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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Burgenzauber

"werliche hus" des Mittelalters hatte sich überlebt. Ritter und Knechte zogen
zu Tal, wo das Leben kurzweiliger einging, wo erhöhte Sicherheit und Be¬
quemlichkeit ihrer harrte, und in Höhen- und Wasserburgen blieb höchstens ein
Wächter zurück, oder auch das letzte menschliche Wesen zog ab. Ungenügend
unterhalten oder völlig vernachlässigt barsten und stürzten die Türme, zer¬
klüfteten die Mauern, Bäume und Gesträuche überwucherten die vordem absicht¬
lich kahl gehaltnen Stellen an der Burg und rings um sie, Palas und
Kapelle verdarben, dienten den niedrigsten landwirtschaftlichen Zwecken oder
wurden zu bequemem, billigem Steinbruch entweiht. Statt Wächterrufs lautlose
Ruhe, kurz, wie Uhland singt:

Drinnen ist es öd und stille,
Im Hofe hohes Gras in Fülle,
Im Graben quillt das Wasser nimmer,
Im Haus ist Treppe nicht noch Zimmer,
Ringsum die Efeuranken schleichen,
Zugvögel durch die Fenster streichen.

Gestein und Zeit beginnen ihren hier kurzen, dort hartnäckigen Streit, Berchfrit
und Kemenate, die ganze Burg wird zur Ruine, entweder "der Zeit steinern
stilles Hohngelächter" oder verschwindet völlig in Asche und Schutt.

Doch, wo der Mensch gewichen war,

oder wohl gar ähnlich unheimliches, lichtscheues Gesindel, aber ohne Fleisch und
Bein: Gespenster, Geister und Spuk; die einsame Burgstelle wird zum verrufnen,
ängstlich gemiednen Platz, allen Schätzen gleißenden Goldes, die angeblich in ihrer
Tiefe ruhen, zum Trotz. Da nun obendrein von einer Wanderlust in unserm Sinne
früher gar keine Rede sein kann, so kam auch kaum ein Naturfreund an jene
dem Verfall preisgegebnen Stätten, und niemand brachte die Kunde vom Zer¬
störungswerk der Zeit und die Anregung zur Abhilfe in die Stadt hinab. Ja
sogar -- und das ist eine höchst merkwürdige Erscheinung -- als dann später
gewandert wurde, und die Romantik in höchster Blüte stand, pries man wohl
in langen, hochpoetischen Ergüssen die versunkne Pracht, aber keine Hand regte
sich, die Reste der Baudenkmäler aus der Bürgerzeit vor weiteren Verderb
zu schützen.

Denn, um das Seltsame fast unglaublich zu machen: nicht die Zeit unsinniger
Schwärmerei für das Mittelalter brachte den Burgruinen Rettung, nein, das
blieb dem Zeitalter des Dampfes, der Maschinen und der Elektrizität vorbe¬
halten. Auch hier nur allmählich. Als schon die Wiederaufnahme der Dom¬
bauten des Mittelalters aufs eifrigste betrieben und durch Studien vorbereitet
Wurde, war die Profan-, besonders Burgenbaukunst noch ein Stiefkind der
Architekten, denn sie schuf ja keine steinernen Lobgesänge zu des Höchsten Ehre,


Grenzboten III 1907 S3
Burgenzauber

„werliche hus" des Mittelalters hatte sich überlebt. Ritter und Knechte zogen
zu Tal, wo das Leben kurzweiliger einging, wo erhöhte Sicherheit und Be¬
quemlichkeit ihrer harrte, und in Höhen- und Wasserburgen blieb höchstens ein
Wächter zurück, oder auch das letzte menschliche Wesen zog ab. Ungenügend
unterhalten oder völlig vernachlässigt barsten und stürzten die Türme, zer¬
klüfteten die Mauern, Bäume und Gesträuche überwucherten die vordem absicht¬
lich kahl gehaltnen Stellen an der Burg und rings um sie, Palas und
Kapelle verdarben, dienten den niedrigsten landwirtschaftlichen Zwecken oder
wurden zu bequemem, billigem Steinbruch entweiht. Statt Wächterrufs lautlose
Ruhe, kurz, wie Uhland singt:

Drinnen ist es öd und stille,
Im Hofe hohes Gras in Fülle,
Im Graben quillt das Wasser nimmer,
Im Haus ist Treppe nicht noch Zimmer,
Ringsum die Efeuranken schleichen,
Zugvögel durch die Fenster streichen.

Gestein und Zeit beginnen ihren hier kurzen, dort hartnäckigen Streit, Berchfrit
und Kemenate, die ganze Burg wird zur Ruine, entweder „der Zeit steinern
stilles Hohngelächter" oder verschwindet völlig in Asche und Schutt.

Doch, wo der Mensch gewichen war,

oder wohl gar ähnlich unheimliches, lichtscheues Gesindel, aber ohne Fleisch und
Bein: Gespenster, Geister und Spuk; die einsame Burgstelle wird zum verrufnen,
ängstlich gemiednen Platz, allen Schätzen gleißenden Goldes, die angeblich in ihrer
Tiefe ruhen, zum Trotz. Da nun obendrein von einer Wanderlust in unserm Sinne
früher gar keine Rede sein kann, so kam auch kaum ein Naturfreund an jene
dem Verfall preisgegebnen Stätten, und niemand brachte die Kunde vom Zer¬
störungswerk der Zeit und die Anregung zur Abhilfe in die Stadt hinab. Ja
sogar — und das ist eine höchst merkwürdige Erscheinung — als dann später
gewandert wurde, und die Romantik in höchster Blüte stand, pries man wohl
in langen, hochpoetischen Ergüssen die versunkne Pracht, aber keine Hand regte
sich, die Reste der Baudenkmäler aus der Bürgerzeit vor weiteren Verderb
zu schützen.

Denn, um das Seltsame fast unglaublich zu machen: nicht die Zeit unsinniger
Schwärmerei für das Mittelalter brachte den Burgruinen Rettung, nein, das
blieb dem Zeitalter des Dampfes, der Maschinen und der Elektrizität vorbe¬
halten. Auch hier nur allmählich. Als schon die Wiederaufnahme der Dom¬
bauten des Mittelalters aufs eifrigste betrieben und durch Studien vorbereitet
Wurde, war die Profan-, besonders Burgenbaukunst noch ein Stiefkind der
Architekten, denn sie schuf ja keine steinernen Lobgesänge zu des Höchsten Ehre,


Grenzboten III 1907 S3
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[0409] Burgenzauber „werliche hus" des Mittelalters hatte sich überlebt. Ritter und Knechte zogen zu Tal, wo das Leben kurzweiliger einging, wo erhöhte Sicherheit und Be¬ quemlichkeit ihrer harrte, und in Höhen- und Wasserburgen blieb höchstens ein Wächter zurück, oder auch das letzte menschliche Wesen zog ab. Ungenügend unterhalten oder völlig vernachlässigt barsten und stürzten die Türme, zer¬ klüfteten die Mauern, Bäume und Gesträuche überwucherten die vordem absicht¬ lich kahl gehaltnen Stellen an der Burg und rings um sie, Palas und Kapelle verdarben, dienten den niedrigsten landwirtschaftlichen Zwecken oder wurden zu bequemem, billigem Steinbruch entweiht. Statt Wächterrufs lautlose Ruhe, kurz, wie Uhland singt: Drinnen ist es öd und stille, Im Hofe hohes Gras in Fülle, Im Graben quillt das Wasser nimmer, Im Haus ist Treppe nicht noch Zimmer, Ringsum die Efeuranken schleichen, Zugvögel durch die Fenster streichen. Gestein und Zeit beginnen ihren hier kurzen, dort hartnäckigen Streit, Berchfrit und Kemenate, die ganze Burg wird zur Ruine, entweder „der Zeit steinern stilles Hohngelächter" oder verschwindet völlig in Asche und Schutt. Doch, wo der Mensch gewichen war, oder wohl gar ähnlich unheimliches, lichtscheues Gesindel, aber ohne Fleisch und Bein: Gespenster, Geister und Spuk; die einsame Burgstelle wird zum verrufnen, ängstlich gemiednen Platz, allen Schätzen gleißenden Goldes, die angeblich in ihrer Tiefe ruhen, zum Trotz. Da nun obendrein von einer Wanderlust in unserm Sinne früher gar keine Rede sein kann, so kam auch kaum ein Naturfreund an jene dem Verfall preisgegebnen Stätten, und niemand brachte die Kunde vom Zer¬ störungswerk der Zeit und die Anregung zur Abhilfe in die Stadt hinab. Ja sogar — und das ist eine höchst merkwürdige Erscheinung — als dann später gewandert wurde, und die Romantik in höchster Blüte stand, pries man wohl in langen, hochpoetischen Ergüssen die versunkne Pracht, aber keine Hand regte sich, die Reste der Baudenkmäler aus der Bürgerzeit vor weiteren Verderb zu schützen. Denn, um das Seltsame fast unglaublich zu machen: nicht die Zeit unsinniger Schwärmerei für das Mittelalter brachte den Burgruinen Rettung, nein, das blieb dem Zeitalter des Dampfes, der Maschinen und der Elektrizität vorbe¬ halten. Auch hier nur allmählich. Als schon die Wiederaufnahme der Dom¬ bauten des Mittelalters aufs eifrigste betrieben und durch Studien vorbereitet Wurde, war die Profan-, besonders Burgenbaukunst noch ein Stiefkind der Architekten, denn sie schuf ja keine steinernen Lobgesänge zu des Höchsten Ehre, Grenzboten III 1907 S3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/409>, abgerufen am 01.09.2024.