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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Ägypten im Jahre ^06

sondern auch zwischen Europäern verschiedner Nationalität mit sich bringen.
Eine wirkliche Zusammenfassung aller kann nur erreicht werden durch die
Schaffung eines lokalen internationalen Gesetzgebenden Rates. Neben andern
Gründen spricht für eine solche Schöpfung der Umstand, daß dadurch eine
Interessengemeinschaft zwischen der so vielfach verschiednen Bevölkerung des
Niltales entstünde und mit ihm der erste Schritt auf der Bahn zu einem
ägyptischen Nationalgeist. Und wenn auch die Verwirklichung dieses Gedankens
noch lange auf sich warten lassen wird, so ist sein endgiltiger Erfolg doch mit
Sicherheit zu erwarten.

Daß in Ägypten, wie anderswo, die Presse eine bedeutende Rolle spielt,
zumal die eingeborne, ist durchaus begreiflich. Lord Curzon war immer der
Ansicht, ihr einen ziemlich freien Spielraum zu lassen, im Gegensatz zu manchen
andern, die einschränkende Maßnahmen lieber sehen. Denn eine Reihe von
Blattern in arabischer Sprache benutzt ihre Verbreitung zu wühlerischer und
hetzerischer Tätigkeit. Auch Gründe, die im letzten Jahre zu einer Einschränkung
der Presse hätten führen können, hat Lord Curzon nicht in diesem Sinne auf
sich wirken lassen. Er hat zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung,
und um deu treuen Auhüngern der Negierung Vertrauen einzuflößen, eine
Verstärkung der britischen Garnison beantragt; zu diesem Zwecke muß eine
neue Summe von 900000 Mark auf die Köpfe der ägyptischen Steuerzahler
umgelegt werden.

Lord Cromer liest selbst zahlreiche arabische Zeitungen, die sich gegen die
britische Regierung richten, kommt aber zu dem Schluß, daß diese ganze arabische
Presse voll von Irrtümern und fanatischen Ideen ist und weder in ihren An¬
schauungen noch in ihren Beweggründen auf der Höhe steht. Nirgends finden
sich klare, verständig geschriebne Artikel über Verwaltung^- und Rechts¬
fragen u. a., die irgendwelchen höhern Wert hätten. Anders die europäische
Presse, die, vereinzelte Schmutzblätter ausgenommen, einen durchaus wohl¬
tätigen Einfluß auszuüben vermag.

Eine wichtige Rolle in der Frage der besten Leitung der innern Ver¬
waltung des Landes spielen die "Kapitulationen". Die Absicht Lord Cromers
geht schon seit längerer Zeit dahin, dieses System der Kapitulationen abzuändern
und modern zu gestalten. Dagegen handelt es sich nicht, wie vielfach fälschlich
behauptet wird, um eine Ablösung dieser Kapitulationen und um eine Auf¬
hebung der den Europäern heutzutage gewährten Rechte und Privilegien. Es
wird hier keine Gerichtsreform geplant, sondern eine Reform des gesetz¬
geberischen Systems. Diese aber ist nötig, da heutzutage, wenig Fälle aus¬
genommen, ein auf die in Ägypten wohnenden Europäer anwendbares wichtiges
Gesetz nicht Zustandekommen kann ohne die Zustimmung von fünfzehn ver¬
schiednen Mächten. Dadurch ist Ägypten auf einem Standpunkt gesetzgeberischer
Impotenz festgelegt, denn die Übereinstimmung aller Mächte zu erreichen, ge¬
lingt erfahrungsgemäß höchstens bei Angelegenheiten von größter Wichtigkeit;


Ägypten im Jahre ^06

sondern auch zwischen Europäern verschiedner Nationalität mit sich bringen.
Eine wirkliche Zusammenfassung aller kann nur erreicht werden durch die
Schaffung eines lokalen internationalen Gesetzgebenden Rates. Neben andern
Gründen spricht für eine solche Schöpfung der Umstand, daß dadurch eine
Interessengemeinschaft zwischen der so vielfach verschiednen Bevölkerung des
Niltales entstünde und mit ihm der erste Schritt auf der Bahn zu einem
ägyptischen Nationalgeist. Und wenn auch die Verwirklichung dieses Gedankens
noch lange auf sich warten lassen wird, so ist sein endgiltiger Erfolg doch mit
Sicherheit zu erwarten.

Daß in Ägypten, wie anderswo, die Presse eine bedeutende Rolle spielt,
zumal die eingeborne, ist durchaus begreiflich. Lord Curzon war immer der
Ansicht, ihr einen ziemlich freien Spielraum zu lassen, im Gegensatz zu manchen
andern, die einschränkende Maßnahmen lieber sehen. Denn eine Reihe von
Blattern in arabischer Sprache benutzt ihre Verbreitung zu wühlerischer und
hetzerischer Tätigkeit. Auch Gründe, die im letzten Jahre zu einer Einschränkung
der Presse hätten führen können, hat Lord Curzon nicht in diesem Sinne auf
sich wirken lassen. Er hat zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung,
und um deu treuen Auhüngern der Negierung Vertrauen einzuflößen, eine
Verstärkung der britischen Garnison beantragt; zu diesem Zwecke muß eine
neue Summe von 900000 Mark auf die Köpfe der ägyptischen Steuerzahler
umgelegt werden.

Lord Cromer liest selbst zahlreiche arabische Zeitungen, die sich gegen die
britische Regierung richten, kommt aber zu dem Schluß, daß diese ganze arabische
Presse voll von Irrtümern und fanatischen Ideen ist und weder in ihren An¬
schauungen noch in ihren Beweggründen auf der Höhe steht. Nirgends finden
sich klare, verständig geschriebne Artikel über Verwaltung^- und Rechts¬
fragen u. a., die irgendwelchen höhern Wert hätten. Anders die europäische
Presse, die, vereinzelte Schmutzblätter ausgenommen, einen durchaus wohl¬
tätigen Einfluß auszuüben vermag.

Eine wichtige Rolle in der Frage der besten Leitung der innern Ver¬
waltung des Landes spielen die „Kapitulationen". Die Absicht Lord Cromers
geht schon seit längerer Zeit dahin, dieses System der Kapitulationen abzuändern
und modern zu gestalten. Dagegen handelt es sich nicht, wie vielfach fälschlich
behauptet wird, um eine Ablösung dieser Kapitulationen und um eine Auf¬
hebung der den Europäern heutzutage gewährten Rechte und Privilegien. Es
wird hier keine Gerichtsreform geplant, sondern eine Reform des gesetz¬
geberischen Systems. Diese aber ist nötig, da heutzutage, wenig Fälle aus¬
genommen, ein auf die in Ägypten wohnenden Europäer anwendbares wichtiges
Gesetz nicht Zustandekommen kann ohne die Zustimmung von fünfzehn ver¬
schiednen Mächten. Dadurch ist Ägypten auf einem Standpunkt gesetzgeberischer
Impotenz festgelegt, denn die Übereinstimmung aller Mächte zu erreichen, ge¬
lingt erfahrungsgemäß höchstens bei Angelegenheiten von größter Wichtigkeit;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/445>, abgerufen am 01.09.2024.