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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Burgenzauber

Weniger als 238 Seiten gedrängt gesammelt findet: ein Chaos von Meinungen,
Empfindungen, Warnungen, Wünschen. Allen gemeinsam eine treibende Kraft,
die pietätvolle Erhaltung der ehrwürdigen Reste vergangner Zeiten gebieterisch
heischt: nichts andres im Grunde als der Burgenzauber, und je nachdem er so
oder so entzückt, fällt auch die Antwort auf die Frage aus: Ruinenerhaltuug
oder Ausbau.

Wenn etwas Sache des Gemüts ist, so ist es unser Empfinden im An¬
blick eines solchen herrlichen Baudenkmals, in das Jahrhunderte ihre Zeichen
wie in ein steinern Stammbuch eingeschrieben haben. Da aber kein Empfinden
eines Menschen dem eines andern gleicht, so wenig wie ein Blatt dem andern,
so brauchen wir zur Lösung des Rätsels, warum es auch hier nicht ohne
Streit und Zank abgehn kann, keinen Schlüssel mehr. Man wird niemals eine
allgemein befriedigende Abgrenzung der Gefühle finden und aussprechen können,
die ausgelöst werden, wenn wir in Halle und Saal, Turm oder Verlies
herumwandelnd den "Odem der Vergangenheit" um uns spüren; nicht definieren
wird man, sondern nur die verschiednen Farben registrieren, in denen der Be¬
griff des Burgenzaubers im Laufe der Jahre geschillert hat, und sich die aus¬
wählen, die dem eignen Empfinden am nächsten kommen.

Sehr mit Recht hat man gesagt (Krollmann im "Burgwart" I, 78), in
eine mittel- oder süddeutsche Landschaft gehöre notwendig vor unser geistiges
Auge eine ragende Burg oder eine einsame Ruine. Ebenda können wir auch
lesen, das ästhetische Wohlgefallen an Burgresten komme daher, daß das in den
meisten Fällen sehr augenfällig liegende Bauwerk mit seinen ausgeprägten,
geraden und eckigen Linien einen angenehmen Gegensatz zu den meist runden
und fließenden Konturen des Berglandes bilde, seine Masse biete dem Auge
einen erwünschten Ruhepunkt. Das eigentlich Romantische scheine auf ein Er¬
innerungsgefühl zurückzuführen zu sein. "Bei den meisten Menschen werden
diese Gefühle um so romantischer sein, je unbestimmter sie sind. Gedanken an
die Vergänglichkeit alles Irdischen, ein wenig Träumerei von einem phantastischen
Mittelalter, mehr gibt uns auch ein Sänger wie Eichendorff nicht!"

Dieses ist in der Tat eine treffende Erklärung der Gefühle, mit denen
die breite Masse der zahllosen Menschen, die jetzt Burgruinen erschauen oder
ersteigen, diese betrachten. Denken die einen dabei an die Stunden des Friedens
und beleben den Raum, unter der Burglinde ruhend, mit Gestalten aus der
Blütezeit des Rittertums, so schweifen andre im Anblick der Schießscharten,
Pechnasen und Bollwerke mit ihren Gedanken in die Zeit, wo Wall und
Graben sichrer waren als Worte und verbrieft Geleit. Der Reiz wird erhöht
durch die befriedigte Wanderlust, die reine Luft in der Höhe des oft nur
mühselig zu erklimmenden Berchfrits, den weiten Blick in deutsches Land über
Wälder und Höhen, Berg und Tal. Neuerdings, wo auch an den entlegensten
Plätzen für des Leibes Notdurft gesorgt ist (freilich an Burgplätzen nicht
immer zur Freude des Geschichtsfreunds), mag die Liebe zur Burg bei manchem


Burgenzauber

Weniger als 238 Seiten gedrängt gesammelt findet: ein Chaos von Meinungen,
Empfindungen, Warnungen, Wünschen. Allen gemeinsam eine treibende Kraft,
die pietätvolle Erhaltung der ehrwürdigen Reste vergangner Zeiten gebieterisch
heischt: nichts andres im Grunde als der Burgenzauber, und je nachdem er so
oder so entzückt, fällt auch die Antwort auf die Frage aus: Ruinenerhaltuug
oder Ausbau.

Wenn etwas Sache des Gemüts ist, so ist es unser Empfinden im An¬
blick eines solchen herrlichen Baudenkmals, in das Jahrhunderte ihre Zeichen
wie in ein steinern Stammbuch eingeschrieben haben. Da aber kein Empfinden
eines Menschen dem eines andern gleicht, so wenig wie ein Blatt dem andern,
so brauchen wir zur Lösung des Rätsels, warum es auch hier nicht ohne
Streit und Zank abgehn kann, keinen Schlüssel mehr. Man wird niemals eine
allgemein befriedigende Abgrenzung der Gefühle finden und aussprechen können,
die ausgelöst werden, wenn wir in Halle und Saal, Turm oder Verlies
herumwandelnd den „Odem der Vergangenheit" um uns spüren; nicht definieren
wird man, sondern nur die verschiednen Farben registrieren, in denen der Be¬
griff des Burgenzaubers im Laufe der Jahre geschillert hat, und sich die aus¬
wählen, die dem eignen Empfinden am nächsten kommen.

Sehr mit Recht hat man gesagt (Krollmann im „Burgwart" I, 78), in
eine mittel- oder süddeutsche Landschaft gehöre notwendig vor unser geistiges
Auge eine ragende Burg oder eine einsame Ruine. Ebenda können wir auch
lesen, das ästhetische Wohlgefallen an Burgresten komme daher, daß das in den
meisten Fällen sehr augenfällig liegende Bauwerk mit seinen ausgeprägten,
geraden und eckigen Linien einen angenehmen Gegensatz zu den meist runden
und fließenden Konturen des Berglandes bilde, seine Masse biete dem Auge
einen erwünschten Ruhepunkt. Das eigentlich Romantische scheine auf ein Er¬
innerungsgefühl zurückzuführen zu sein. „Bei den meisten Menschen werden
diese Gefühle um so romantischer sein, je unbestimmter sie sind. Gedanken an
die Vergänglichkeit alles Irdischen, ein wenig Träumerei von einem phantastischen
Mittelalter, mehr gibt uns auch ein Sänger wie Eichendorff nicht!"

Dieses ist in der Tat eine treffende Erklärung der Gefühle, mit denen
die breite Masse der zahllosen Menschen, die jetzt Burgruinen erschauen oder
ersteigen, diese betrachten. Denken die einen dabei an die Stunden des Friedens
und beleben den Raum, unter der Burglinde ruhend, mit Gestalten aus der
Blütezeit des Rittertums, so schweifen andre im Anblick der Schießscharten,
Pechnasen und Bollwerke mit ihren Gedanken in die Zeit, wo Wall und
Graben sichrer waren als Worte und verbrieft Geleit. Der Reiz wird erhöht
durch die befriedigte Wanderlust, die reine Luft in der Höhe des oft nur
mühselig zu erklimmenden Berchfrits, den weiten Blick in deutsches Land über
Wälder und Höhen, Berg und Tal. Neuerdings, wo auch an den entlegensten
Plätzen für des Leibes Notdurft gesorgt ist (freilich an Burgplätzen nicht
immer zur Freude des Geschichtsfreunds), mag die Liebe zur Burg bei manchem


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[0411] Burgenzauber Weniger als 238 Seiten gedrängt gesammelt findet: ein Chaos von Meinungen, Empfindungen, Warnungen, Wünschen. Allen gemeinsam eine treibende Kraft, die pietätvolle Erhaltung der ehrwürdigen Reste vergangner Zeiten gebieterisch heischt: nichts andres im Grunde als der Burgenzauber, und je nachdem er so oder so entzückt, fällt auch die Antwort auf die Frage aus: Ruinenerhaltuug oder Ausbau. Wenn etwas Sache des Gemüts ist, so ist es unser Empfinden im An¬ blick eines solchen herrlichen Baudenkmals, in das Jahrhunderte ihre Zeichen wie in ein steinern Stammbuch eingeschrieben haben. Da aber kein Empfinden eines Menschen dem eines andern gleicht, so wenig wie ein Blatt dem andern, so brauchen wir zur Lösung des Rätsels, warum es auch hier nicht ohne Streit und Zank abgehn kann, keinen Schlüssel mehr. Man wird niemals eine allgemein befriedigende Abgrenzung der Gefühle finden und aussprechen können, die ausgelöst werden, wenn wir in Halle und Saal, Turm oder Verlies herumwandelnd den „Odem der Vergangenheit" um uns spüren; nicht definieren wird man, sondern nur die verschiednen Farben registrieren, in denen der Be¬ griff des Burgenzaubers im Laufe der Jahre geschillert hat, und sich die aus¬ wählen, die dem eignen Empfinden am nächsten kommen. Sehr mit Recht hat man gesagt (Krollmann im „Burgwart" I, 78), in eine mittel- oder süddeutsche Landschaft gehöre notwendig vor unser geistiges Auge eine ragende Burg oder eine einsame Ruine. Ebenda können wir auch lesen, das ästhetische Wohlgefallen an Burgresten komme daher, daß das in den meisten Fällen sehr augenfällig liegende Bauwerk mit seinen ausgeprägten, geraden und eckigen Linien einen angenehmen Gegensatz zu den meist runden und fließenden Konturen des Berglandes bilde, seine Masse biete dem Auge einen erwünschten Ruhepunkt. Das eigentlich Romantische scheine auf ein Er¬ innerungsgefühl zurückzuführen zu sein. „Bei den meisten Menschen werden diese Gefühle um so romantischer sein, je unbestimmter sie sind. Gedanken an die Vergänglichkeit alles Irdischen, ein wenig Träumerei von einem phantastischen Mittelalter, mehr gibt uns auch ein Sänger wie Eichendorff nicht!" Dieses ist in der Tat eine treffende Erklärung der Gefühle, mit denen die breite Masse der zahllosen Menschen, die jetzt Burgruinen erschauen oder ersteigen, diese betrachten. Denken die einen dabei an die Stunden des Friedens und beleben den Raum, unter der Burglinde ruhend, mit Gestalten aus der Blütezeit des Rittertums, so schweifen andre im Anblick der Schießscharten, Pechnasen und Bollwerke mit ihren Gedanken in die Zeit, wo Wall und Graben sichrer waren als Worte und verbrieft Geleit. Der Reiz wird erhöht durch die befriedigte Wanderlust, die reine Luft in der Höhe des oft nur mühselig zu erklimmenden Berchfrits, den weiten Blick in deutsches Land über Wälder und Höhen, Berg und Tal. Neuerdings, wo auch an den entlegensten Plätzen für des Leibes Notdurft gesorgt ist (freilich an Burgplätzen nicht immer zur Freude des Geschichtsfreunds), mag die Liebe zur Burg bei manchem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/411>, abgerufen am 01.09.2024.