Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.Russische Briefe gesamten Resormgesetzgebung der sechziger Jahre zu sein -- den adlichen Am¬ Die Sjemstwoordnung vom 1. Januar 1864 enthielt folgende für unsre Die Institution der Sjemstwo wurde in 33 russischen Gouvernements Artikel 112 und 13S des neunten Bandes der Gesetzsammlung von 1857. Als im Jahre 1865 (11. Januar) die Adelsversammlung von Moskau mit 270 gegen 36 Stimmen (s, Tatischtschew, Alexander der Zweite, Bd. I, S> 525) um Einberufung einer Volksvertretung und einer alt¬ russischen Adelsversammlung bat, schritt der Senat hiergegen ein, und der Zar erklärte in einem an den Minister des Innern Grafen Walujew gerichteten Reskript vom 29. Januar 1865, daß kein Stand das Recht habe, im Namen eines andern zu sprechen, und daß niemand berufen sei, dein Kaiser über Nutzen und Nöte des Reiches ungefragt Vortrag zu halten. Entsprechend diesem Bescheid wurden die Artikel 112 und 135 im Jahre 1868 abgeändert und fanden auch in der Gesetzausgabe von 1376 Ausdruck, d. h. der Adel ging des Petitionsrechts verlustig. Erst im Jahre 1883 gab Alexander der Dritte dem Adel das Petitionsrecht in erweiterter Form zurück, was seinen Ausdruck in Artikel 152 und 169 des neunten Bandes der Gesetz¬ sammlung Ausgabe 1899 bis 1902 findet. (S. Rechenschaftsbericht des Reichsrath über seine Geschäftsführung im Jahre 1901/02. S. 159, Se. Petersburg, Reichsdruckerei, 1903.) In dem zum mittlern Schwarzerdegebict gehörenden Kreise Jelctz bestand die Kreissjemstwo¬
versammlung zum Beispiel aus 33 Vertretern der Großgrundbesitzer, 10 Stadtvertretern, 28 Ver¬ tretern der Bauern. Unter den letztern waren auch Großgrundbesitzer. W> D. Spassowitsch, Gesammelte Schriften, Bd. VI, S. 285, in seiner Verteidigungsrede im Prozeß gegen einige Gemeindeälteste, die die Wahl liberaler Gutsbesitzer zugelassen hatten (21. s2,^ März 1879). Russische Briefe gesamten Resormgesetzgebung der sechziger Jahre zu sein — den adlichen Am¬ Die Sjemstwoordnung vom 1. Januar 1864 enthielt folgende für unsre Die Institution der Sjemstwo wurde in 33 russischen Gouvernements Artikel 112 und 13S des neunten Bandes der Gesetzsammlung von 1857. Als im Jahre 1865 (11. Januar) die Adelsversammlung von Moskau mit 270 gegen 36 Stimmen (s, Tatischtschew, Alexander der Zweite, Bd. I, S> 525) um Einberufung einer Volksvertretung und einer alt¬ russischen Adelsversammlung bat, schritt der Senat hiergegen ein, und der Zar erklärte in einem an den Minister des Innern Grafen Walujew gerichteten Reskript vom 29. Januar 1865, daß kein Stand das Recht habe, im Namen eines andern zu sprechen, und daß niemand berufen sei, dein Kaiser über Nutzen und Nöte des Reiches ungefragt Vortrag zu halten. Entsprechend diesem Bescheid wurden die Artikel 112 und 135 im Jahre 1868 abgeändert und fanden auch in der Gesetzausgabe von 1376 Ausdruck, d. h. der Adel ging des Petitionsrechts verlustig. Erst im Jahre 1883 gab Alexander der Dritte dem Adel das Petitionsrecht in erweiterter Form zurück, was seinen Ausdruck in Artikel 152 und 169 des neunten Bandes der Gesetz¬ sammlung Ausgabe 1899 bis 1902 findet. (S. Rechenschaftsbericht des Reichsrath über seine Geschäftsführung im Jahre 1901/02. S. 159, Se. Petersburg, Reichsdruckerei, 1903.) In dem zum mittlern Schwarzerdegebict gehörenden Kreise Jelctz bestand die Kreissjemstwo¬
versammlung zum Beispiel aus 33 Vertretern der Großgrundbesitzer, 10 Stadtvertretern, 28 Ver¬ tretern der Bauern. Unter den letztern waren auch Großgrundbesitzer. W> D. Spassowitsch, Gesammelte Schriften, Bd. VI, S. 285, in seiner Verteidigungsrede im Prozeß gegen einige Gemeindeälteste, die die Wahl liberaler Gutsbesitzer zugelassen hatten (21. s2,^ März 1879). <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0657" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303359"/> <fw type="header" place="top"> Russische Briefe</fw><lb/> <p xml:id="ID_3261" prev="#ID_3260"> gesamten Resormgesetzgebung der sechziger Jahre zu sein — den adlichen Am¬<lb/> bitionen blieben zwei große Einfalltore offen, durch die sie in die neue Ordnung<lb/> Bresche legen konnten. Das war die Sjemstwoordnung vom 1. Januar 1864<lb/> und das Reglement für die bäuerliche Selbstverwaltung.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_3262"> Die Sjemstwoordnung vom 1. Januar 1864 enthielt folgende für unsre<lb/> Betrachtung wesentliche Bestimmungen:</p><lb/> <p xml:id="ID_3263" next="#ID_3264"> Die Institution der Sjemstwo wurde in 33 russischen Gouvernements<lb/> eingeführt. Sie setzte sich zusammen aus Gouvernements- und Kreissjemstwo,<lb/> von denen jede ihre eigne Behörde, die Upmwci, und ihren eignen Wahlkörper,<lb/> die Ssobrauije, hatte. Die Versammlungen (L8odrs,niji) hatten in den der<lb/> Sjemstwo überlassenen Fragen die Initiative, während der Uprawa die Exe¬<lb/> kutive oblag. Die Kreissjemstwoversammlung setzte sich zusammen aus Ab¬<lb/> geordneten,*) die gewählt wurden von den nicht zu Dorfgemeinden gehörenden<lb/> Grundbesitzern des Kreises ohne Unterschied der Zugehörigkeit zu irgendeinem<lb/> Stande, von den Städtern ohne Unterschied des Standes, von der Ver¬<lb/> sammlung der Wolostültesten sowie den Ältesten aller Dorfgemeinden. Die<lb/> gutsherrlichen und die städtischen Wühler übten ihr Wahlrecht entsprechend Um¬<lb/> fang und Wert ihres Jmmobilienbesitzes unter Zugrundelegung eines ziemlich<lb/> niedrigen Zensus aus, die Bauern wählten ihre Abgeordneten entsprechend der<lb/> Größe des Landesbesitzes der in einer Wolost liegenden Dorfgemeinden. Das<lb/> Kreisamt bestand aus sechs von den Kreisversammlungen ernannten Bei¬<lb/> geordneten. Die Gonvernementssjemstwoversammlung bestand aus Abgeord¬<lb/> neten der Kreisversammlungen, und zwar je zwei bis fünf von jedem Kreise<lb/> entsprechend der Zahl von dessen Bevölkerung. Das Gouvernementsamt setzte</p><lb/> <note xml:id="FID_70" prev="#FID_69" place="foot"> Artikel 112 und 13S des neunten Bandes der Gesetzsammlung von 1857. Als im Jahre 1865<lb/> (11. Januar) die Adelsversammlung von Moskau mit 270 gegen 36 Stimmen (s, Tatischtschew,<lb/> Alexander der Zweite, Bd. I, S> 525) um Einberufung einer Volksvertretung und einer alt¬<lb/> russischen Adelsversammlung bat, schritt der Senat hiergegen ein, und der Zar erklärte in<lb/> einem an den Minister des Innern Grafen Walujew gerichteten Reskript vom 29. Januar 1865,<lb/> daß kein Stand das Recht habe, im Namen eines andern zu sprechen, und daß niemand berufen<lb/> sei, dein Kaiser über Nutzen und Nöte des Reiches ungefragt Vortrag zu halten. Entsprechend<lb/> diesem Bescheid wurden die Artikel 112 und 135 im Jahre 1868 abgeändert und fanden auch<lb/> in der Gesetzausgabe von 1376 Ausdruck, d. h. der Adel ging des Petitionsrechts verlustig.<lb/> Erst im Jahre 1883 gab Alexander der Dritte dem Adel das Petitionsrecht in erweiterter<lb/> Form zurück, was seinen Ausdruck in Artikel 152 und 169 des neunten Bandes der Gesetz¬<lb/> sammlung Ausgabe 1899 bis 1902 findet. (S. Rechenschaftsbericht des Reichsrath über seine<lb/> Geschäftsführung im Jahre 1901/02. S. 159, Se. Petersburg, Reichsdruckerei, 1903.)</note><lb/> <note xml:id="FID_71" place="foot"> In dem zum mittlern Schwarzerdegebict gehörenden Kreise Jelctz bestand die Kreissjemstwo¬<lb/> versammlung zum Beispiel aus 33 Vertretern der Großgrundbesitzer, 10 Stadtvertretern, 28 Ver¬<lb/> tretern der Bauern. Unter den letztern waren auch Großgrundbesitzer. W> D. Spassowitsch,<lb/> Gesammelte Schriften, Bd. VI, S. 285, in seiner Verteidigungsrede im Prozeß gegen einige<lb/> Gemeindeälteste, die die Wahl liberaler Gutsbesitzer zugelassen hatten (21. s2,^ März 1879).</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0657]
Russische Briefe
gesamten Resormgesetzgebung der sechziger Jahre zu sein — den adlichen Am¬
bitionen blieben zwei große Einfalltore offen, durch die sie in die neue Ordnung
Bresche legen konnten. Das war die Sjemstwoordnung vom 1. Januar 1864
und das Reglement für die bäuerliche Selbstverwaltung.
Die Sjemstwoordnung vom 1. Januar 1864 enthielt folgende für unsre
Betrachtung wesentliche Bestimmungen:
Die Institution der Sjemstwo wurde in 33 russischen Gouvernements
eingeführt. Sie setzte sich zusammen aus Gouvernements- und Kreissjemstwo,
von denen jede ihre eigne Behörde, die Upmwci, und ihren eignen Wahlkörper,
die Ssobrauije, hatte. Die Versammlungen (L8odrs,niji) hatten in den der
Sjemstwo überlassenen Fragen die Initiative, während der Uprawa die Exe¬
kutive oblag. Die Kreissjemstwoversammlung setzte sich zusammen aus Ab¬
geordneten,*) die gewählt wurden von den nicht zu Dorfgemeinden gehörenden
Grundbesitzern des Kreises ohne Unterschied der Zugehörigkeit zu irgendeinem
Stande, von den Städtern ohne Unterschied des Standes, von der Ver¬
sammlung der Wolostültesten sowie den Ältesten aller Dorfgemeinden. Die
gutsherrlichen und die städtischen Wühler übten ihr Wahlrecht entsprechend Um¬
fang und Wert ihres Jmmobilienbesitzes unter Zugrundelegung eines ziemlich
niedrigen Zensus aus, die Bauern wählten ihre Abgeordneten entsprechend der
Größe des Landesbesitzes der in einer Wolost liegenden Dorfgemeinden. Das
Kreisamt bestand aus sechs von den Kreisversammlungen ernannten Bei¬
geordneten. Die Gonvernementssjemstwoversammlung bestand aus Abgeord¬
neten der Kreisversammlungen, und zwar je zwei bis fünf von jedem Kreise
entsprechend der Zahl von dessen Bevölkerung. Das Gouvernementsamt setzte
Artikel 112 und 13S des neunten Bandes der Gesetzsammlung von 1857. Als im Jahre 1865
(11. Januar) die Adelsversammlung von Moskau mit 270 gegen 36 Stimmen (s, Tatischtschew,
Alexander der Zweite, Bd. I, S> 525) um Einberufung einer Volksvertretung und einer alt¬
russischen Adelsversammlung bat, schritt der Senat hiergegen ein, und der Zar erklärte in
einem an den Minister des Innern Grafen Walujew gerichteten Reskript vom 29. Januar 1865,
daß kein Stand das Recht habe, im Namen eines andern zu sprechen, und daß niemand berufen
sei, dein Kaiser über Nutzen und Nöte des Reiches ungefragt Vortrag zu halten. Entsprechend
diesem Bescheid wurden die Artikel 112 und 135 im Jahre 1868 abgeändert und fanden auch
in der Gesetzausgabe von 1376 Ausdruck, d. h. der Adel ging des Petitionsrechts verlustig.
Erst im Jahre 1883 gab Alexander der Dritte dem Adel das Petitionsrecht in erweiterter
Form zurück, was seinen Ausdruck in Artikel 152 und 169 des neunten Bandes der Gesetz¬
sammlung Ausgabe 1899 bis 1902 findet. (S. Rechenschaftsbericht des Reichsrath über seine
Geschäftsführung im Jahre 1901/02. S. 159, Se. Petersburg, Reichsdruckerei, 1903.)
In dem zum mittlern Schwarzerdegebict gehörenden Kreise Jelctz bestand die Kreissjemstwo¬
versammlung zum Beispiel aus 33 Vertretern der Großgrundbesitzer, 10 Stadtvertretern, 28 Ver¬
tretern der Bauern. Unter den letztern waren auch Großgrundbesitzer. W> D. Spassowitsch,
Gesammelte Schriften, Bd. VI, S. 285, in seiner Verteidigungsrede im Prozeß gegen einige
Gemeindeälteste, die die Wahl liberaler Gutsbesitzer zugelassen hatten (21. s2,^ März 1879).
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