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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Konfession und Wirtschaftsleben

der diese Anschauung in den Text eines römischen Juristen hineininterpretiert
(Wasser, Ufer und Luft gehöre nach Naturrecht allen gemeinsam), geht in das
kanonische Recht die Lehre über, das Naturrecht fordere den gemeinsamen Besitz
aller Güter, Freilich wurde das Verbot des Diebstahls und aller andern Ver¬
gehungen gegen das Privateigentum nach wie vor eingeschärft, aber man be¬
trachtete dieses als einen nicht mehr zu ändernden Abfall von der ursprüng¬
lichen Naturordnung, der durch Almosen gesühnt werden müsse. Thomas nimmt
den Satz: nach Naturrecht ist alles gemeinsam, zwar an, gibt ihm aber eine
neue Bedeutung. Es werde damit weder der Gemeinbesitz empfohlen, noch das
Privateigentum verboten, sondern nur gesagt, daß die Eigentumsverteilung eine
Wirkung des positiven Rechts sei. Demnach sei das Privateigentum nicht gegen
die Natur, sondern komme als ein Ergebnis der Vernunfttätigkeit zur Natur
hinzu (Iluäs xroxristas xosssWwnuiu nein sse voudra jus ng-wriits, shal fnri
neckurali suxöracläitur per aäinvövtioiiem, r^tionis llumg-ng-e). Das ist ganz
dasselbe, wie wenn die neuern Staatsrechtslehrer sagen: außerhalb des
Staates, von Natur, gibt es kein Recht; erst der Staat schafft das Recht.
Sehr gut ist die folgende Stelle. "Von Naturrechts wegen, das kann einen
zweifachen Sinn haben. Man kann damit meinen, daß die Natur dazu neige,
zum Beispiel dem Nächsten kein Unrecht zuzufügen; oder auch, daß das Gegenteil
von Natur uicht vorhanden ist. So könnte man sagen, es sei für den Menschen
das Natürliche, nackt zu gehn, weil nicht die Natur ihm Kleider gibt, sondern
die Kunst sie erfindet. So darf man auch sagen, von Natur sei aller Besitz
gemeinsam und seien alle Menschen gleich frei, weil die Besitzverteilung und die
Sklaverei nicht von der Natur, sondern zur bessern Gestaltung des mensch¬
lichen Lebens (ack utiliwtsin Iiuing.iiÄ6 vitg.6) vou der Vernunft der Menschen
eingeführt worden sind." Thomas spricht hier in sehr cmsprnchloser Form die
Wahrheit aus, die vielen Naturschwärmern bis auf den heutigen Tag noch nicht
aufgegangen ist, daß der Menschenvernnnft die Aufgabe gestellt ist, die Natur
durch die Kultur zu vollenden, oder um es kurz zu sagen, daß der Mensch kein
Tier ist.

Daß das Privateigentum eine Folge der Sünde sei, gesteht Thomas den
Kirchenvätern zu, nur meint er auch dieses wieder anders als sie. Während
sie die Entstehung des Privatbesitzes auf wirkliche Frevel einzelner, auf Raub
zurückführten, hält Thomas nur die Sündhaftigkeit des Menschengeschlechts im
allgemeinen für die Ursache, daß das Privateigentum notwendig geworden sei;
eine sündelose Menschheit hätte die Güter ohne Zwietracht gemeinsam besitzen
und genießen können, wie das ja auch einer Genossenschaft von Männern oder
Frauen möglich sei, die nach der christlichen Vollkommenheit streben (hier ent¬
geht ihm die Hauptsache: daß in einer kleinen Genossenschaft sehr vieles möglich
ist, unter anderen auch die Demokratie, was in einer großen oder gar in einem
nach Millionen zählenden Volke immer unmöglich sein wird). Die Verderbnis
der Sünde hat das nun geändert; diese jedoch vorausgesetzt, ist das Privat-


Konfession und Wirtschaftsleben

der diese Anschauung in den Text eines römischen Juristen hineininterpretiert
(Wasser, Ufer und Luft gehöre nach Naturrecht allen gemeinsam), geht in das
kanonische Recht die Lehre über, das Naturrecht fordere den gemeinsamen Besitz
aller Güter, Freilich wurde das Verbot des Diebstahls und aller andern Ver¬
gehungen gegen das Privateigentum nach wie vor eingeschärft, aber man be¬
trachtete dieses als einen nicht mehr zu ändernden Abfall von der ursprüng¬
lichen Naturordnung, der durch Almosen gesühnt werden müsse. Thomas nimmt
den Satz: nach Naturrecht ist alles gemeinsam, zwar an, gibt ihm aber eine
neue Bedeutung. Es werde damit weder der Gemeinbesitz empfohlen, noch das
Privateigentum verboten, sondern nur gesagt, daß die Eigentumsverteilung eine
Wirkung des positiven Rechts sei. Demnach sei das Privateigentum nicht gegen
die Natur, sondern komme als ein Ergebnis der Vernunfttätigkeit zur Natur
hinzu (Iluäs xroxristas xosssWwnuiu nein sse voudra jus ng-wriits, shal fnri
neckurali suxöracläitur per aäinvövtioiiem, r^tionis llumg-ng-e). Das ist ganz
dasselbe, wie wenn die neuern Staatsrechtslehrer sagen: außerhalb des
Staates, von Natur, gibt es kein Recht; erst der Staat schafft das Recht.
Sehr gut ist die folgende Stelle. „Von Naturrechts wegen, das kann einen
zweifachen Sinn haben. Man kann damit meinen, daß die Natur dazu neige,
zum Beispiel dem Nächsten kein Unrecht zuzufügen; oder auch, daß das Gegenteil
von Natur uicht vorhanden ist. So könnte man sagen, es sei für den Menschen
das Natürliche, nackt zu gehn, weil nicht die Natur ihm Kleider gibt, sondern
die Kunst sie erfindet. So darf man auch sagen, von Natur sei aller Besitz
gemeinsam und seien alle Menschen gleich frei, weil die Besitzverteilung und die
Sklaverei nicht von der Natur, sondern zur bessern Gestaltung des mensch¬
lichen Lebens (ack utiliwtsin Iiuing.iiÄ6 vitg.6) vou der Vernunft der Menschen
eingeführt worden sind." Thomas spricht hier in sehr cmsprnchloser Form die
Wahrheit aus, die vielen Naturschwärmern bis auf den heutigen Tag noch nicht
aufgegangen ist, daß der Menschenvernnnft die Aufgabe gestellt ist, die Natur
durch die Kultur zu vollenden, oder um es kurz zu sagen, daß der Mensch kein
Tier ist.

Daß das Privateigentum eine Folge der Sünde sei, gesteht Thomas den
Kirchenvätern zu, nur meint er auch dieses wieder anders als sie. Während
sie die Entstehung des Privatbesitzes auf wirkliche Frevel einzelner, auf Raub
zurückführten, hält Thomas nur die Sündhaftigkeit des Menschengeschlechts im
allgemeinen für die Ursache, daß das Privateigentum notwendig geworden sei;
eine sündelose Menschheit hätte die Güter ohne Zwietracht gemeinsam besitzen
und genießen können, wie das ja auch einer Genossenschaft von Männern oder
Frauen möglich sei, die nach der christlichen Vollkommenheit streben (hier ent¬
geht ihm die Hauptsache: daß in einer kleinen Genossenschaft sehr vieles möglich
ist, unter anderen auch die Demokratie, was in einer großen oder gar in einem
nach Millionen zählenden Volke immer unmöglich sein wird). Die Verderbnis
der Sünde hat das nun geändert; diese jedoch vorausgesetzt, ist das Privat-


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[0512] Konfession und Wirtschaftsleben der diese Anschauung in den Text eines römischen Juristen hineininterpretiert (Wasser, Ufer und Luft gehöre nach Naturrecht allen gemeinsam), geht in das kanonische Recht die Lehre über, das Naturrecht fordere den gemeinsamen Besitz aller Güter, Freilich wurde das Verbot des Diebstahls und aller andern Ver¬ gehungen gegen das Privateigentum nach wie vor eingeschärft, aber man be¬ trachtete dieses als einen nicht mehr zu ändernden Abfall von der ursprüng¬ lichen Naturordnung, der durch Almosen gesühnt werden müsse. Thomas nimmt den Satz: nach Naturrecht ist alles gemeinsam, zwar an, gibt ihm aber eine neue Bedeutung. Es werde damit weder der Gemeinbesitz empfohlen, noch das Privateigentum verboten, sondern nur gesagt, daß die Eigentumsverteilung eine Wirkung des positiven Rechts sei. Demnach sei das Privateigentum nicht gegen die Natur, sondern komme als ein Ergebnis der Vernunfttätigkeit zur Natur hinzu (Iluäs xroxristas xosssWwnuiu nein sse voudra jus ng-wriits, shal fnri neckurali suxöracläitur per aäinvövtioiiem, r^tionis llumg-ng-e). Das ist ganz dasselbe, wie wenn die neuern Staatsrechtslehrer sagen: außerhalb des Staates, von Natur, gibt es kein Recht; erst der Staat schafft das Recht. Sehr gut ist die folgende Stelle. „Von Naturrechts wegen, das kann einen zweifachen Sinn haben. Man kann damit meinen, daß die Natur dazu neige, zum Beispiel dem Nächsten kein Unrecht zuzufügen; oder auch, daß das Gegenteil von Natur uicht vorhanden ist. So könnte man sagen, es sei für den Menschen das Natürliche, nackt zu gehn, weil nicht die Natur ihm Kleider gibt, sondern die Kunst sie erfindet. So darf man auch sagen, von Natur sei aller Besitz gemeinsam und seien alle Menschen gleich frei, weil die Besitzverteilung und die Sklaverei nicht von der Natur, sondern zur bessern Gestaltung des mensch¬ lichen Lebens (ack utiliwtsin Iiuing.iiÄ6 vitg.6) vou der Vernunft der Menschen eingeführt worden sind." Thomas spricht hier in sehr cmsprnchloser Form die Wahrheit aus, die vielen Naturschwärmern bis auf den heutigen Tag noch nicht aufgegangen ist, daß der Menschenvernnnft die Aufgabe gestellt ist, die Natur durch die Kultur zu vollenden, oder um es kurz zu sagen, daß der Mensch kein Tier ist. Daß das Privateigentum eine Folge der Sünde sei, gesteht Thomas den Kirchenvätern zu, nur meint er auch dieses wieder anders als sie. Während sie die Entstehung des Privatbesitzes auf wirkliche Frevel einzelner, auf Raub zurückführten, hält Thomas nur die Sündhaftigkeit des Menschengeschlechts im allgemeinen für die Ursache, daß das Privateigentum notwendig geworden sei; eine sündelose Menschheit hätte die Güter ohne Zwietracht gemeinsam besitzen und genießen können, wie das ja auch einer Genossenschaft von Männern oder Frauen möglich sei, die nach der christlichen Vollkommenheit streben (hier ent¬ geht ihm die Hauptsache: daß in einer kleinen Genossenschaft sehr vieles möglich ist, unter anderen auch die Demokratie, was in einer großen oder gar in einem nach Millionen zählenden Volke immer unmöglich sein wird). Die Verderbnis der Sünde hat das nun geändert; diese jedoch vorausgesetzt, ist das Privat-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/512>, abgerufen am 28.07.2024.