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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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England und Indien

Verwendung im Kriegsfalle verzettelten Truppenteile, deren Getrenntsein eine
bedenkliche Verlangsamung und Erschwerung der Mobilmachung zur Folge
haben müßte, neue organisatorisch und territorial möglichst in sich geschlossene
Divisionen zu formieren und diese an Personal und Material so selbständig zu
machen, daß sie im Falle der Mobilmachung -- wohlgemerkt nur gegen die
Nord- und Nordwestgrenze! -- sofort zur Verwendung gebracht werden können.
Auch sind zu demselben Zweck innerhalb jeder Division die Brigaden so formiert
und mit allen dazu gehörenden Stäben versehen sowie ferner so an den wich¬
tigsten Bahnlinien disloziert worden, daß sie in der kürzesten Frist kriegsbereit
ihren Platz in ihrem zugewiesenen Aufmarschgebiet längs der genannten Grenze
einnehmen können.

Zugleich damit hat Lord Kitchener mit der größten Energie und mit fieber¬
haftem Eifer an der Erhöhung der innern Kriegstüchtigkeit seines Heeres ge¬
arbeitet: überall im Reiche haben eingehende und strenge Besichtigungen den
Wert und die Ausbildung der britischen wie der Melos ^11117 unverkennbar
gesteigert, besonders ist die Schießausbildung der Infanterie wie der Artillerie
sehr gefördert, und Manöver sind in kriegsmäßigerer Anlage und Durchführung,
als je zuvor, nach deutschem Vorbilde abgehalten worden; die Feldartillerie ist,
noch bevor die englische Artillerie im Heimatlande damit bedacht worden war,
mit dem neuen Schnellfeuergcschütz ausgestattet worden, ein großer Reserve-
Vorrat an Artillerie- und Jnfanteriemnnition nach Indien geschafft, das hier
sehr im argen liegende Transportwesen des Heeres wesentlich verbessert und
die Leistungsfähigkeit aller militärischen Fabriken und Institute nach Möglichkeit
erhöht worden, um für die Herstellung und Beschaffung aller Arten von Kriegs¬
material Indien möglichst unabhängig vom Mutterlande zu machen. Schließlich
ließ der 00mmanäör-w-emise' die Grenzbefestigungen -- wohlgemerkt immer nur
die an der Nord- und Nordwestgrenze! -- ausbauen, vermehren und, was ihre
Anlage wie Armierung anlangt, verstärken und legte von Peschawar bis zur
afghanischen Grenze die wichtige strategische Khaibarbcchn an, die augenblicklich
ihrer Vollendung entgegengeht.

Wer sich über die strategische Lage und die Aussichten eines etwaigen
Zusammenstoßes zwischen Großbritannien und Nußland in Asien näher in¬
formieren will, dem sei der 1905 im dritten Heft der Vierteljahrshefte für
Truppenführung und Heereskunde (Generalstabsveröffentlichungen) erschienene
Aufsatz des Generalmajors von Flatow zum Nachlesen empfohlen. Ist seitdem
auch ein zweijähriger Zeitraum ins Land gegangen, und haben sich die Ver¬
hältnisse infolge Lord Kitcheners Tätigkeit zweifellos für den Fall eines
russischen Angriffs für Indien wesentlich verbessert, so können doch die darin,
gemachten Angaben und ausgesprochnen Vermutungen auch heutigentags noch
als zutreffend bezeichnet werden.

Wenn aber auch die allgemeine politische und strategische Lage Gro߬
britanniens hinsichtlich der Sicherung seines indischen Besitzes durch die neuerlichen


England und Indien

Verwendung im Kriegsfalle verzettelten Truppenteile, deren Getrenntsein eine
bedenkliche Verlangsamung und Erschwerung der Mobilmachung zur Folge
haben müßte, neue organisatorisch und territorial möglichst in sich geschlossene
Divisionen zu formieren und diese an Personal und Material so selbständig zu
machen, daß sie im Falle der Mobilmachung — wohlgemerkt nur gegen die
Nord- und Nordwestgrenze! — sofort zur Verwendung gebracht werden können.
Auch sind zu demselben Zweck innerhalb jeder Division die Brigaden so formiert
und mit allen dazu gehörenden Stäben versehen sowie ferner so an den wich¬
tigsten Bahnlinien disloziert worden, daß sie in der kürzesten Frist kriegsbereit
ihren Platz in ihrem zugewiesenen Aufmarschgebiet längs der genannten Grenze
einnehmen können.

Zugleich damit hat Lord Kitchener mit der größten Energie und mit fieber¬
haftem Eifer an der Erhöhung der innern Kriegstüchtigkeit seines Heeres ge¬
arbeitet: überall im Reiche haben eingehende und strenge Besichtigungen den
Wert und die Ausbildung der britischen wie der Melos ^11117 unverkennbar
gesteigert, besonders ist die Schießausbildung der Infanterie wie der Artillerie
sehr gefördert, und Manöver sind in kriegsmäßigerer Anlage und Durchführung,
als je zuvor, nach deutschem Vorbilde abgehalten worden; die Feldartillerie ist,
noch bevor die englische Artillerie im Heimatlande damit bedacht worden war,
mit dem neuen Schnellfeuergcschütz ausgestattet worden, ein großer Reserve-
Vorrat an Artillerie- und Jnfanteriemnnition nach Indien geschafft, das hier
sehr im argen liegende Transportwesen des Heeres wesentlich verbessert und
die Leistungsfähigkeit aller militärischen Fabriken und Institute nach Möglichkeit
erhöht worden, um für die Herstellung und Beschaffung aller Arten von Kriegs¬
material Indien möglichst unabhängig vom Mutterlande zu machen. Schließlich
ließ der 00mmanäör-w-emise' die Grenzbefestigungen — wohlgemerkt immer nur
die an der Nord- und Nordwestgrenze! — ausbauen, vermehren und, was ihre
Anlage wie Armierung anlangt, verstärken und legte von Peschawar bis zur
afghanischen Grenze die wichtige strategische Khaibarbcchn an, die augenblicklich
ihrer Vollendung entgegengeht.

Wer sich über die strategische Lage und die Aussichten eines etwaigen
Zusammenstoßes zwischen Großbritannien und Nußland in Asien näher in¬
formieren will, dem sei der 1905 im dritten Heft der Vierteljahrshefte für
Truppenführung und Heereskunde (Generalstabsveröffentlichungen) erschienene
Aufsatz des Generalmajors von Flatow zum Nachlesen empfohlen. Ist seitdem
auch ein zweijähriger Zeitraum ins Land gegangen, und haben sich die Ver¬
hältnisse infolge Lord Kitcheners Tätigkeit zweifellos für den Fall eines
russischen Angriffs für Indien wesentlich verbessert, so können doch die darin,
gemachten Angaben und ausgesprochnen Vermutungen auch heutigentags noch
als zutreffend bezeichnet werden.

Wenn aber auch die allgemeine politische und strategische Lage Gro߬
britanniens hinsichtlich der Sicherung seines indischen Besitzes durch die neuerlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/13>, abgerufen am 23.07.2024.