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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Burgenzauber

auf dem Umwege durch den Magen zum Herzen gedrungen sein, und der Reben¬
saft am burgenbesäten Rheinstrom dürfte hier sein redlich Teil getan haben
und tun.

Ganz anders dagegen wird es im Kopfe eines Bauverständigen aussehen,
der, sei es im Geiste, sei es in Wirklichkeit, neu schaffen will, was die Zeit,
Elemente und Menschenhände so grausam vernichtet haben. Da sind es Zahlen
und Maße, keine Gefühlsduselei, aber Freude an den Formen und Linien,
an Bogen und Säulen, ein prüfender Blick nach verschütteten Bauteilen, die
Mauerverbandstechnik und die Haltbarkeit des Materials, was ihm den Sinn
bewegt. Und wenn er dann im Anblick der wuchtigen, gewaltig getürmten
Vossenquadern nachempfindet:

so ist das noch ein erlaubter Rückschluß auf vergangne Tage. Weniger statthaft
und wünschenswert aber ist vom Standpunkt der historischen Wahrheit die so
sehr beliebte Weise von der "guten alten Zeit" voll Edelsinn und Biederkeit
und ihrer schönsten Verwirklichung auf Vergesgrat oder im Tale hinter Graben
und Wall, im Burgbereich. Wir wissen jetzt, gottlob, daß alle Zeiten gut und
schlecht waren, daß die Freuden und die Leiden der Menschheit immer im
Grunde dieselben sind und bleiben, und wenn überhaupt ein Vergleich ange¬
bracht wäre, so könnte der viel eher zugunsten unsrer Tage ausfallen.

Völlig im Banne dieser "guten alten Zeit" stehn noch die Worte: "Das
Herumwandeln auf den Trümmern alter Bürgen, den ehrwürdigen Wohnsitzen
längst verschwundner Generationen, hat immer etwas Feierliches, ich möchte
sagen. Heiliges, das jedes Gefühl unwillkürlich ergreift, und der Anblick dieser
stillen, ehrfurchtgebietenden Zeugen früherer Geschlechter, mit seiner ganzen
Masse von Erinnerungen, versenkt das Gemüt so leicht in jene melancholische
Schwärmerei, die, der Gegenwart vergessend, die Schatten der Vorwelt aus
ihren Gräbern hervorruft."

Dieser Geist durchweht die zehn Bände des Werkes von Friedrich Gott¬
schall über "Die Ritterburgen und Bergschlösser", das im neunzehnten Jahr¬
hundert wohl das meistgelesne Buch über diesen Gegenstand gewesen ist, bis
erst vor wenigen Jahren die Schriften von Piper (1895), Bodo Ebhardt (1900)
unter andern den höchst nötigen und ersehnten Ersatz gebracht haben, freilich
nicht, ohne unter den vorher oft sehr kritiklos aufgenommnen und weitver¬
breiteten Irrtümern und Fehlern gründlich und erbarmungslos aufzuräumen.

So freudig die Forschung dieses begrüßt, so berechtigt ist aber der Wunsch,
daß darum doch fortan der Born nicht ganz versiegen möge, aus dem die Ver¬
künder des Burgenzaubers schöpften und schöpfen.

Schier endlos ist die Reihe der Poeten, die, von unsern Bergschlössern
und Burgen gewaltig angeregt, ihrem dichterischen Empfinden den freiesten Lauf


Burgenzauber

auf dem Umwege durch den Magen zum Herzen gedrungen sein, und der Reben¬
saft am burgenbesäten Rheinstrom dürfte hier sein redlich Teil getan haben
und tun.

Ganz anders dagegen wird es im Kopfe eines Bauverständigen aussehen,
der, sei es im Geiste, sei es in Wirklichkeit, neu schaffen will, was die Zeit,
Elemente und Menschenhände so grausam vernichtet haben. Da sind es Zahlen
und Maße, keine Gefühlsduselei, aber Freude an den Formen und Linien,
an Bogen und Säulen, ein prüfender Blick nach verschütteten Bauteilen, die
Mauerverbandstechnik und die Haltbarkeit des Materials, was ihm den Sinn
bewegt. Und wenn er dann im Anblick der wuchtigen, gewaltig getürmten
Vossenquadern nachempfindet:

so ist das noch ein erlaubter Rückschluß auf vergangne Tage. Weniger statthaft
und wünschenswert aber ist vom Standpunkt der historischen Wahrheit die so
sehr beliebte Weise von der „guten alten Zeit" voll Edelsinn und Biederkeit
und ihrer schönsten Verwirklichung auf Vergesgrat oder im Tale hinter Graben
und Wall, im Burgbereich. Wir wissen jetzt, gottlob, daß alle Zeiten gut und
schlecht waren, daß die Freuden und die Leiden der Menschheit immer im
Grunde dieselben sind und bleiben, und wenn überhaupt ein Vergleich ange¬
bracht wäre, so könnte der viel eher zugunsten unsrer Tage ausfallen.

Völlig im Banne dieser „guten alten Zeit" stehn noch die Worte: „Das
Herumwandeln auf den Trümmern alter Bürgen, den ehrwürdigen Wohnsitzen
längst verschwundner Generationen, hat immer etwas Feierliches, ich möchte
sagen. Heiliges, das jedes Gefühl unwillkürlich ergreift, und der Anblick dieser
stillen, ehrfurchtgebietenden Zeugen früherer Geschlechter, mit seiner ganzen
Masse von Erinnerungen, versenkt das Gemüt so leicht in jene melancholische
Schwärmerei, die, der Gegenwart vergessend, die Schatten der Vorwelt aus
ihren Gräbern hervorruft."

Dieser Geist durchweht die zehn Bände des Werkes von Friedrich Gott¬
schall über „Die Ritterburgen und Bergschlösser", das im neunzehnten Jahr¬
hundert wohl das meistgelesne Buch über diesen Gegenstand gewesen ist, bis
erst vor wenigen Jahren die Schriften von Piper (1895), Bodo Ebhardt (1900)
unter andern den höchst nötigen und ersehnten Ersatz gebracht haben, freilich
nicht, ohne unter den vorher oft sehr kritiklos aufgenommnen und weitver¬
breiteten Irrtümern und Fehlern gründlich und erbarmungslos aufzuräumen.

So freudig die Forschung dieses begrüßt, so berechtigt ist aber der Wunsch,
daß darum doch fortan der Born nicht ganz versiegen möge, aus dem die Ver¬
künder des Burgenzaubers schöpften und schöpfen.

Schier endlos ist die Reihe der Poeten, die, von unsern Bergschlössern
und Burgen gewaltig angeregt, ihrem dichterischen Empfinden den freiesten Lauf


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[0412] Burgenzauber auf dem Umwege durch den Magen zum Herzen gedrungen sein, und der Reben¬ saft am burgenbesäten Rheinstrom dürfte hier sein redlich Teil getan haben und tun. Ganz anders dagegen wird es im Kopfe eines Bauverständigen aussehen, der, sei es im Geiste, sei es in Wirklichkeit, neu schaffen will, was die Zeit, Elemente und Menschenhände so grausam vernichtet haben. Da sind es Zahlen und Maße, keine Gefühlsduselei, aber Freude an den Formen und Linien, an Bogen und Säulen, ein prüfender Blick nach verschütteten Bauteilen, die Mauerverbandstechnik und die Haltbarkeit des Materials, was ihm den Sinn bewegt. Und wenn er dann im Anblick der wuchtigen, gewaltig getürmten Vossenquadern nachempfindet: so ist das noch ein erlaubter Rückschluß auf vergangne Tage. Weniger statthaft und wünschenswert aber ist vom Standpunkt der historischen Wahrheit die so sehr beliebte Weise von der „guten alten Zeit" voll Edelsinn und Biederkeit und ihrer schönsten Verwirklichung auf Vergesgrat oder im Tale hinter Graben und Wall, im Burgbereich. Wir wissen jetzt, gottlob, daß alle Zeiten gut und schlecht waren, daß die Freuden und die Leiden der Menschheit immer im Grunde dieselben sind und bleiben, und wenn überhaupt ein Vergleich ange¬ bracht wäre, so könnte der viel eher zugunsten unsrer Tage ausfallen. Völlig im Banne dieser „guten alten Zeit" stehn noch die Worte: „Das Herumwandeln auf den Trümmern alter Bürgen, den ehrwürdigen Wohnsitzen längst verschwundner Generationen, hat immer etwas Feierliches, ich möchte sagen. Heiliges, das jedes Gefühl unwillkürlich ergreift, und der Anblick dieser stillen, ehrfurchtgebietenden Zeugen früherer Geschlechter, mit seiner ganzen Masse von Erinnerungen, versenkt das Gemüt so leicht in jene melancholische Schwärmerei, die, der Gegenwart vergessend, die Schatten der Vorwelt aus ihren Gräbern hervorruft." Dieser Geist durchweht die zehn Bände des Werkes von Friedrich Gott¬ schall über „Die Ritterburgen und Bergschlösser", das im neunzehnten Jahr¬ hundert wohl das meistgelesne Buch über diesen Gegenstand gewesen ist, bis erst vor wenigen Jahren die Schriften von Piper (1895), Bodo Ebhardt (1900) unter andern den höchst nötigen und ersehnten Ersatz gebracht haben, freilich nicht, ohne unter den vorher oft sehr kritiklos aufgenommnen und weitver¬ breiteten Irrtümern und Fehlern gründlich und erbarmungslos aufzuräumen. So freudig die Forschung dieses begrüßt, so berechtigt ist aber der Wunsch, daß darum doch fortan der Born nicht ganz versiegen möge, aus dem die Ver¬ künder des Burgenzaubers schöpften und schöpfen. Schier endlos ist die Reihe der Poeten, die, von unsern Bergschlössern und Burgen gewaltig angeregt, ihrem dichterischen Empfinden den freiesten Lauf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/412>, abgerufen am 01.09.2024.