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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Ägypten im Jahre 1^06

aber auch bei weniger wichtigen Fragen ist das ganze Verfahren so zeitraubend,
daß meist die ägyptische Regierung, bei der die Initiative liegt, schon von
vornherein auf einen Versuch verzichtet. Das Unhaltbare dieses Zustandes
aber nimmt von Jahr zu Jahr zu im Zusammenhang mit den Kultur¬
fortschritten, die bei immer zahlreichern Fragen eine gesetzliche Regelung nötig
machen.

Der neue Vorschlag geht dahin, die Gesetzgebung durch die Diplomatie
teilweise abzulösen und an ihre Stelle die gesetzgeberische Tätigkeit eines nur
aus Europäern bestehenden lokalen Rates zu setzen. Jedes Gesetz müßte dann
künftig, um Giltigkeit zu erlangen, von der Mehrheit dieses Rates angenommen
sein und die Billigung der ägyptischen und der britischen Regierung ge¬
funden haben.

Eine solche Änderung ist aber für Lord Cromer wohl denkbar ohne die
von mancher Seite verlangte Übernahme eines ausgesprochnen Protektorats
über Ägypten, die auf unübersteigbare Schwierigkeiten stoßen und eine Änderung
des gesamten politischen Status nötig machen würde, während andrerseits die
Dauer der britischen Besetzung ohne zeitliche Beschränkung von mehreren Gro߬
mächten zugestanden wurde.

Welches sind nun aber die derzeitigen Vorrechte der Europäer? Es sind
die folgenden: 1. die Behandlung aller zivilem oder Handelsstreitfälle und
aller Streitfälle um Landbesitz zwischen Europäern und Ägyptern oder zwischen
Europäern verschiedner Nationalität durch "Gemischte Gerichtshöfe"; 2. die
Erledigung von Strafsachen gegen Europäer durch Konsulargerichtshöfe auf
Grund ihrer heimischen Gesetze; 3. Verbot des Betretens der Häuser von
Europäern durch die Polizei, außer, nachdem die Erlaubnis des konsularischen
Vertreters des betreffenden Landes eingeholt worden ist und in Anwesenheit
eines Konsulatsbeamten; 4. direkte Steuern dürfen Europäern nur mit Zu¬
stimmung aller Mächte auferlegt werden.

Im einzelnen durchzuführen, wie sich Lord Cromer die Neuregelung dieser
Vorrechte nach den von ihm geplanten Reformen gedacht hat, dazu fehlt hier
der Raum. In großen Zügen ging seine Ansicht dahin, den fünfjährigen
Wechsel in den "Gemischter Gerichtshöfen" aufzuheben und ein System un¬
verändert bleibender Gerichtshöfe in derselben Zusammensetzung wirken zu lassen
bis zu einem Zeitpunkt, wo der zu schafsende lokale internationale Gesetzgebende
Rat Änderungen ausgearbeitet hat, die die Billigung beider Regierungen
finden. Die Konsulargerichtshöfe sollten aufhören und an ihre Stelle Straf¬
gerichte treten, über deren Zusammensetzung und Machtvollkommenheit der nur
aus Europäern zusammengesetzte Rat zu befinden hätte. Um es der Polizei
zu ermöglichen, das Haus eines Europäers zu Haussuchungen u. a. zu be¬
treten, würde an Stelle der vorher einzuholenden Erlaubnis des betreffenden
Konsuls die Zustimmung eines europäischen Beamten und die Anwesenheit
eines europäischen Polizeioffiziers verlangt werden. Eine Vermehrung der


Ägypten im Jahre 1^06

aber auch bei weniger wichtigen Fragen ist das ganze Verfahren so zeitraubend,
daß meist die ägyptische Regierung, bei der die Initiative liegt, schon von
vornherein auf einen Versuch verzichtet. Das Unhaltbare dieses Zustandes
aber nimmt von Jahr zu Jahr zu im Zusammenhang mit den Kultur¬
fortschritten, die bei immer zahlreichern Fragen eine gesetzliche Regelung nötig
machen.

Der neue Vorschlag geht dahin, die Gesetzgebung durch die Diplomatie
teilweise abzulösen und an ihre Stelle die gesetzgeberische Tätigkeit eines nur
aus Europäern bestehenden lokalen Rates zu setzen. Jedes Gesetz müßte dann
künftig, um Giltigkeit zu erlangen, von der Mehrheit dieses Rates angenommen
sein und die Billigung der ägyptischen und der britischen Regierung ge¬
funden haben.

Eine solche Änderung ist aber für Lord Cromer wohl denkbar ohne die
von mancher Seite verlangte Übernahme eines ausgesprochnen Protektorats
über Ägypten, die auf unübersteigbare Schwierigkeiten stoßen und eine Änderung
des gesamten politischen Status nötig machen würde, während andrerseits die
Dauer der britischen Besetzung ohne zeitliche Beschränkung von mehreren Gro߬
mächten zugestanden wurde.

Welches sind nun aber die derzeitigen Vorrechte der Europäer? Es sind
die folgenden: 1. die Behandlung aller zivilem oder Handelsstreitfälle und
aller Streitfälle um Landbesitz zwischen Europäern und Ägyptern oder zwischen
Europäern verschiedner Nationalität durch „Gemischte Gerichtshöfe"; 2. die
Erledigung von Strafsachen gegen Europäer durch Konsulargerichtshöfe auf
Grund ihrer heimischen Gesetze; 3. Verbot des Betretens der Häuser von
Europäern durch die Polizei, außer, nachdem die Erlaubnis des konsularischen
Vertreters des betreffenden Landes eingeholt worden ist und in Anwesenheit
eines Konsulatsbeamten; 4. direkte Steuern dürfen Europäern nur mit Zu¬
stimmung aller Mächte auferlegt werden.

Im einzelnen durchzuführen, wie sich Lord Cromer die Neuregelung dieser
Vorrechte nach den von ihm geplanten Reformen gedacht hat, dazu fehlt hier
der Raum. In großen Zügen ging seine Ansicht dahin, den fünfjährigen
Wechsel in den „Gemischter Gerichtshöfen" aufzuheben und ein System un¬
verändert bleibender Gerichtshöfe in derselben Zusammensetzung wirken zu lassen
bis zu einem Zeitpunkt, wo der zu schafsende lokale internationale Gesetzgebende
Rat Änderungen ausgearbeitet hat, die die Billigung beider Regierungen
finden. Die Konsulargerichtshöfe sollten aufhören und an ihre Stelle Straf¬
gerichte treten, über deren Zusammensetzung und Machtvollkommenheit der nur
aus Europäern zusammengesetzte Rat zu befinden hätte. Um es der Polizei
zu ermöglichen, das Haus eines Europäers zu Haussuchungen u. a. zu be¬
treten, würde an Stelle der vorher einzuholenden Erlaubnis des betreffenden
Konsuls die Zustimmung eines europäischen Beamten und die Anwesenheit
eines europäischen Polizeioffiziers verlangt werden. Eine Vermehrung der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/446>, abgerufen am 01.09.2024.