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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Russische Briefe

Polen und der baltischen Provinzen. Die Bank gehört in den Vereich des
Finanzministeriums. Sie besteht aus der Zentralverwaltung und den Provinzial-
abteilungen. Die Zentrale setzt sich zusammen aus dem Vorstande, dem Ver¬
waltungsrat der Bank und aus der Kanzlei der Verwaltung; die Abteilungen
bestehn aus je einem Vorstande, Beisitzern als Taxatoren und aus weitern
vom Adel gewählten Beisitzern. Die Adelsbank soll sich aus den von ihr er¬
zielten Gewinnen selbst unterhalten. Die nach Deckung der Ausgaben der
Bank übriggebliebnen Summen werden zur Bildung eines Reservekapitals ver¬
wandt. Die Gewährung der Darlehen geschieht mittelst Pfandbriefen, und die
Darlehen werden nach Maßgabe der Kurse dieser Pfandbriefe ausgezahlt. Zur
Deckung einmaliger Ausgaben für Einrichtung und Unterhalt der Bank wurde
ihr ein Kredit bis zu drei Millionen Rubel bei der Neichsbank eingeräumt.
Die Gewährung der Darlehen kann auf schuldenfreien und schon anderweitig
beliehenen Grundbesitz erfolgen. Doch genießen die Forderungen der Bank in
jedem Falle das Vorrecht vor andern Schulden. Die Darlehen sind mit acht¬
undvierzig Jahren und acht Monaten oder sechsunddreißig Jahren und sieben
Monaten befristet. Die Höhe des Darlehens darf 60 Prozent des Taxwerts
der Grundstücke nicht überschreiten. Unter besondern Verhältnissen darf aber
das Darlehen bis zu 75 Prozent des Grundwertes erhöht werden. Für die
erhaltnen Darlehen haben die Schuldner in halbjährlichen Raten zu zahlen:
Prozent Zinsen und ^ oder ^ Prozent Amortisation, je nach der Frist
des Darlehens, ferner ^/g Prozent für die Kosten des Unterhalts und zur
Bildung des Reservekapitals -- im ganzen 5^ bis 6^ Prozent jährlich.
Außerdem wird bei Gewährung des Darlehens einmal ^ Prozent von der
ganzen Summe erhoben. Sofern fällige Zahlungen nicht zum Termin ge¬
leistet sind, werden besondre Strafen erhoben: im Laufe der beiden ersten
Monate Versäumnis ^ Prozent, für die folgenden Monate 1 Prozent für
das Jahr. Wenn die Rückstände im Laufe des folgenden Halbjahrs nicht
zurückerstattet werden, soll das Grundstück zur öffentlichen Versteigerung ge¬
langen. Im Falle, daß verpfändete Grundstücke von einem Unglücksfall heim¬
gesucht werden, hönnen den Schuldnern in den Zahlungen einige Vergünstigungen
gewährt werden, wie zum Beispiel die Verteilung zweier Terminzahlungen auf
drei Jahre oder Aufschub einer Terminzahlung um ein ganzes Jahr.

Wie ungerecht in wirtschaftlicher Beziehung die Maßregel war, geht schon
aus der Tatsache hervor, daß von dem in Rußland ohne die obengenannten Ge¬
biete bewirtschafteten Lande im Jahre 1887 dem Adel nur 65297000 Dessjätinen,
sonstigen Privatgrundbesitzern 30 370 000 und den Bauern 125 874 000 Dessjätinen
gehörten. Der normale Zinsfuß schwankte aber damals zwischen 8 bis 10 Prozent
für erstklassige Hypotheken und erreichte in den Städten noch bei ganz sichern
Anlagen 14, ja 16 Prozent! In ungezählten Fällen ist das dem Adel vor¬
geschossene Geld nicht zu Meliorationen auf den belasteten Gütern, sondern zu
Beleihungen von städtischen Grundstücken, zur Beteiligung an kaufmännischen


Russische Briefe

Polen und der baltischen Provinzen. Die Bank gehört in den Vereich des
Finanzministeriums. Sie besteht aus der Zentralverwaltung und den Provinzial-
abteilungen. Die Zentrale setzt sich zusammen aus dem Vorstande, dem Ver¬
waltungsrat der Bank und aus der Kanzlei der Verwaltung; die Abteilungen
bestehn aus je einem Vorstande, Beisitzern als Taxatoren und aus weitern
vom Adel gewählten Beisitzern. Die Adelsbank soll sich aus den von ihr er¬
zielten Gewinnen selbst unterhalten. Die nach Deckung der Ausgaben der
Bank übriggebliebnen Summen werden zur Bildung eines Reservekapitals ver¬
wandt. Die Gewährung der Darlehen geschieht mittelst Pfandbriefen, und die
Darlehen werden nach Maßgabe der Kurse dieser Pfandbriefe ausgezahlt. Zur
Deckung einmaliger Ausgaben für Einrichtung und Unterhalt der Bank wurde
ihr ein Kredit bis zu drei Millionen Rubel bei der Neichsbank eingeräumt.
Die Gewährung der Darlehen kann auf schuldenfreien und schon anderweitig
beliehenen Grundbesitz erfolgen. Doch genießen die Forderungen der Bank in
jedem Falle das Vorrecht vor andern Schulden. Die Darlehen sind mit acht¬
undvierzig Jahren und acht Monaten oder sechsunddreißig Jahren und sieben
Monaten befristet. Die Höhe des Darlehens darf 60 Prozent des Taxwerts
der Grundstücke nicht überschreiten. Unter besondern Verhältnissen darf aber
das Darlehen bis zu 75 Prozent des Grundwertes erhöht werden. Für die
erhaltnen Darlehen haben die Schuldner in halbjährlichen Raten zu zahlen:
Prozent Zinsen und ^ oder ^ Prozent Amortisation, je nach der Frist
des Darlehens, ferner ^/g Prozent für die Kosten des Unterhalts und zur
Bildung des Reservekapitals — im ganzen 5^ bis 6^ Prozent jährlich.
Außerdem wird bei Gewährung des Darlehens einmal ^ Prozent von der
ganzen Summe erhoben. Sofern fällige Zahlungen nicht zum Termin ge¬
leistet sind, werden besondre Strafen erhoben: im Laufe der beiden ersten
Monate Versäumnis ^ Prozent, für die folgenden Monate 1 Prozent für
das Jahr. Wenn die Rückstände im Laufe des folgenden Halbjahrs nicht
zurückerstattet werden, soll das Grundstück zur öffentlichen Versteigerung ge¬
langen. Im Falle, daß verpfändete Grundstücke von einem Unglücksfall heim¬
gesucht werden, hönnen den Schuldnern in den Zahlungen einige Vergünstigungen
gewährt werden, wie zum Beispiel die Verteilung zweier Terminzahlungen auf
drei Jahre oder Aufschub einer Terminzahlung um ein ganzes Jahr.

Wie ungerecht in wirtschaftlicher Beziehung die Maßregel war, geht schon
aus der Tatsache hervor, daß von dem in Rußland ohne die obengenannten Ge¬
biete bewirtschafteten Lande im Jahre 1887 dem Adel nur 65297000 Dessjätinen,
sonstigen Privatgrundbesitzern 30 370 000 und den Bauern 125 874 000 Dessjätinen
gehörten. Der normale Zinsfuß schwankte aber damals zwischen 8 bis 10 Prozent
für erstklassige Hypotheken und erreichte in den Städten noch bei ganz sichern
Anlagen 14, ja 16 Prozent! In ungezählten Fällen ist das dem Adel vor¬
geschossene Geld nicht zu Meliorationen auf den belasteten Gütern, sondern zu
Beleihungen von städtischen Grundstücken, zur Beteiligung an kaufmännischen


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[0124] Russische Briefe Polen und der baltischen Provinzen. Die Bank gehört in den Vereich des Finanzministeriums. Sie besteht aus der Zentralverwaltung und den Provinzial- abteilungen. Die Zentrale setzt sich zusammen aus dem Vorstande, dem Ver¬ waltungsrat der Bank und aus der Kanzlei der Verwaltung; die Abteilungen bestehn aus je einem Vorstande, Beisitzern als Taxatoren und aus weitern vom Adel gewählten Beisitzern. Die Adelsbank soll sich aus den von ihr er¬ zielten Gewinnen selbst unterhalten. Die nach Deckung der Ausgaben der Bank übriggebliebnen Summen werden zur Bildung eines Reservekapitals ver¬ wandt. Die Gewährung der Darlehen geschieht mittelst Pfandbriefen, und die Darlehen werden nach Maßgabe der Kurse dieser Pfandbriefe ausgezahlt. Zur Deckung einmaliger Ausgaben für Einrichtung und Unterhalt der Bank wurde ihr ein Kredit bis zu drei Millionen Rubel bei der Neichsbank eingeräumt. Die Gewährung der Darlehen kann auf schuldenfreien und schon anderweitig beliehenen Grundbesitz erfolgen. Doch genießen die Forderungen der Bank in jedem Falle das Vorrecht vor andern Schulden. Die Darlehen sind mit acht¬ undvierzig Jahren und acht Monaten oder sechsunddreißig Jahren und sieben Monaten befristet. Die Höhe des Darlehens darf 60 Prozent des Taxwerts der Grundstücke nicht überschreiten. Unter besondern Verhältnissen darf aber das Darlehen bis zu 75 Prozent des Grundwertes erhöht werden. Für die erhaltnen Darlehen haben die Schuldner in halbjährlichen Raten zu zahlen: Prozent Zinsen und ^ oder ^ Prozent Amortisation, je nach der Frist des Darlehens, ferner ^/g Prozent für die Kosten des Unterhalts und zur Bildung des Reservekapitals — im ganzen 5^ bis 6^ Prozent jährlich. Außerdem wird bei Gewährung des Darlehens einmal ^ Prozent von der ganzen Summe erhoben. Sofern fällige Zahlungen nicht zum Termin ge¬ leistet sind, werden besondre Strafen erhoben: im Laufe der beiden ersten Monate Versäumnis ^ Prozent, für die folgenden Monate 1 Prozent für das Jahr. Wenn die Rückstände im Laufe des folgenden Halbjahrs nicht zurückerstattet werden, soll das Grundstück zur öffentlichen Versteigerung ge¬ langen. Im Falle, daß verpfändete Grundstücke von einem Unglücksfall heim¬ gesucht werden, hönnen den Schuldnern in den Zahlungen einige Vergünstigungen gewährt werden, wie zum Beispiel die Verteilung zweier Terminzahlungen auf drei Jahre oder Aufschub einer Terminzahlung um ein ganzes Jahr. Wie ungerecht in wirtschaftlicher Beziehung die Maßregel war, geht schon aus der Tatsache hervor, daß von dem in Rußland ohne die obengenannten Ge¬ biete bewirtschafteten Lande im Jahre 1887 dem Adel nur 65297000 Dessjätinen, sonstigen Privatgrundbesitzern 30 370 000 und den Bauern 125 874 000 Dessjätinen gehörten. Der normale Zinsfuß schwankte aber damals zwischen 8 bis 10 Prozent für erstklassige Hypotheken und erreichte in den Städten noch bei ganz sichern Anlagen 14, ja 16 Prozent! In ungezählten Fällen ist das dem Adel vor¬ geschossene Geld nicht zu Meliorationen auf den belasteten Gütern, sondern zu Beleihungen von städtischen Grundstücken, zur Beteiligung an kaufmännischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/124>, abgerufen am 29.06.2024.