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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Line neue Blücher-Biographie

der Spitze einer aus preußischen und russischen Truppen zusammengesetzten
Armee bewähren sollte, offenbarte er schon hier. "Sympathisch berührt seine
warme Kameradschaft, die ihn ohne Zaudern für den Nachbarn eintreten heißt,
seien es nun seine Brüder im roten Dolman oder Landsleute im blauen Rock,
seien es Holländer oder Kaiserliche, so sehr er sich als Preuße fühlt, ja gelegentlich
als treuer "Brandenburger" bekennt. Von den Eifersüchteleien, die so leicht
zwischen den Führern der verschiednen Kontingente eines verbündeten Heeres
entstehen, hat Blücher auch nie eine Spur angewandelt, weil er sich selbst nie
genug tun konnte." Wir ahnen hier den Mann, der später berufen war, die
Schlesische Armee rücksichtslos für die gemeinsame Sache der Verbündeten ein¬
zusetzen, der sie dadurch zur treibenden Kraft der Koalition machte, der kein
Bedenken trug, sein stärkstes Korps an Bernadotte abzutreten, um den ewig
Zögernden in die Völkerschlacht bei Leipzig zu treiben, der bei Belle-Alliance
Wellington die Zusage hielt, wiewohl dessen Hilfeleistung an die Preußen zwei
Tage zuvor bei Ligny ausgeblieben war, dem die Kasaken als dem Marschall Vor¬
wärts dereinst nicht minder zujubeln sollten wie die Söhne des eignen Landes.

Valentini schreibt über Blücher aus der Zeit der Revolutionskriege: "Sein
Benehmen gegen Freund und Feind war untadelhaft, und überhaupt konnten
nur Unkunde oder übler Wille ihn für einen halben Barbaren ausgeben. Sein
klarer Sinn, von einem gewissen Jdeenschwung belebt, fand überall ohne Mühe
die passenden Worte. Wie oft haben wir später Gelegenheit gehabt, seine bald
würdevolle, bald populäre, niemals gemeine, immer dem Gegenstand und den
Personen angemessene Beredsamkeit zu bewundern! Vor allem verstand er die
Kunst, die Gemüter der Menge durch irgend sie ansprechende Motive zu be¬
wegen und dabei Zufälle und Veranlassungen geschickt zu benutzen, ja wohl
die zu Taten auffordernde Leidenschaft sich selbst anzurüsonieren."

Nach Treitschke (Historische Aufsätze II. Das Deutsche Ordensland Preußen)
"ist jeder große Mensch reich begabt zur Sünde wie zum Segen", so fehlen
denn in Blüchers Leben neben den Licht- auch nicht die Schattenseiten. Reiche
berichtet, daß er einst während der Rheinfeldzüge Blücher noch in später Nacht
am Pharaotische angetroffen habe, wo man bis zum Morgen beim Spiel zu¬
sammengeblieben sei. "Als der Tag anbrach, setzte sich die ganze Gesellschaft
zu Pferde, den Feind zu rekognoszieren und die Vorposten weiter anzuordnen."
Blüchers Geldverhältnisse, sagt General von Unger, "waren durch den Krieg
und das Spiel in üble Verfassung geraten". Noch mehrfach wird der Neigung
Blüchers zum Spiel Erwähnung getan. Sie ist in der Tat bei dieser von
echter kriegerischer Leidenschaft erfüllten Natur tief eingewurzelt. Das Lebens¬
bild einer solchen vertrüge die Wahrheit auch dort, wo sie nach unsern fried¬
fertigen und sanftern Sitten nicht angenehm berührt. Wagt man diese Dinge
nicht mehr beim rechten Namen zu nennen, so verfüllt man in einen ähnlichen
Fehler wie die Männer vom grünen Tisch und im Parlament, die das Handeln
unsrer Offiziere und Beamten in den Kolonien an dem Maßstabe gesitteter


Line neue Blücher-Biographie

der Spitze einer aus preußischen und russischen Truppen zusammengesetzten
Armee bewähren sollte, offenbarte er schon hier. „Sympathisch berührt seine
warme Kameradschaft, die ihn ohne Zaudern für den Nachbarn eintreten heißt,
seien es nun seine Brüder im roten Dolman oder Landsleute im blauen Rock,
seien es Holländer oder Kaiserliche, so sehr er sich als Preuße fühlt, ja gelegentlich
als treuer »Brandenburger« bekennt. Von den Eifersüchteleien, die so leicht
zwischen den Führern der verschiednen Kontingente eines verbündeten Heeres
entstehen, hat Blücher auch nie eine Spur angewandelt, weil er sich selbst nie
genug tun konnte." Wir ahnen hier den Mann, der später berufen war, die
Schlesische Armee rücksichtslos für die gemeinsame Sache der Verbündeten ein¬
zusetzen, der sie dadurch zur treibenden Kraft der Koalition machte, der kein
Bedenken trug, sein stärkstes Korps an Bernadotte abzutreten, um den ewig
Zögernden in die Völkerschlacht bei Leipzig zu treiben, der bei Belle-Alliance
Wellington die Zusage hielt, wiewohl dessen Hilfeleistung an die Preußen zwei
Tage zuvor bei Ligny ausgeblieben war, dem die Kasaken als dem Marschall Vor¬
wärts dereinst nicht minder zujubeln sollten wie die Söhne des eignen Landes.

Valentini schreibt über Blücher aus der Zeit der Revolutionskriege: „Sein
Benehmen gegen Freund und Feind war untadelhaft, und überhaupt konnten
nur Unkunde oder übler Wille ihn für einen halben Barbaren ausgeben. Sein
klarer Sinn, von einem gewissen Jdeenschwung belebt, fand überall ohne Mühe
die passenden Worte. Wie oft haben wir später Gelegenheit gehabt, seine bald
würdevolle, bald populäre, niemals gemeine, immer dem Gegenstand und den
Personen angemessene Beredsamkeit zu bewundern! Vor allem verstand er die
Kunst, die Gemüter der Menge durch irgend sie ansprechende Motive zu be¬
wegen und dabei Zufälle und Veranlassungen geschickt zu benutzen, ja wohl
die zu Taten auffordernde Leidenschaft sich selbst anzurüsonieren."

Nach Treitschke (Historische Aufsätze II. Das Deutsche Ordensland Preußen)
„ist jeder große Mensch reich begabt zur Sünde wie zum Segen", so fehlen
denn in Blüchers Leben neben den Licht- auch nicht die Schattenseiten. Reiche
berichtet, daß er einst während der Rheinfeldzüge Blücher noch in später Nacht
am Pharaotische angetroffen habe, wo man bis zum Morgen beim Spiel zu¬
sammengeblieben sei. „Als der Tag anbrach, setzte sich die ganze Gesellschaft
zu Pferde, den Feind zu rekognoszieren und die Vorposten weiter anzuordnen."
Blüchers Geldverhältnisse, sagt General von Unger, „waren durch den Krieg
und das Spiel in üble Verfassung geraten". Noch mehrfach wird der Neigung
Blüchers zum Spiel Erwähnung getan. Sie ist in der Tat bei dieser von
echter kriegerischer Leidenschaft erfüllten Natur tief eingewurzelt. Das Lebens¬
bild einer solchen vertrüge die Wahrheit auch dort, wo sie nach unsern fried¬
fertigen und sanftern Sitten nicht angenehm berührt. Wagt man diese Dinge
nicht mehr beim rechten Namen zu nennen, so verfüllt man in einen ähnlichen
Fehler wie die Männer vom grünen Tisch und im Parlament, die das Handeln
unsrer Offiziere und Beamten in den Kolonien an dem Maßstabe gesitteter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/354>, abgerufen am 01.09.2024.