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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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England und Indien

sich England seiner größern Sympathie zu erfreuen -- wohl eine Folge des
russischen Unglücks im letzten Kriege.

Nachdem er endlich, wiederholter Einladung Folge leistend, zu Beginn
dieses Jahres Indiens Boden betreten hatte und zwei Monate lang Gegenstand
der größten Ehrungen von seiten der britischen Negierung gewesen war, die es
für ihn an zahlreichen Paraden und Manövern nicht hatte fehlen lassen,
verließ er im März das gastfreie Nachbarland mit einem Dankerlaß, der über¬
floß von Hochachtungs- und Freundschaftsversicherungen gegen den Höchst¬
kommandierenden, den Vizekönig und alle möglichen andern Würdenträger. Ein
dem britischen Herzen gewiß besonders wohltuender Passus des mit den Worten
"Im Namen Gottes" eingeleiteten Schreibens lautete: "Ich habe sie (nämlich
die genannten Spitzen der Zivil- und Militärverwaltung des Landes) als
Freunde von Afghanistan und meiner Person erkannt und kann erklären, daß
ich während meiner kurzen Besuchsreise mehr treue Freunde Afghanistans sowie
meiner eignen Person gefunden habe, als ich in zwanzig Jahren hätte finden
können, wäre ich nicht nach Indien gekommen. So gratuliere ich denn jetzt
der afghanischen Nation und mir selbst, so gute Freunde (zum drittenmal in
drei Sätzen -- wenn das nicht in Kalkutta wie in der Downing Street im¬
poniert!) zu besitzen." Zum Schluß hofft Seine dankbare Hoheit, daß diese
Botschaft durch die Presse "zur Kenntnis der ganzen Welt" gebracht werde.

Wenn man nicht in der Umgebung des Parkes von Se. James selbst so be¬
wandert in der Kunst politischer Doppelzüngigkeit und so durchdrungen von
Talleyrands berühmtem Worte wäre, daß ig. M-vio a oth s, l'norlliriö xour
ävAui8ör 8g, xsusvs, so könnte sich Großbritannien wohl einbilden, auf seinen
westlichen Nachbar in Asien als eine Art von Schild gegen russische Einbruchs¬
gefahr fest rechnen zu können. Aber man darf als sicher annehmen, daß weder
die Leichtgläubigkeit des indischen Kabinetts noch des ImZia, OKvs zu London
so weit geht, anzunehmen, daß sich "die Leuchte der Einigkeit und der Religion"
im kritischen Moment nicht für den der beiden feindlichen Nachbarn entscheiden
werde, der ihr dann am meisten imponieren und auf dessen Seite bei Abwägung
des eignen Vorteils dann die Schale sinken wird. Sogar der Versuch einer
Genehmigung zur Weiterführung der neuen Khaibarbahn (von Peschawar aus)
bis Kabul, die der Emir schon einmal abgelehnt hat, die aber für Indien einen
wesentlichen strategischen Vorteil und einen Vorsprung gegen Rußland bedeuten
würde, dürfte bei dem neuen begeisterten Freunde nur zu einem Fiasko führen
und wird voraussichtlich vom indischen Kabinett um des Prestiges willen gar
nicht wieder unternommen werden.

Einen andern schwerwiegenden Grund des Vertrauens in die Zukunft
Indiens, als es die emphatisch versicherte Freundschaft des Emirs ist, sieht das
Mutterland nicht mit Unrecht in den militärischen Neformmaßnahmen Lord
Kitcheners. Diese gehn hauptsächlich darauf hinaus, an Stelle der bisher über
das ganze Land ohne Berücksichtigung ihrer organischen Verbände und ihrer


England und Indien

sich England seiner größern Sympathie zu erfreuen — wohl eine Folge des
russischen Unglücks im letzten Kriege.

Nachdem er endlich, wiederholter Einladung Folge leistend, zu Beginn
dieses Jahres Indiens Boden betreten hatte und zwei Monate lang Gegenstand
der größten Ehrungen von seiten der britischen Negierung gewesen war, die es
für ihn an zahlreichen Paraden und Manövern nicht hatte fehlen lassen,
verließ er im März das gastfreie Nachbarland mit einem Dankerlaß, der über¬
floß von Hochachtungs- und Freundschaftsversicherungen gegen den Höchst¬
kommandierenden, den Vizekönig und alle möglichen andern Würdenträger. Ein
dem britischen Herzen gewiß besonders wohltuender Passus des mit den Worten
„Im Namen Gottes" eingeleiteten Schreibens lautete: „Ich habe sie (nämlich
die genannten Spitzen der Zivil- und Militärverwaltung des Landes) als
Freunde von Afghanistan und meiner Person erkannt und kann erklären, daß
ich während meiner kurzen Besuchsreise mehr treue Freunde Afghanistans sowie
meiner eignen Person gefunden habe, als ich in zwanzig Jahren hätte finden
können, wäre ich nicht nach Indien gekommen. So gratuliere ich denn jetzt
der afghanischen Nation und mir selbst, so gute Freunde (zum drittenmal in
drei Sätzen — wenn das nicht in Kalkutta wie in der Downing Street im¬
poniert!) zu besitzen." Zum Schluß hofft Seine dankbare Hoheit, daß diese
Botschaft durch die Presse „zur Kenntnis der ganzen Welt" gebracht werde.

Wenn man nicht in der Umgebung des Parkes von Se. James selbst so be¬
wandert in der Kunst politischer Doppelzüngigkeit und so durchdrungen von
Talleyrands berühmtem Worte wäre, daß ig. M-vio a oth s, l'norlliriö xour
ävAui8ör 8g, xsusvs, so könnte sich Großbritannien wohl einbilden, auf seinen
westlichen Nachbar in Asien als eine Art von Schild gegen russische Einbruchs¬
gefahr fest rechnen zu können. Aber man darf als sicher annehmen, daß weder
die Leichtgläubigkeit des indischen Kabinetts noch des ImZia, OKvs zu London
so weit geht, anzunehmen, daß sich „die Leuchte der Einigkeit und der Religion"
im kritischen Moment nicht für den der beiden feindlichen Nachbarn entscheiden
werde, der ihr dann am meisten imponieren und auf dessen Seite bei Abwägung
des eignen Vorteils dann die Schale sinken wird. Sogar der Versuch einer
Genehmigung zur Weiterführung der neuen Khaibarbahn (von Peschawar aus)
bis Kabul, die der Emir schon einmal abgelehnt hat, die aber für Indien einen
wesentlichen strategischen Vorteil und einen Vorsprung gegen Rußland bedeuten
würde, dürfte bei dem neuen begeisterten Freunde nur zu einem Fiasko führen
und wird voraussichtlich vom indischen Kabinett um des Prestiges willen gar
nicht wieder unternommen werden.

Einen andern schwerwiegenden Grund des Vertrauens in die Zukunft
Indiens, als es die emphatisch versicherte Freundschaft des Emirs ist, sieht das
Mutterland nicht mit Unrecht in den militärischen Neformmaßnahmen Lord
Kitcheners. Diese gehn hauptsächlich darauf hinaus, an Stelle der bisher über
das ganze Land ohne Berücksichtigung ihrer organischen Verbände und ihrer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/12>, abgerufen am 23.07.2024.