Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Über Machtfragen

englischen noch russischen Zuschnitt verträgt, aber von seinem ersten Gärtner,
dem Altreichskanzler, richtig gepflanzt worden ist.

Es ist der geschichtlich sehr verspätete Versuch, unserm Volke die Form der
politischen Macht zu verleihen, ohne die in Zukunft selbständige Staaten mit
eigner Kultur überhaupt nicht bestehn können. Der Versuch ist bis heute
geglückt. Aber Moltke sagte schon am 16. Februar 1874 im deutschen Reichs¬
tage: "Ein großes weltgeschichtliches Ereignis, wie die Wiederaufrichtung des
Reiches, vollzieht sich kaum in einer kurzen Spanne Zeit. Was wir in einem
halben Jahre mit den Waffen errungen haben, das mögen wir ein halbes Jahr¬
hundert mit den Waffen schützen, damit es uns nicht wieder entrissen wird.
Darüber, meine Herren, dürfen wir uns keiner Täuschung hingeben; wir haben
seit unsern glücklichen Kriegen an Achtung überall, an Liebe nirgends gewonnen."
Das halbe Jahrhundert ist noch nicht um, aber ein Blick über unsre Grenzen
zeigt, wie richtig Moltke prophezeit hat. Er schloß seine Rede mit den Sätzen:
"Ich hoffe, wir werden eine Reihe von Jahren nicht nur Frieden halten, sondern
auch Frieden gebieten; vielleicht überzeugt sich dann die Welt, daß ein mächtiges
Deutschland in der Mitte Europas die größte Bürgschaft ist für den Frieden
von Europa. Aber, meine Herren, um Frieden zu gebieten, müssen wir zum
Kriege gerüstet sein." Und am 14. April ergänzte er, daß er "auch jetzt sicher
glaube, daß ein starkes Deutschland in Mitte Europas die größte Bürgschaft für
den Frieden ist. Aber, meine Herren, ein starkes Deutschland!" Eine weitere
Ergänzung gab er in seiner Rede vom 10. März 1886: "Aber, meine Herren,
eine solche Politik läßt sich nur durchführen gestützt auf ein starkes und kriegs¬
bereites Heer. Fehlte dieses gewaltige Triebrad in der Staatsmaschine, so würde
sie stocken. Die Noten unsers Auswärtigen Amts würden des rechten Gewichts
entbehren. Die Armee, meine Herren, ist das Fundament gewesen, auf dem
eine solche Politik des Friedens sich hat aufbauen lassen, die Armee ist es,
die den diplomatischen Noten Nachdruck und Rückhalt gewährt; aber nur so
lange, wie sie auch wirklich bereit und imstande ist, da einzutreten, wo der
friedliche Zweck nicht erreicht werden kann."

Es find seitdem mehr als dreiunddreißig Jahre vergangen, vieles hat sich
während dieser Zeit geändert, aber die Worte gelten heute noch, und ihre Richtig¬
keit wird vielleicht in unsern Tagen schon in weitern Kreisen anerkannt als
damals, wo mancher hergebrachte Doktrinarismus noch nicht durch die geschicht¬
liche Erfahrung geläutert worden war. Jedenfalls hat das Verständnis für
Machtfragen inzwischen ziemlich gewonnen, während zu jener Zeit die Meinung
hingenommen wurde, Moltke habe "als Militär" nicht anders sprechen können.
Und doch sind die Geschicke der Völker stets und zu allen Zeiten endgiltig
nicht etwa von den Kabinetten oder auf den Nednerbühnen, sondern auf den
Schlachtfeldern entschieden worden. Gerade die Entstehungsgeschichte der beiden
jüngsten Großstaaten Europas beweist das von neuem. Trotz eifriger Be¬
mühungen war es der europäischen Diplomatie nicht gelungen, die Bildung


Über Machtfragen

englischen noch russischen Zuschnitt verträgt, aber von seinem ersten Gärtner,
dem Altreichskanzler, richtig gepflanzt worden ist.

Es ist der geschichtlich sehr verspätete Versuch, unserm Volke die Form der
politischen Macht zu verleihen, ohne die in Zukunft selbständige Staaten mit
eigner Kultur überhaupt nicht bestehn können. Der Versuch ist bis heute
geglückt. Aber Moltke sagte schon am 16. Februar 1874 im deutschen Reichs¬
tage: „Ein großes weltgeschichtliches Ereignis, wie die Wiederaufrichtung des
Reiches, vollzieht sich kaum in einer kurzen Spanne Zeit. Was wir in einem
halben Jahre mit den Waffen errungen haben, das mögen wir ein halbes Jahr¬
hundert mit den Waffen schützen, damit es uns nicht wieder entrissen wird.
Darüber, meine Herren, dürfen wir uns keiner Täuschung hingeben; wir haben
seit unsern glücklichen Kriegen an Achtung überall, an Liebe nirgends gewonnen."
Das halbe Jahrhundert ist noch nicht um, aber ein Blick über unsre Grenzen
zeigt, wie richtig Moltke prophezeit hat. Er schloß seine Rede mit den Sätzen:
„Ich hoffe, wir werden eine Reihe von Jahren nicht nur Frieden halten, sondern
auch Frieden gebieten; vielleicht überzeugt sich dann die Welt, daß ein mächtiges
Deutschland in der Mitte Europas die größte Bürgschaft ist für den Frieden
von Europa. Aber, meine Herren, um Frieden zu gebieten, müssen wir zum
Kriege gerüstet sein." Und am 14. April ergänzte er, daß er „auch jetzt sicher
glaube, daß ein starkes Deutschland in Mitte Europas die größte Bürgschaft für
den Frieden ist. Aber, meine Herren, ein starkes Deutschland!" Eine weitere
Ergänzung gab er in seiner Rede vom 10. März 1886: „Aber, meine Herren,
eine solche Politik läßt sich nur durchführen gestützt auf ein starkes und kriegs¬
bereites Heer. Fehlte dieses gewaltige Triebrad in der Staatsmaschine, so würde
sie stocken. Die Noten unsers Auswärtigen Amts würden des rechten Gewichts
entbehren. Die Armee, meine Herren, ist das Fundament gewesen, auf dem
eine solche Politik des Friedens sich hat aufbauen lassen, die Armee ist es,
die den diplomatischen Noten Nachdruck und Rückhalt gewährt; aber nur so
lange, wie sie auch wirklich bereit und imstande ist, da einzutreten, wo der
friedliche Zweck nicht erreicht werden kann."

Es find seitdem mehr als dreiunddreißig Jahre vergangen, vieles hat sich
während dieser Zeit geändert, aber die Worte gelten heute noch, und ihre Richtig¬
keit wird vielleicht in unsern Tagen schon in weitern Kreisen anerkannt als
damals, wo mancher hergebrachte Doktrinarismus noch nicht durch die geschicht¬
liche Erfahrung geläutert worden war. Jedenfalls hat das Verständnis für
Machtfragen inzwischen ziemlich gewonnen, während zu jener Zeit die Meinung
hingenommen wurde, Moltke habe „als Militär" nicht anders sprechen können.
Und doch sind die Geschicke der Völker stets und zu allen Zeiten endgiltig
nicht etwa von den Kabinetten oder auf den Nednerbühnen, sondern auf den
Schlachtfeldern entschieden worden. Gerade die Entstehungsgeschichte der beiden
jüngsten Großstaaten Europas beweist das von neuem. Trotz eifriger Be¬
mühungen war es der europäischen Diplomatie nicht gelungen, die Bildung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0062" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302764"/>
          <fw type="header" place="top"> Über Machtfragen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_247" prev="#ID_246"> englischen noch russischen Zuschnitt verträgt, aber von seinem ersten Gärtner,<lb/>
dem Altreichskanzler, richtig gepflanzt worden ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_248"> Es ist der geschichtlich sehr verspätete Versuch, unserm Volke die Form der<lb/>
politischen Macht zu verleihen, ohne die in Zukunft selbständige Staaten mit<lb/>
eigner Kultur überhaupt nicht bestehn können. Der Versuch ist bis heute<lb/>
geglückt. Aber Moltke sagte schon am 16. Februar 1874 im deutschen Reichs¬<lb/>
tage: &#x201E;Ein großes weltgeschichtliches Ereignis, wie die Wiederaufrichtung des<lb/>
Reiches, vollzieht sich kaum in einer kurzen Spanne Zeit. Was wir in einem<lb/>
halben Jahre mit den Waffen errungen haben, das mögen wir ein halbes Jahr¬<lb/>
hundert mit den Waffen schützen, damit es uns nicht wieder entrissen wird.<lb/>
Darüber, meine Herren, dürfen wir uns keiner Täuschung hingeben; wir haben<lb/>
seit unsern glücklichen Kriegen an Achtung überall, an Liebe nirgends gewonnen."<lb/>
Das halbe Jahrhundert ist noch nicht um, aber ein Blick über unsre Grenzen<lb/>
zeigt, wie richtig Moltke prophezeit hat. Er schloß seine Rede mit den Sätzen:<lb/>
&#x201E;Ich hoffe, wir werden eine Reihe von Jahren nicht nur Frieden halten, sondern<lb/>
auch Frieden gebieten; vielleicht überzeugt sich dann die Welt, daß ein mächtiges<lb/>
Deutschland in der Mitte Europas die größte Bürgschaft ist für den Frieden<lb/>
von Europa. Aber, meine Herren, um Frieden zu gebieten, müssen wir zum<lb/>
Kriege gerüstet sein." Und am 14. April ergänzte er, daß er &#x201E;auch jetzt sicher<lb/>
glaube, daß ein starkes Deutschland in Mitte Europas die größte Bürgschaft für<lb/>
den Frieden ist. Aber, meine Herren, ein starkes Deutschland!" Eine weitere<lb/>
Ergänzung gab er in seiner Rede vom 10. März 1886: &#x201E;Aber, meine Herren,<lb/>
eine solche Politik läßt sich nur durchführen gestützt auf ein starkes und kriegs¬<lb/>
bereites Heer. Fehlte dieses gewaltige Triebrad in der Staatsmaschine, so würde<lb/>
sie stocken. Die Noten unsers Auswärtigen Amts würden des rechten Gewichts<lb/>
entbehren. Die Armee, meine Herren, ist das Fundament gewesen, auf dem<lb/>
eine solche Politik des Friedens sich hat aufbauen lassen, die Armee ist es,<lb/>
die den diplomatischen Noten Nachdruck und Rückhalt gewährt; aber nur so<lb/>
lange, wie sie auch wirklich bereit und imstande ist, da einzutreten, wo der<lb/>
friedliche Zweck nicht erreicht werden kann."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_249" next="#ID_250"> Es find seitdem mehr als dreiunddreißig Jahre vergangen, vieles hat sich<lb/>
während dieser Zeit geändert, aber die Worte gelten heute noch, und ihre Richtig¬<lb/>
keit wird vielleicht in unsern Tagen schon in weitern Kreisen anerkannt als<lb/>
damals, wo mancher hergebrachte Doktrinarismus noch nicht durch die geschicht¬<lb/>
liche Erfahrung geläutert worden war. Jedenfalls hat das Verständnis für<lb/>
Machtfragen inzwischen ziemlich gewonnen, während zu jener Zeit die Meinung<lb/>
hingenommen wurde, Moltke habe &#x201E;als Militär" nicht anders sprechen können.<lb/>
Und doch sind die Geschicke der Völker stets und zu allen Zeiten endgiltig<lb/>
nicht etwa von den Kabinetten oder auf den Nednerbühnen, sondern auf den<lb/>
Schlachtfeldern entschieden worden. Gerade die Entstehungsgeschichte der beiden<lb/>
jüngsten Großstaaten Europas beweist das von neuem. Trotz eifriger Be¬<lb/>
mühungen war es der europäischen Diplomatie nicht gelungen, die Bildung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0062] Über Machtfragen englischen noch russischen Zuschnitt verträgt, aber von seinem ersten Gärtner, dem Altreichskanzler, richtig gepflanzt worden ist. Es ist der geschichtlich sehr verspätete Versuch, unserm Volke die Form der politischen Macht zu verleihen, ohne die in Zukunft selbständige Staaten mit eigner Kultur überhaupt nicht bestehn können. Der Versuch ist bis heute geglückt. Aber Moltke sagte schon am 16. Februar 1874 im deutschen Reichs¬ tage: „Ein großes weltgeschichtliches Ereignis, wie die Wiederaufrichtung des Reiches, vollzieht sich kaum in einer kurzen Spanne Zeit. Was wir in einem halben Jahre mit den Waffen errungen haben, das mögen wir ein halbes Jahr¬ hundert mit den Waffen schützen, damit es uns nicht wieder entrissen wird. Darüber, meine Herren, dürfen wir uns keiner Täuschung hingeben; wir haben seit unsern glücklichen Kriegen an Achtung überall, an Liebe nirgends gewonnen." Das halbe Jahrhundert ist noch nicht um, aber ein Blick über unsre Grenzen zeigt, wie richtig Moltke prophezeit hat. Er schloß seine Rede mit den Sätzen: „Ich hoffe, wir werden eine Reihe von Jahren nicht nur Frieden halten, sondern auch Frieden gebieten; vielleicht überzeugt sich dann die Welt, daß ein mächtiges Deutschland in der Mitte Europas die größte Bürgschaft ist für den Frieden von Europa. Aber, meine Herren, um Frieden zu gebieten, müssen wir zum Kriege gerüstet sein." Und am 14. April ergänzte er, daß er „auch jetzt sicher glaube, daß ein starkes Deutschland in Mitte Europas die größte Bürgschaft für den Frieden ist. Aber, meine Herren, ein starkes Deutschland!" Eine weitere Ergänzung gab er in seiner Rede vom 10. März 1886: „Aber, meine Herren, eine solche Politik läßt sich nur durchführen gestützt auf ein starkes und kriegs¬ bereites Heer. Fehlte dieses gewaltige Triebrad in der Staatsmaschine, so würde sie stocken. Die Noten unsers Auswärtigen Amts würden des rechten Gewichts entbehren. Die Armee, meine Herren, ist das Fundament gewesen, auf dem eine solche Politik des Friedens sich hat aufbauen lassen, die Armee ist es, die den diplomatischen Noten Nachdruck und Rückhalt gewährt; aber nur so lange, wie sie auch wirklich bereit und imstande ist, da einzutreten, wo der friedliche Zweck nicht erreicht werden kann." Es find seitdem mehr als dreiunddreißig Jahre vergangen, vieles hat sich während dieser Zeit geändert, aber die Worte gelten heute noch, und ihre Richtig¬ keit wird vielleicht in unsern Tagen schon in weitern Kreisen anerkannt als damals, wo mancher hergebrachte Doktrinarismus noch nicht durch die geschicht¬ liche Erfahrung geläutert worden war. Jedenfalls hat das Verständnis für Machtfragen inzwischen ziemlich gewonnen, während zu jener Zeit die Meinung hingenommen wurde, Moltke habe „als Militär" nicht anders sprechen können. Und doch sind die Geschicke der Völker stets und zu allen Zeiten endgiltig nicht etwa von den Kabinetten oder auf den Nednerbühnen, sondern auf den Schlachtfeldern entschieden worden. Gerade die Entstehungsgeschichte der beiden jüngsten Großstaaten Europas beweist das von neuem. Trotz eifriger Be¬ mühungen war es der europäischen Diplomatie nicht gelungen, die Bildung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/62
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/62>, abgerufen am 12.12.2024.