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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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eines nationalen Staats in Deutschland und in Italien zu hindern, ebenso¬
wenig aber hatten die tiefgehendsten Volksbewegungen, Agitationen, nationale
Vereine, Beschlüsse und Vaterlandslieder mehr bewirken können, als die Ge¬
müter vorzubereiten. Erst als die militärische Entscheidung gefallen war, stand
der Nationalstaat im Handumdrehen fix und fertig da, etwas anders vielleicht,
als ihn die nationalen Bestrebungen gedacht hatten, aber jedenfalls mächtiger.
Daß Italien dabei aus den deutschen Erfolgen einen größern Vorteil gezogen
hat als aus den eignen, ändert an der Tatsache nichts. Was Hütte aber die
größte Staatskunst Bismarcks vermocht, wenn die Entscheidungen auf dem
Schlachtfeld nicht so unwiderstehlich ausgefallen wären? Die Einmischung des
Auslands stand 1866 wie 1870 vor der Tür und wäre nicht ausgeblieben,
wenn man dem siegreichen Heere etwas Ebenbürtiges entgegenzustellen vermocht
Hütte. Daß Bismarck die gegebne militärische Lage zugleich mit sorglicher Rück¬
sichtnahme auf die Zukunft wie im übrigen rücksichtslos ausgenützt hat, bleibt
sein unvergängliches Verdienst, aber die militärischen Entscheidungen gaben ihm
erst die feste Grundlage, auch für die weitere Zukunft, solange ihre Nach¬
wirkung anhielt.

Diese unerbittliche Tatsache wird in sichern Friedenszeiten leicht und gern
wieder vergessen, aber kein Volk hat es öfter und bitterer bereuen müssen, sie
vergessen zu haben, als gerade das deutsche. Mit Abrüstung und dergleichen
hätten wir weder ein Deutsches Reich errungen, noch würden wir es erhalten
können, denn wir sind wegen unsrer geographischen Lage zu vielen im Wege.
Es wird auch auf die Dauer nicht gelingen, weltbewegende Fragen, die noch
auf der Tagesordnung stehn, ausschließlich mit friedlichen Noten zu lösen.
Diese Noten werden überhaupt nur bewertet nach dem militärischen Nachdruck,
der zu ihrer Unterstützung angewandt werden könnte; ob sie gerecht und sach¬
lich begründet sind, steht erst in zweiter Linie. Gewalt geht vor Recht, sagt
schon das Sprichwort; jedenfalls gibt es ohne Macht kein Recht. Auch im
bürgerlichen Leben nicht, nur wird dabei die Macht des Staats angerufen. Ohne
sie würde sich kein Mensch der richterlichen Entscheidung fügen, die ja doch nur
begehrt wird, weil im jeweiligen Falle die Anschauungen über das Recht ver¬
schieden find. In internationalen Fragen ist Recht ohne Macht überhaupt ein
inhaltsleeres Gebilde. Was würde uns das uralte geschichtliche Recht auf die
Reichslande nützen, wenn es nicht durch unsre Armee gewährleistet würde? Die
Abrüstler und Pazifisten würden uns nicht dazu verhelfen, heute nicht und in
aller Zukunft auch nicht. Gerade wie in den Jahren, die auf den letzten großen
deutschen Krieg folgten, ist die Erhaltung des Friedenszustandes auch heute noch
wesentlich von dem Grade der Achtung bedingt, den das deutsche Heer und der
leitende deutsche Staatsmann den Nachbarn einzuflößen vermögen. Wegen unsers
guten Rechts tut uns ebensowenig jemand einen Gefallen wie um unsrer "schönen
Augen" willen. Wie Moltke zutreffend bemerkte, ist nur auf der Grundlage der
kriegerischen Erfolge und aus Furcht vor der Schärfe des deutschen Schwerts


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eines nationalen Staats in Deutschland und in Italien zu hindern, ebenso¬
wenig aber hatten die tiefgehendsten Volksbewegungen, Agitationen, nationale
Vereine, Beschlüsse und Vaterlandslieder mehr bewirken können, als die Ge¬
müter vorzubereiten. Erst als die militärische Entscheidung gefallen war, stand
der Nationalstaat im Handumdrehen fix und fertig da, etwas anders vielleicht,
als ihn die nationalen Bestrebungen gedacht hatten, aber jedenfalls mächtiger.
Daß Italien dabei aus den deutschen Erfolgen einen größern Vorteil gezogen
hat als aus den eignen, ändert an der Tatsache nichts. Was Hütte aber die
größte Staatskunst Bismarcks vermocht, wenn die Entscheidungen auf dem
Schlachtfeld nicht so unwiderstehlich ausgefallen wären? Die Einmischung des
Auslands stand 1866 wie 1870 vor der Tür und wäre nicht ausgeblieben,
wenn man dem siegreichen Heere etwas Ebenbürtiges entgegenzustellen vermocht
Hütte. Daß Bismarck die gegebne militärische Lage zugleich mit sorglicher Rück¬
sichtnahme auf die Zukunft wie im übrigen rücksichtslos ausgenützt hat, bleibt
sein unvergängliches Verdienst, aber die militärischen Entscheidungen gaben ihm
erst die feste Grundlage, auch für die weitere Zukunft, solange ihre Nach¬
wirkung anhielt.

Diese unerbittliche Tatsache wird in sichern Friedenszeiten leicht und gern
wieder vergessen, aber kein Volk hat es öfter und bitterer bereuen müssen, sie
vergessen zu haben, als gerade das deutsche. Mit Abrüstung und dergleichen
hätten wir weder ein Deutsches Reich errungen, noch würden wir es erhalten
können, denn wir sind wegen unsrer geographischen Lage zu vielen im Wege.
Es wird auch auf die Dauer nicht gelingen, weltbewegende Fragen, die noch
auf der Tagesordnung stehn, ausschließlich mit friedlichen Noten zu lösen.
Diese Noten werden überhaupt nur bewertet nach dem militärischen Nachdruck,
der zu ihrer Unterstützung angewandt werden könnte; ob sie gerecht und sach¬
lich begründet sind, steht erst in zweiter Linie. Gewalt geht vor Recht, sagt
schon das Sprichwort; jedenfalls gibt es ohne Macht kein Recht. Auch im
bürgerlichen Leben nicht, nur wird dabei die Macht des Staats angerufen. Ohne
sie würde sich kein Mensch der richterlichen Entscheidung fügen, die ja doch nur
begehrt wird, weil im jeweiligen Falle die Anschauungen über das Recht ver¬
schieden find. In internationalen Fragen ist Recht ohne Macht überhaupt ein
inhaltsleeres Gebilde. Was würde uns das uralte geschichtliche Recht auf die
Reichslande nützen, wenn es nicht durch unsre Armee gewährleistet würde? Die
Abrüstler und Pazifisten würden uns nicht dazu verhelfen, heute nicht und in
aller Zukunft auch nicht. Gerade wie in den Jahren, die auf den letzten großen
deutschen Krieg folgten, ist die Erhaltung des Friedenszustandes auch heute noch
wesentlich von dem Grade der Achtung bedingt, den das deutsche Heer und der
leitende deutsche Staatsmann den Nachbarn einzuflößen vermögen. Wegen unsers
guten Rechts tut uns ebensowenig jemand einen Gefallen wie um unsrer „schönen
Augen" willen. Wie Moltke zutreffend bemerkte, ist nur auf der Grundlage der
kriegerischen Erfolge und aus Furcht vor der Schärfe des deutschen Schwerts


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[0063] Über Machtfrcigen eines nationalen Staats in Deutschland und in Italien zu hindern, ebenso¬ wenig aber hatten die tiefgehendsten Volksbewegungen, Agitationen, nationale Vereine, Beschlüsse und Vaterlandslieder mehr bewirken können, als die Ge¬ müter vorzubereiten. Erst als die militärische Entscheidung gefallen war, stand der Nationalstaat im Handumdrehen fix und fertig da, etwas anders vielleicht, als ihn die nationalen Bestrebungen gedacht hatten, aber jedenfalls mächtiger. Daß Italien dabei aus den deutschen Erfolgen einen größern Vorteil gezogen hat als aus den eignen, ändert an der Tatsache nichts. Was Hütte aber die größte Staatskunst Bismarcks vermocht, wenn die Entscheidungen auf dem Schlachtfeld nicht so unwiderstehlich ausgefallen wären? Die Einmischung des Auslands stand 1866 wie 1870 vor der Tür und wäre nicht ausgeblieben, wenn man dem siegreichen Heere etwas Ebenbürtiges entgegenzustellen vermocht Hütte. Daß Bismarck die gegebne militärische Lage zugleich mit sorglicher Rück¬ sichtnahme auf die Zukunft wie im übrigen rücksichtslos ausgenützt hat, bleibt sein unvergängliches Verdienst, aber die militärischen Entscheidungen gaben ihm erst die feste Grundlage, auch für die weitere Zukunft, solange ihre Nach¬ wirkung anhielt. Diese unerbittliche Tatsache wird in sichern Friedenszeiten leicht und gern wieder vergessen, aber kein Volk hat es öfter und bitterer bereuen müssen, sie vergessen zu haben, als gerade das deutsche. Mit Abrüstung und dergleichen hätten wir weder ein Deutsches Reich errungen, noch würden wir es erhalten können, denn wir sind wegen unsrer geographischen Lage zu vielen im Wege. Es wird auch auf die Dauer nicht gelingen, weltbewegende Fragen, die noch auf der Tagesordnung stehn, ausschließlich mit friedlichen Noten zu lösen. Diese Noten werden überhaupt nur bewertet nach dem militärischen Nachdruck, der zu ihrer Unterstützung angewandt werden könnte; ob sie gerecht und sach¬ lich begründet sind, steht erst in zweiter Linie. Gewalt geht vor Recht, sagt schon das Sprichwort; jedenfalls gibt es ohne Macht kein Recht. Auch im bürgerlichen Leben nicht, nur wird dabei die Macht des Staats angerufen. Ohne sie würde sich kein Mensch der richterlichen Entscheidung fügen, die ja doch nur begehrt wird, weil im jeweiligen Falle die Anschauungen über das Recht ver¬ schieden find. In internationalen Fragen ist Recht ohne Macht überhaupt ein inhaltsleeres Gebilde. Was würde uns das uralte geschichtliche Recht auf die Reichslande nützen, wenn es nicht durch unsre Armee gewährleistet würde? Die Abrüstler und Pazifisten würden uns nicht dazu verhelfen, heute nicht und in aller Zukunft auch nicht. Gerade wie in den Jahren, die auf den letzten großen deutschen Krieg folgten, ist die Erhaltung des Friedenszustandes auch heute noch wesentlich von dem Grade der Achtung bedingt, den das deutsche Heer und der leitende deutsche Staatsmann den Nachbarn einzuflößen vermögen. Wegen unsers guten Rechts tut uns ebensowenig jemand einen Gefallen wie um unsrer „schönen Augen" willen. Wie Moltke zutreffend bemerkte, ist nur auf der Grundlage der kriegerischen Erfolge und aus Furcht vor der Schärfe des deutschen Schwerts

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/63>, abgerufen am 12.12.2024.