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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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England und Indien

Vereinbarungen und Abkommen sowohl mit Frankreich wie mit dem einst so
verachteten löllov HlonKs^ an der Ostküste Asiens zweifellos eine nicht un¬
wesentliche Besserung erfahren hat, so sind doch in allerletzter Zeit Ereignisse
eingetreten, die John Bulls Gemüt mit neuen schweren Sorgen erfüllen müssen:
erstens, wie schon erwähnt worden ist, Rußlands augenscheinliche Weigerung,
dem gegen Deutschland geplanten Konzert formell beizutreten und sich zu mehr
als einer freundschaftlichen Abmachung zu verpflichten, und zweitens die augen¬
scheinlich wachsende Mißstimmung unter der bisher so friedfertigen und ge¬
duldigen eingebornen Bevölkerung des Landes, die sich auch auf das Native-
heer fortzupflanzen droht, ungeachtet man sich dessen Zuverlässigkeit und Wohl¬
wollen neuerdings durch Erhöhung der baren Gebührnisse, der Stiftung einer
Verdienstmedaille für längere vorwurfsfreie Dienstzeit sowie durch die Erweiterung
der Urlaubserteilung und verschleime andre kleine Mittel zu versichern be¬
müht hat.

Nachdem die ersten, in mehreren größern Städten des Reiches kürzlich
unternommnen Putschversuche und lokalen Unruhen erfolgreich unterdrückt worden
waren, gab sich das offizielle England im Verein mit dem größten Teil der
heimischen Presse den Anschein, als ob diese Bewegungen rein örtlicher Natur
und ohne Zusammenhang miteinander gewesen seien, und als ob sich die Re¬
gierung für die fernere Treue des Landes und besonders des Heeres unbedingt
verbürgen könnte. Erst neuerdings wird mehr oder minder versteckt angedeutet,
gemutmaßt und zugegeben, daß die Sachlage doch nicht so rosig angesehen
werden dürfe, und daß auch die Melos ^.rin^ nicht unter allen Umständen als
verläßlich zu betrachten sei, da in ihr die Zahl der Mißvergnügten über den
strengern Dienstbetrieb und die territoriale Reform, durch die viele Soldaten
von ihren Familien zu weit entfernt würden, fortwährend wachse, während zu¬
gleich von außen her das Gift politischer und religiöser Verhetzung in ihre
Reihen hineingetragen würde -- dieselbe Mtivo ^rin^, auf die man in Eng¬
land so oft triumphierend als das zuverlässigste und schwerwiegendste Werkzeug
zur Sicherung Indiens hingewiesen hatte und zugleich als einen strahlenden
Beweis des britischen Kolonisationsvermögens im Verein mit der bewunderungs¬
würdigen Leistungsfähigkeit des britischen Offiziermaterials, wodurch man sich aus
den Eroberten selbst eine so starke, schneidige Waffe für die Erhaltung des er¬
oberten Besitzes zu schaffen vermocht hätte. Und nun? ^.las, xoor ^orrilc!

In folgendem seien einige Betrachtungen und Erwägungen möglichst wort¬
getreu wiedergegeben, die einigen Nummern der bekannten ^rin^ -mal Mo^
(Z^leto aus den letzten Monaten entnommen sind, und die uns einen inter¬
essanten Einblick in das Denken und die Befürchtungen der militärischen Kreise
Englands gewähren. Denn wie die ?rg,nos NilitMo im großen und ganzen
als ein Organ des französischen Offizierkorps, und zwar seiner besten aktiven
und inaktiven Bestandteile, insbesondre auch der Generalstabskreise, an¬
gesehen werden kann (wobei bezeichnend ist, daß sich dieses Blatt als eins der


England und Indien

Vereinbarungen und Abkommen sowohl mit Frankreich wie mit dem einst so
verachteten löllov HlonKs^ an der Ostküste Asiens zweifellos eine nicht un¬
wesentliche Besserung erfahren hat, so sind doch in allerletzter Zeit Ereignisse
eingetreten, die John Bulls Gemüt mit neuen schweren Sorgen erfüllen müssen:
erstens, wie schon erwähnt worden ist, Rußlands augenscheinliche Weigerung,
dem gegen Deutschland geplanten Konzert formell beizutreten und sich zu mehr
als einer freundschaftlichen Abmachung zu verpflichten, und zweitens die augen¬
scheinlich wachsende Mißstimmung unter der bisher so friedfertigen und ge¬
duldigen eingebornen Bevölkerung des Landes, die sich auch auf das Native-
heer fortzupflanzen droht, ungeachtet man sich dessen Zuverlässigkeit und Wohl¬
wollen neuerdings durch Erhöhung der baren Gebührnisse, der Stiftung einer
Verdienstmedaille für längere vorwurfsfreie Dienstzeit sowie durch die Erweiterung
der Urlaubserteilung und verschleime andre kleine Mittel zu versichern be¬
müht hat.

Nachdem die ersten, in mehreren größern Städten des Reiches kürzlich
unternommnen Putschversuche und lokalen Unruhen erfolgreich unterdrückt worden
waren, gab sich das offizielle England im Verein mit dem größten Teil der
heimischen Presse den Anschein, als ob diese Bewegungen rein örtlicher Natur
und ohne Zusammenhang miteinander gewesen seien, und als ob sich die Re¬
gierung für die fernere Treue des Landes und besonders des Heeres unbedingt
verbürgen könnte. Erst neuerdings wird mehr oder minder versteckt angedeutet,
gemutmaßt und zugegeben, daß die Sachlage doch nicht so rosig angesehen
werden dürfe, und daß auch die Melos ^.rin^ nicht unter allen Umständen als
verläßlich zu betrachten sei, da in ihr die Zahl der Mißvergnügten über den
strengern Dienstbetrieb und die territoriale Reform, durch die viele Soldaten
von ihren Familien zu weit entfernt würden, fortwährend wachse, während zu¬
gleich von außen her das Gift politischer und religiöser Verhetzung in ihre
Reihen hineingetragen würde — dieselbe Mtivo ^rin^, auf die man in Eng¬
land so oft triumphierend als das zuverlässigste und schwerwiegendste Werkzeug
zur Sicherung Indiens hingewiesen hatte und zugleich als einen strahlenden
Beweis des britischen Kolonisationsvermögens im Verein mit der bewunderungs¬
würdigen Leistungsfähigkeit des britischen Offiziermaterials, wodurch man sich aus
den Eroberten selbst eine so starke, schneidige Waffe für die Erhaltung des er¬
oberten Besitzes zu schaffen vermocht hätte. Und nun? ^.las, xoor ^orrilc!

In folgendem seien einige Betrachtungen und Erwägungen möglichst wort¬
getreu wiedergegeben, die einigen Nummern der bekannten ^rin^ -mal Mo^
(Z^leto aus den letzten Monaten entnommen sind, und die uns einen inter¬
essanten Einblick in das Denken und die Befürchtungen der militärischen Kreise
Englands gewähren. Denn wie die ?rg,nos NilitMo im großen und ganzen
als ein Organ des französischen Offizierkorps, und zwar seiner besten aktiven
und inaktiven Bestandteile, insbesondre auch der Generalstabskreise, an¬
gesehen werden kann (wobei bezeichnend ist, daß sich dieses Blatt als eins der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/14>, abgerufen am 23.07.2024.