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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Burgenzimber

immergrünen Kranz darum und lassen sie -- die Zeugen längstvergangner
Zeiten -- noch heute vernehmlich zu uns Enkeln reden.

In diesen Worten hat Bodo Ebhardt, der viel beredete und viel befehdete
Meister des Aufbaus der Hohkönigsburg im Elsaß, alte Gedanken in neue,
gefällige Form gekleidet und seinem stattlichen Werke über "Deutsche Burgen"
vorausgeschickt.

Burgenzauber?! Ein Begriff fähig, dem Geschichtsfreunde Gewissenspein zu
schaffen; "auch der erklärte Widersacher bläßlicher Romantik und unfreier Rück-
würtsgelüste" (Scheffel) wird von ihm ergriffen, aber wer ihn empfindet und
ausspricht, trägt ohne Zweifel Gefühle in die Betrachtung des Denkmals hinein,
die sich nicht recht vertragen wollen mit den Ergebnissen ernster und gründlicher
Forschung; gerade die Burgenkunde weiß, daß sie nichts oder wenig, aber sicher
das eine weiß, daß das Leben in den befestigten Einzelsitzen des Mittelalters
recht wenig erfreulich, behaglich und kurzweilig gewesen sein muß.

Aber er hat uns fest gepackt, der Burgenzauber, und will nicht loslassen.

Die Worte "Burg" und "Ruine" gehören nun einmal, für uns Deutsche
besonders, zu den Begriffen, von denen so unvergleichlich Hermen Grimm
sagt, sie trügen etwas von einer Zauberformel in sich. "Man spricht sie aus,
und wie der Prinz in dem Märchen der Tausend und eine Nacht fühlt man
sich vom Boden der Erde in die Wolken steigen. Nichts Bestimmtes, keine
einzelnen Gestalten erblicken wir, aber Wolkenzüge, aus herrlichen Männer¬
scharen gebildet, ziehen am Himmel hin.

Nun aber treten wir näher und wollen die Dinge deutlicher betrachten.
Da erkalten die glühenden Bilder und werden trübe und nüchtern. Wie überall
gewahren wir auch hier den Kampf der gemeinen Leidenschaften, Ärger, Wehmut
und Trauer stehlen sich ein an die Stelle der Bewunderung, die uns zuerst
bewegte. Und dennoch was ist das? Indem wir uns abwendend von weitem
einen Blick zurückwerfen, da liegt der alte Glanz wieder auf dem Bilde, und
eine schimmernde Ferne scheint das Paradies trotzdem zu entfalten, zu dem es
uus hinzieht. ..."

Freilich nicht zu allen Zeiten haben die erhaltnen Reste der Wehr- und
Wohnbauten vergangner Jahrhunderte diese Sprache geredet, die heute jeden
entzückt, dem empfänglicher Sinn für geschichtliche Dinge zu eigen ist. Ihre
Klänge ertönen natürlich erst seit den Tagen, wo die Burgen aufhörten, hoch-
gctürmte, uneinnehmbare Wohnstütten zu sein, wo die Fortschritte im Gebiet
des Geschützwesens die dem frühern Mittelalter völlig unbekannte Fernwirkung
der Geschosse gebracht hatten, wo endlich die Städter im Kampf um die Sicherung
des Handelsverkehrs Talsperren brachen, Raubnester aushoben und dem Erd¬
boden gleich machten. Und wer sich vorstellt, wie eng, dunkel, unwirklich diese
Wohnstätten waren, wie unsagbar eintönig das Leben der Insassen, mit wenig
Ausnahmen, gewesen sein mag, der versteht, wie der Zug nach der Stadt schier
unwiderstehlich über die Bergeshöhen einherbrauste und mit sich fortriß. Das


Burgenzimber

immergrünen Kranz darum und lassen sie — die Zeugen längstvergangner
Zeiten — noch heute vernehmlich zu uns Enkeln reden.

In diesen Worten hat Bodo Ebhardt, der viel beredete und viel befehdete
Meister des Aufbaus der Hohkönigsburg im Elsaß, alte Gedanken in neue,
gefällige Form gekleidet und seinem stattlichen Werke über „Deutsche Burgen"
vorausgeschickt.

Burgenzauber?! Ein Begriff fähig, dem Geschichtsfreunde Gewissenspein zu
schaffen; „auch der erklärte Widersacher bläßlicher Romantik und unfreier Rück-
würtsgelüste" (Scheffel) wird von ihm ergriffen, aber wer ihn empfindet und
ausspricht, trägt ohne Zweifel Gefühle in die Betrachtung des Denkmals hinein,
die sich nicht recht vertragen wollen mit den Ergebnissen ernster und gründlicher
Forschung; gerade die Burgenkunde weiß, daß sie nichts oder wenig, aber sicher
das eine weiß, daß das Leben in den befestigten Einzelsitzen des Mittelalters
recht wenig erfreulich, behaglich und kurzweilig gewesen sein muß.

Aber er hat uns fest gepackt, der Burgenzauber, und will nicht loslassen.

Die Worte „Burg" und „Ruine" gehören nun einmal, für uns Deutsche
besonders, zu den Begriffen, von denen so unvergleichlich Hermen Grimm
sagt, sie trügen etwas von einer Zauberformel in sich. „Man spricht sie aus,
und wie der Prinz in dem Märchen der Tausend und eine Nacht fühlt man
sich vom Boden der Erde in die Wolken steigen. Nichts Bestimmtes, keine
einzelnen Gestalten erblicken wir, aber Wolkenzüge, aus herrlichen Männer¬
scharen gebildet, ziehen am Himmel hin.

Nun aber treten wir näher und wollen die Dinge deutlicher betrachten.
Da erkalten die glühenden Bilder und werden trübe und nüchtern. Wie überall
gewahren wir auch hier den Kampf der gemeinen Leidenschaften, Ärger, Wehmut
und Trauer stehlen sich ein an die Stelle der Bewunderung, die uns zuerst
bewegte. Und dennoch was ist das? Indem wir uns abwendend von weitem
einen Blick zurückwerfen, da liegt der alte Glanz wieder auf dem Bilde, und
eine schimmernde Ferne scheint das Paradies trotzdem zu entfalten, zu dem es
uus hinzieht. ..."

Freilich nicht zu allen Zeiten haben die erhaltnen Reste der Wehr- und
Wohnbauten vergangner Jahrhunderte diese Sprache geredet, die heute jeden
entzückt, dem empfänglicher Sinn für geschichtliche Dinge zu eigen ist. Ihre
Klänge ertönen natürlich erst seit den Tagen, wo die Burgen aufhörten, hoch-
gctürmte, uneinnehmbare Wohnstütten zu sein, wo die Fortschritte im Gebiet
des Geschützwesens die dem frühern Mittelalter völlig unbekannte Fernwirkung
der Geschosse gebracht hatten, wo endlich die Städter im Kampf um die Sicherung
des Handelsverkehrs Talsperren brachen, Raubnester aushoben und dem Erd¬
boden gleich machten. Und wer sich vorstellt, wie eng, dunkel, unwirklich diese
Wohnstätten waren, wie unsagbar eintönig das Leben der Insassen, mit wenig
Ausnahmen, gewesen sein mag, der versteht, wie der Zug nach der Stadt schier
unwiderstehlich über die Bergeshöhen einherbrauste und mit sich fortriß. Das


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[0408] Burgenzimber immergrünen Kranz darum und lassen sie — die Zeugen längstvergangner Zeiten — noch heute vernehmlich zu uns Enkeln reden. In diesen Worten hat Bodo Ebhardt, der viel beredete und viel befehdete Meister des Aufbaus der Hohkönigsburg im Elsaß, alte Gedanken in neue, gefällige Form gekleidet und seinem stattlichen Werke über „Deutsche Burgen" vorausgeschickt. Burgenzauber?! Ein Begriff fähig, dem Geschichtsfreunde Gewissenspein zu schaffen; „auch der erklärte Widersacher bläßlicher Romantik und unfreier Rück- würtsgelüste" (Scheffel) wird von ihm ergriffen, aber wer ihn empfindet und ausspricht, trägt ohne Zweifel Gefühle in die Betrachtung des Denkmals hinein, die sich nicht recht vertragen wollen mit den Ergebnissen ernster und gründlicher Forschung; gerade die Burgenkunde weiß, daß sie nichts oder wenig, aber sicher das eine weiß, daß das Leben in den befestigten Einzelsitzen des Mittelalters recht wenig erfreulich, behaglich und kurzweilig gewesen sein muß. Aber er hat uns fest gepackt, der Burgenzauber, und will nicht loslassen. Die Worte „Burg" und „Ruine" gehören nun einmal, für uns Deutsche besonders, zu den Begriffen, von denen so unvergleichlich Hermen Grimm sagt, sie trügen etwas von einer Zauberformel in sich. „Man spricht sie aus, und wie der Prinz in dem Märchen der Tausend und eine Nacht fühlt man sich vom Boden der Erde in die Wolken steigen. Nichts Bestimmtes, keine einzelnen Gestalten erblicken wir, aber Wolkenzüge, aus herrlichen Männer¬ scharen gebildet, ziehen am Himmel hin. Nun aber treten wir näher und wollen die Dinge deutlicher betrachten. Da erkalten die glühenden Bilder und werden trübe und nüchtern. Wie überall gewahren wir auch hier den Kampf der gemeinen Leidenschaften, Ärger, Wehmut und Trauer stehlen sich ein an die Stelle der Bewunderung, die uns zuerst bewegte. Und dennoch was ist das? Indem wir uns abwendend von weitem einen Blick zurückwerfen, da liegt der alte Glanz wieder auf dem Bilde, und eine schimmernde Ferne scheint das Paradies trotzdem zu entfalten, zu dem es uus hinzieht. ..." Freilich nicht zu allen Zeiten haben die erhaltnen Reste der Wehr- und Wohnbauten vergangner Jahrhunderte diese Sprache geredet, die heute jeden entzückt, dem empfänglicher Sinn für geschichtliche Dinge zu eigen ist. Ihre Klänge ertönen natürlich erst seit den Tagen, wo die Burgen aufhörten, hoch- gctürmte, uneinnehmbare Wohnstütten zu sein, wo die Fortschritte im Gebiet des Geschützwesens die dem frühern Mittelalter völlig unbekannte Fernwirkung der Geschosse gebracht hatten, wo endlich die Städter im Kampf um die Sicherung des Handelsverkehrs Talsperren brachen, Raubnester aushoben und dem Erd¬ boden gleich machten. Und wer sich vorstellt, wie eng, dunkel, unwirklich diese Wohnstätten waren, wie unsagbar eintönig das Leben der Insassen, mit wenig Ausnahmen, gewesen sein mag, der versteht, wie der Zug nach der Stadt schier unwiderstehlich über die Bergeshöhen einherbrauste und mit sich fortriß. Das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/408>, abgerufen am 27.07.2024.