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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Eine neue Blücher-Biographie

heimischer Verhältnisse messen. Wollen wir nur Musterknaben um uns dulden,
dann werden wir uns im Kriege vergeblich nach einem Blücher umsehen. Es
soll damit nicht gesagt sein, daß man im Frieden über alle Fehler dieser Art
hinwegsehen soll, aber wenn sie uns in einer geschichtlichen Gestalt wie Blücher
vorgeführt werden, so mag uns das eine Warnung vor übertriebnen Moralisieren
sein; darum müssen dem geschichtlichen Bilde seine ursprünglichen Farben gewahrt
bleiben. Die ältere Zeit verfuhr schon in diesem Sinne. So gibt sogar die
amtliche "Darstellung der Ereignisse bei der schlesischen Armee im Jahre 1813",
die der Generalstab in den Beiheften zum Militärwochenblatt von 1843 bis 1845
erscheinen ließ, offen zu, Blücher sei "nicht frei gewesen von der Gewohnheit
und der Lust an dem wüsten Treiben der Feldlager", wenn auch hinzugesetzt
wird, er habe doch zugleich "große Herrschaft über sich selbst besessen, nie damit
Anstoß gegeben oder seine Pflicht verletzt". Wir wissen auch von Scharnhorst,
auf dessen Betreiben doch Blücher im Frühjahr 1813 an die Spitze der preußischen
Truppen gestellt wurde, und der ihm als Chef des Generalstabes zur Seite
stand, bis seine Verwundung diese Stellung an Gneisenau übergehen ließ, daß das
Treiben in Blüchers Hauptquartier ihm nicht sympathisch war.

Die stillen aber gewitterschwüler Jahre nach dem Basler Frieden brachten
dem nunmehrigen General und Regimentschef bei wechselndem Aufenthalt in Ost¬
friesland und Westfalen wenig dienstliche Befriedigung. In sein durch den 1791
erfolgten Tod seiner Gemahlin verödetes Haus führte er 1795 seine zweite, um
dreißig Jahre jüngere Frau. In Münster hat er sich eifrig an den Bestrebungen
des Freimaurerordens beteiligt, wobei er Umgang mit vielen ausgezeichneten
Männern, vor allem Stein und später Vincke, fand. Es war ein günstiger
Zufall, daß er dort auch mit dem Kriegsrat Ribbentrop zusammentraf. Der
spätere hochverdiente Intendant der Schlesischen Armee und der General schlössen
hier eine Freundschaft, die in ernster Zeit dein Vaterlande zum Segen gereichen
sollte. Das Verdienst, das sich Ribbentrop um den Erfolg der Operationen
1813 und 1814 erworben hat, wurde bisher noch nicht genugsam gewürdigt.
Die Wechselwirkung, die im Kriege zwischen Heerführung und Verpflegung
besteht, ist kaum jemals so glücklich zum Austrag gebracht worden wie bei der
Schlesischen Armee.

Von seinem durch die französische Nachbarschaft und mannigfache sonstige
Reibungen wenig erfreulichen Posten als Oberkommcmdiercnder in Westfalen
sehnte sich Blücher, der seit 1801 Generalleutnant war, mehr und mehr fort,
zumal da er von seinem teuern Regiment, das in die pommerschen Garnisonen
zurückgekehrt war, getrennt blieb. Körperliche Leiden verbitterten ihm in den
Jahren 1803 und 1804 das Dasein. Er sehnte sich danach, sein Leben auf
dem Lande in Ruhe zu beschließen. Auch Moltke hat, wiewohl er eine völlig
andre Natur war, dieses Ruhebedürfnis nach dem Kriege 1864 und in ver¬
stärktem Maße nach 1866 empfunden. Ihn wie Blücher hat die Pflicht im
Dienst inmitten einer gärenden Zeit festgehalten zum Segen des Vaterlandes.


Eine neue Blücher-Biographie

heimischer Verhältnisse messen. Wollen wir nur Musterknaben um uns dulden,
dann werden wir uns im Kriege vergeblich nach einem Blücher umsehen. Es
soll damit nicht gesagt sein, daß man im Frieden über alle Fehler dieser Art
hinwegsehen soll, aber wenn sie uns in einer geschichtlichen Gestalt wie Blücher
vorgeführt werden, so mag uns das eine Warnung vor übertriebnen Moralisieren
sein; darum müssen dem geschichtlichen Bilde seine ursprünglichen Farben gewahrt
bleiben. Die ältere Zeit verfuhr schon in diesem Sinne. So gibt sogar die
amtliche „Darstellung der Ereignisse bei der schlesischen Armee im Jahre 1813",
die der Generalstab in den Beiheften zum Militärwochenblatt von 1843 bis 1845
erscheinen ließ, offen zu, Blücher sei „nicht frei gewesen von der Gewohnheit
und der Lust an dem wüsten Treiben der Feldlager", wenn auch hinzugesetzt
wird, er habe doch zugleich „große Herrschaft über sich selbst besessen, nie damit
Anstoß gegeben oder seine Pflicht verletzt". Wir wissen auch von Scharnhorst,
auf dessen Betreiben doch Blücher im Frühjahr 1813 an die Spitze der preußischen
Truppen gestellt wurde, und der ihm als Chef des Generalstabes zur Seite
stand, bis seine Verwundung diese Stellung an Gneisenau übergehen ließ, daß das
Treiben in Blüchers Hauptquartier ihm nicht sympathisch war.

Die stillen aber gewitterschwüler Jahre nach dem Basler Frieden brachten
dem nunmehrigen General und Regimentschef bei wechselndem Aufenthalt in Ost¬
friesland und Westfalen wenig dienstliche Befriedigung. In sein durch den 1791
erfolgten Tod seiner Gemahlin verödetes Haus führte er 1795 seine zweite, um
dreißig Jahre jüngere Frau. In Münster hat er sich eifrig an den Bestrebungen
des Freimaurerordens beteiligt, wobei er Umgang mit vielen ausgezeichneten
Männern, vor allem Stein und später Vincke, fand. Es war ein günstiger
Zufall, daß er dort auch mit dem Kriegsrat Ribbentrop zusammentraf. Der
spätere hochverdiente Intendant der Schlesischen Armee und der General schlössen
hier eine Freundschaft, die in ernster Zeit dein Vaterlande zum Segen gereichen
sollte. Das Verdienst, das sich Ribbentrop um den Erfolg der Operationen
1813 und 1814 erworben hat, wurde bisher noch nicht genugsam gewürdigt.
Die Wechselwirkung, die im Kriege zwischen Heerführung und Verpflegung
besteht, ist kaum jemals so glücklich zum Austrag gebracht worden wie bei der
Schlesischen Armee.

Von seinem durch die französische Nachbarschaft und mannigfache sonstige
Reibungen wenig erfreulichen Posten als Oberkommcmdiercnder in Westfalen
sehnte sich Blücher, der seit 1801 Generalleutnant war, mehr und mehr fort,
zumal da er von seinem teuern Regiment, das in die pommerschen Garnisonen
zurückgekehrt war, getrennt blieb. Körperliche Leiden verbitterten ihm in den
Jahren 1803 und 1804 das Dasein. Er sehnte sich danach, sein Leben auf
dem Lande in Ruhe zu beschließen. Auch Moltke hat, wiewohl er eine völlig
andre Natur war, dieses Ruhebedürfnis nach dem Kriege 1864 und in ver¬
stärktem Maße nach 1866 empfunden. Ihn wie Blücher hat die Pflicht im
Dienst inmitten einer gärenden Zeit festgehalten zum Segen des Vaterlandes.


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[0355] Eine neue Blücher-Biographie heimischer Verhältnisse messen. Wollen wir nur Musterknaben um uns dulden, dann werden wir uns im Kriege vergeblich nach einem Blücher umsehen. Es soll damit nicht gesagt sein, daß man im Frieden über alle Fehler dieser Art hinwegsehen soll, aber wenn sie uns in einer geschichtlichen Gestalt wie Blücher vorgeführt werden, so mag uns das eine Warnung vor übertriebnen Moralisieren sein; darum müssen dem geschichtlichen Bilde seine ursprünglichen Farben gewahrt bleiben. Die ältere Zeit verfuhr schon in diesem Sinne. So gibt sogar die amtliche „Darstellung der Ereignisse bei der schlesischen Armee im Jahre 1813", die der Generalstab in den Beiheften zum Militärwochenblatt von 1843 bis 1845 erscheinen ließ, offen zu, Blücher sei „nicht frei gewesen von der Gewohnheit und der Lust an dem wüsten Treiben der Feldlager", wenn auch hinzugesetzt wird, er habe doch zugleich „große Herrschaft über sich selbst besessen, nie damit Anstoß gegeben oder seine Pflicht verletzt". Wir wissen auch von Scharnhorst, auf dessen Betreiben doch Blücher im Frühjahr 1813 an die Spitze der preußischen Truppen gestellt wurde, und der ihm als Chef des Generalstabes zur Seite stand, bis seine Verwundung diese Stellung an Gneisenau übergehen ließ, daß das Treiben in Blüchers Hauptquartier ihm nicht sympathisch war. Die stillen aber gewitterschwüler Jahre nach dem Basler Frieden brachten dem nunmehrigen General und Regimentschef bei wechselndem Aufenthalt in Ost¬ friesland und Westfalen wenig dienstliche Befriedigung. In sein durch den 1791 erfolgten Tod seiner Gemahlin verödetes Haus führte er 1795 seine zweite, um dreißig Jahre jüngere Frau. In Münster hat er sich eifrig an den Bestrebungen des Freimaurerordens beteiligt, wobei er Umgang mit vielen ausgezeichneten Männern, vor allem Stein und später Vincke, fand. Es war ein günstiger Zufall, daß er dort auch mit dem Kriegsrat Ribbentrop zusammentraf. Der spätere hochverdiente Intendant der Schlesischen Armee und der General schlössen hier eine Freundschaft, die in ernster Zeit dein Vaterlande zum Segen gereichen sollte. Das Verdienst, das sich Ribbentrop um den Erfolg der Operationen 1813 und 1814 erworben hat, wurde bisher noch nicht genugsam gewürdigt. Die Wechselwirkung, die im Kriege zwischen Heerführung und Verpflegung besteht, ist kaum jemals so glücklich zum Austrag gebracht worden wie bei der Schlesischen Armee. Von seinem durch die französische Nachbarschaft und mannigfache sonstige Reibungen wenig erfreulichen Posten als Oberkommcmdiercnder in Westfalen sehnte sich Blücher, der seit 1801 Generalleutnant war, mehr und mehr fort, zumal da er von seinem teuern Regiment, das in die pommerschen Garnisonen zurückgekehrt war, getrennt blieb. Körperliche Leiden verbitterten ihm in den Jahren 1803 und 1804 das Dasein. Er sehnte sich danach, sein Leben auf dem Lande in Ruhe zu beschließen. Auch Moltke hat, wiewohl er eine völlig andre Natur war, dieses Ruhebedürfnis nach dem Kriege 1864 und in ver¬ stärktem Maße nach 1866 empfunden. Ihn wie Blücher hat die Pflicht im Dienst inmitten einer gärenden Zeit festgehalten zum Segen des Vaterlandes.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/355>, abgerufen am 01.09.2024.