch wegen der ungewissen Zukunft, der er nach vollendeter
Besiedlung entgegengeht." Die hundert Mark Umzugsentschädigung sind offenbar
kein genügendes Gegengewicht gegen solche Erwägungen, auch noch nicht ein
Paar hundert Mark Prämie, die mancher Verwalter bekommt, der in einem
Jahre mehr Stellen besiedelt hat, als im Durchschnitt besetzt zu werden pflegen.
Außerdem beschweren sich die Gutsverwalter darüber, daß sie von der Behörde
schroff und mit Mißtrauen behandelt und schikaniert würden, daß ihnen jede
Selbständigkeit und damit die Freude an ihrer Tätigkeit genommen werde.
Namentlich bereitet es dem erfahrnen Landwirt wenig Vergnügen, wenn er von
einem jungen Assessor inspiziert wird. Der Verfasser schlägt darum vor, erstens,
daß zu Inspektionen nur landwirtschaftlich vorgebildete Beamte, mögen es
immerhin Assessoren sein, verwandt werden, zum andern, daß man den Gehalt
der Gutsverwalter erhöhe und ihnen nach einer Probezeit dauernde Beschäftigung
und Pensionsberechtigung gewähre.

Im Gegensatz zu Stumpfe, der in seinem Buche "Polenfrage und An-
siedlungskommission" an dieser scharfe Kritik geübt hat, befleißigt sich Belgard,
wie er ausdrücklich bemerkt, der Zurückhaltung in der Kritik und beschränkt sich,
vom Schlußkapitel abgesehen, auf die objektive Darstellung. Da die Fehler, die
zu rügen wären, teils der Organisation der Behörde, teils ihrem politischen Zweck
zuzuschreiben seien, so sei es schwierig, Besferungsvorschläge zu machen. Im
ganzen angesehen, müsse das Werk als gelungen bezeichnet werden. "Wenn es
auch den tüchtigen und anspruchlosen Pommern in ihren heimischen Kolonien
im allgemeinen ganz gut geht, so hat man doch in den meisten Staatskolonien,
soweit sie nicht mit russischen Nückwcmdrern besetzt sind, die Empfindung, daß
hier weit größerer Wohlstand zu Hause ist, und dieser Eindruck wird nicht bloß
durch die schönen Gehöfte hervorgerufen." Was die Zukunft betrifft, so hält
der Verfasser die drei Wege, die man vorgeschlagen hat: der Ansiedlungskommission
entweder ein Vorkaufsrecht oder ein Vetorecht beim Verkaufen von Landgütern
oder das Enteignungsrecht zu verleihen, für ungangbar. Er schlägt statt dessen
vor, Kaufleute in die Behörde aufzunehmen und diese, oder solche von ihren
Beamten, die kaufmännischen Geist bekunden, mit ähnlichen Vollmachten aus¬
zustatten und ihnen ein ähnliches Einkommen zu gewähren, wie die Angestellten
von Privatinstituten genießen. Jedenfalls sei im Interesse der Ostprovinzen
wie des ganzen Staats zu hoffen, "daß die Ansiedlungskommission ungeachtet
der Schwierigkeiten, mit denen sie zu kämpfen hat, mit weitern Geldmitteln aus¬
gestattet werde, die ihren Fortbestand verbürgen".

Nach Darstellung der polnischen Ansiedlungsbestrebungen schreibt Belgard:
"Überblickt man diese Zahlen, so wird man finden, daß diese Genossenschaften


Innere Kolonisation in Preußen

Ja es soll vorgekommen sein, daß Ansiedlungslustige, die sich schon bei der
Kommission beworben hatten, zuletzt noch von einem Privatparzellanten für seine
Kolonie gewonnen wurden. Das eigne Interesse des Gutsverwalters geht ohne
Zweifel dahin, möglichst lange auf demselben Gute zu bleiben, sowohl wegen der
Kosten des Umzugs als auch wegen der ungewissen Zukunft, der er nach vollendeter
Besiedlung entgegengeht." Die hundert Mark Umzugsentschädigung sind offenbar
kein genügendes Gegengewicht gegen solche Erwägungen, auch noch nicht ein
Paar hundert Mark Prämie, die mancher Verwalter bekommt, der in einem
Jahre mehr Stellen besiedelt hat, als im Durchschnitt besetzt zu werden pflegen.
Außerdem beschweren sich die Gutsverwalter darüber, daß sie von der Behörde
schroff und mit Mißtrauen behandelt und schikaniert würden, daß ihnen jede
Selbständigkeit und damit die Freude an ihrer Tätigkeit genommen werde.
Namentlich bereitet es dem erfahrnen Landwirt wenig Vergnügen, wenn er von
einem jungen Assessor inspiziert wird. Der Verfasser schlägt darum vor, erstens,
daß zu Inspektionen nur landwirtschaftlich vorgebildete Beamte, mögen es
immerhin Assessoren sein, verwandt werden, zum andern, daß man den Gehalt
der Gutsverwalter erhöhe und ihnen nach einer Probezeit dauernde Beschäftigung
und Pensionsberechtigung gewähre.

Im Gegensatz zu Stumpfe, der in seinem Buche „Polenfrage und An-
siedlungskommission" an dieser scharfe Kritik geübt hat, befleißigt sich Belgard,
wie er ausdrücklich bemerkt, der Zurückhaltung in der Kritik und beschränkt sich,
vom Schlußkapitel abgesehen, auf die objektive Darstellung. Da die Fehler, die
zu rügen wären, teils der Organisation der Behörde, teils ihrem politischen Zweck
zuzuschreiben seien, so sei es schwierig, Besferungsvorschläge zu machen. Im
ganzen angesehen, müsse das Werk als gelungen bezeichnet werden. „Wenn es
auch den tüchtigen und anspruchlosen Pommern in ihren heimischen Kolonien
im allgemeinen ganz gut geht, so hat man doch in den meisten Staatskolonien,
soweit sie nicht mit russischen Nückwcmdrern besetzt sind, die Empfindung, daß
hier weit größerer Wohlstand zu Hause ist, und dieser Eindruck wird nicht bloß
durch die schönen Gehöfte hervorgerufen." Was die Zukunft betrifft, so hält
der Verfasser die drei Wege, die man vorgeschlagen hat: der Ansiedlungskommission
entweder ein Vorkaufsrecht oder ein Vetorecht beim Verkaufen von Landgütern
oder das Enteignungsrecht zu verleihen, für ungangbar. Er schlägt statt dessen
vor, Kaufleute in die Behörde aufzunehmen und diese, oder solche von ihren
Beamten, die kaufmännischen Geist bekunden, mit ähnlichen Vollmachten aus¬
zustatten und ihnen ein ähnliches Einkommen zu gewähren, wie die Angestellten
von Privatinstituten genießen. Jedenfalls sei im Interesse der Ostprovinzen
wie des ganzen Staats zu hoffen, „daß die Ansiedlungskommission ungeachtet
der Schwierigkeiten, mit denen sie zu kämpfen hat, mit weitern Geldmitteln aus¬
gestattet werde, die ihren Fortbestand verbürgen".

Nach Darstellung der polnischen Ansiedlungsbestrebungen schreibt Belgard:
„Überblickt man diese Zahlen, so wird man finden, daß diese Genossenschaften


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[0147] Innere Kolonisation in Preußen Ja es soll vorgekommen sein, daß Ansiedlungslustige, die sich schon bei der Kommission beworben hatten, zuletzt noch von einem Privatparzellanten für seine Kolonie gewonnen wurden. Das eigne Interesse des Gutsverwalters geht ohne Zweifel dahin, möglichst lange auf demselben Gute zu bleiben, sowohl wegen der Kosten des Umzugs als auch wegen der ungewissen Zukunft, der er nach vollendeter Besiedlung entgegengeht." Die hundert Mark Umzugsentschädigung sind offenbar kein genügendes Gegengewicht gegen solche Erwägungen, auch noch nicht ein Paar hundert Mark Prämie, die mancher Verwalter bekommt, der in einem Jahre mehr Stellen besiedelt hat, als im Durchschnitt besetzt zu werden pflegen. Außerdem beschweren sich die Gutsverwalter darüber, daß sie von der Behörde schroff und mit Mißtrauen behandelt und schikaniert würden, daß ihnen jede Selbständigkeit und damit die Freude an ihrer Tätigkeit genommen werde. Namentlich bereitet es dem erfahrnen Landwirt wenig Vergnügen, wenn er von einem jungen Assessor inspiziert wird. Der Verfasser schlägt darum vor, erstens, daß zu Inspektionen nur landwirtschaftlich vorgebildete Beamte, mögen es immerhin Assessoren sein, verwandt werden, zum andern, daß man den Gehalt der Gutsverwalter erhöhe und ihnen nach einer Probezeit dauernde Beschäftigung und Pensionsberechtigung gewähre. Im Gegensatz zu Stumpfe, der in seinem Buche „Polenfrage und An- siedlungskommission" an dieser scharfe Kritik geübt hat, befleißigt sich Belgard, wie er ausdrücklich bemerkt, der Zurückhaltung in der Kritik und beschränkt sich, vom Schlußkapitel abgesehen, auf die objektive Darstellung. Da die Fehler, die zu rügen wären, teils der Organisation der Behörde, teils ihrem politischen Zweck zuzuschreiben seien, so sei es schwierig, Besferungsvorschläge zu machen. Im ganzen angesehen, müsse das Werk als gelungen bezeichnet werden. „Wenn es auch den tüchtigen und anspruchlosen Pommern in ihren heimischen Kolonien im allgemeinen ganz gut geht, so hat man doch in den meisten Staatskolonien, soweit sie nicht mit russischen Nückwcmdrern besetzt sind, die Empfindung, daß hier weit größerer Wohlstand zu Hause ist, und dieser Eindruck wird nicht bloß durch die schönen Gehöfte hervorgerufen." Was die Zukunft betrifft, so hält der Verfasser die drei Wege, die man vorgeschlagen hat: der Ansiedlungskommission entweder ein Vorkaufsrecht oder ein Vetorecht beim Verkaufen von Landgütern oder das Enteignungsrecht zu verleihen, für ungangbar. Er schlägt statt dessen vor, Kaufleute in die Behörde aufzunehmen und diese, oder solche von ihren Beamten, die kaufmännischen Geist bekunden, mit ähnlichen Vollmachten aus¬ zustatten und ihnen ein ähnliches Einkommen zu gewähren, wie die Angestellten von Privatinstituten genießen. Jedenfalls sei im Interesse der Ostprovinzen wie des ganzen Staats zu hoffen, „daß die Ansiedlungskommission ungeachtet der Schwierigkeiten, mit denen sie zu kämpfen hat, mit weitern Geldmitteln aus¬ gestattet werde, die ihren Fortbestand verbürgen". Nach Darstellung der polnischen Ansiedlungsbestrebungen schreibt Belgard: „Überblickt man diese Zahlen, so wird man finden, daß diese Genossenschaften

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/147>, abgerufen am 23.07.2024.